Rainer Rau

Mobbing Jäger


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war, auch eine gewisse Autorität zu zeigen. Ursprünglich wollte sie mit ihrem Lehramtsstudium auch den Weg in das Lehramt einschlagen. Dann aber stellte sie sich eine pubertierende Schulklasse vor, die ihr pausenlos Schwierigkeiten bereiten, sie nicht ernst nehmen und mit ihren Gefühlen spielen würde.

      Nein, das ging gar nicht.

      »Aber mit einer Uniform erhält man unaufgefordert Respekt«, redete sie sich Mut zu.

      Sie bewarb sich bei der Polizei.

      Marion Kowalski hatte Glück und konnte die Probe- und Anlernzeit bei der Bereitschaftspolizei einer Dienststelle in Frankfurt antreten. Danach wurde eine Planstelle in einem Präsidium der Schutzpolizei in Berlin frei. Das hatte zur Folge, dass sie auch dorthin ziehen musste. Sie wechselte von Hessen nach Berlin.

      Sie fand relativ schnell eine Einzimmerwohnung, die in U-Bahnnähe lag und zog dort ein.

      Ihre Rechnung ging auf, was die Mitmenschen auf der Straße betraf. Sie begegneten ihr mit Respekt und Höflichkeit.

      Ihre Kollegen allerdings nahmen auf die Frauen in der Dienststelle keine große Rücksicht. Die meisten Frauen sahen darüber hinweg und nahmen es mit den verbalen Wortspielereien der männlichen Kollegen auf. Eine Polizistin hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, dem Kollegen, der sie anmachte, den Stinkefinger zu zeigen. Das hielt denjenigen nicht davon ab, bei nächster Gelegenheit wieder einen derben Spruch zur Frauenfront zu schießen, die Wirkung aber verblasste mit der Zeit.

      Derbe und frauenfeindliche Witze waren in der Dienststelle an der Tagesordnung.

      Ein Kollege hatte es besonders auf Marion Kowalski abgesehen.

      Kai Hübner ließ keine Gelegenheit aus, sie mit anzüglichen Fragen zu verunsichern. Er stellte ihr nach und suchte sie unter einem Vorwand auch in ihrer kleinen Wohnung auf. Als er sie begrabschte, warf sie ihn hinaus. Das hatte zur Folge, dass sie von ihm belästigt wurde, wo immer er sie traf. Dies stellte er so geschickt an, dass es kein Außenstehender bemerkte.

      Eines Morgens überraschte er sie im Umkleideraum als sie gerade ihre kugelsichere Weste anlegen wollte, riss ihren Kopf an den Haaren zurück und spuckte ihr ins Gesicht.

      »Ich krieg dich noch. Warte nur ab. Dann bist du reif!«

      Dann war er wieder verschwunden. Als eine ältere Kollegin in den Umkleideraum kam, saß Marion Kowalski auf der Bank und weinte.

      »He, Marion. Was ist denn los? Hat er dich verlassen? Scheiß auf die Männer. Nimm’s nicht so schwer.«

      Es war unmöglich, der Kollegin den richtigen Sachverhalt zu erklären.

      Marion hielt es in dieser Dienststelle nicht länger aus. Sie schrieb schließlich ein Versetzungsgesuch. Sie hatte gehört, dass in ihrem Heimatort eine Planstelle frei wurde. Sie war der Meinung, hier in der Nähe ihres Vaters würde sie den Nachstellungen des Kollegen entgehen. Warum sie sich dies einbildete, war nur soweit logisch erklärbar, dass sie eine größere Distanz zwischen sich und den jetzigen Kolleginnen und Kollegen bringen wollte. Ihre Mutter verstarb früh, aber weder mit ihr noch mit ihrem Vater hatte sie über ihre Probleme mit anderen Menschen gesprochen. Sie gab sich selbst zum Teil eine Mitschuld an der Situation. Zum anderen konnte sie es nicht ertragen, ihren Vater leiden zu sehen, wenn es ihr schlecht ging. Sie redete auch mit keinem anderen Menschen über ihre Probleme. Abends schrieb sie alles in ihr kleines rotes Tagebuch. Nur ihm vertraute sie sich an.

      Sie bekam die Stelle in der Provinz nach einem halben Jahr, kündigte ihre Wohnung in Berlin und zog wieder ins Haus ihrer Eltern, in ihr altes Jugendzimmer ein. Später wollte sie sich eine eigene Wohnung in der Nähe mieten.

      Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen.

      Sie kam mit ihren neuen Kolleginnen und Kollegen recht gut klar und die Arbeit fing an, ihr zum ersten Mal richtig Spaß zu machen. Bis zu dem Donnerstag im Oktober, als der Dienststellenleiter einen Neuzugang ankündigte. Mit Beginn der normalen Schicht am Morgen betrat Kai Hübner den Raum.

      Es war allgemein bekannt, dass neue Kollegen ihren Dienst antreten sollten. Doch wer von welcher Dienststelle wechselte, wusste man nicht. Es hatte sich lediglich herumgesprochen, dass der Neue aus Berlin sein sollte.

      So erfuhr Marion Kowalskis erst in diesem Augenblick davon, dass es der Mann war, der sie in Berlin massiv bedrängt hatte.

      Ihr Herz setzte aus, als sie ihn sah. Hübner lachte ihr frech ins Gesicht.

      Der Chef stellte ihn kurz vor. Dann sagte er beiläufig zu Kowalski gewandt: »Sagen Sie, Frau Kowalski. Sie müssten sich doch eigentlich aus Berlin her kennen? Waren Sie nicht im gleichen Revier tätig?«

      Kowalski wollte schon verneinen, da fiel ihr Hübner ins Wort: »Klar kennen wir uns. Wir waren schließlich mal so gut wie zusammen.«

      Auch das wollte sie dementieren, nun fiel ihr aber ihr Vorgesetzter ins Wort: »Na. Das wird aus Sicht der Chefetage eigentlich nicht gerne gesehen. Es soll den Dienstablauf stören. Ich sehe das nicht so eng. Hauptsache, Sie kommen gut miteinander aus und die Kollegen stört es nicht. Also, im Dienst keine Intimitäten.«

      Hübner legte schnell den Arm um Kowalskis Schulter und beeilte sich zu sagen: »Sicher kommen wir gut miteinander aus!«

      Marion Kowalski entzog sich seiner Umarmung. Ihr war schlecht.

      Sie konnte es bei der folgenden Einsatzbesprechung einrichten, dass sie nicht mit Hübner in einem Wagen fahren musste, was dem Dienststellenleiter nur recht war. Laut Dienstplan war sie weiterhin einem Kollegen zugeteilt, mit dem sie schon seit geraumer Zeit fuhr. Dies blieb auch die nächsten Tage und Wochen so.

      Hübner jedoch ließ in dieser Zeit keine Gelegenheit aus, sie bei den Kollegen schlecht zu machen und ihren Charakter ins negative Licht zu stellen. So erzählte er jedem, der es hören wollte und es wollten fast alle hören, dass Kowalski es in Berlin ja so gut wie mit jedem getrieben hätte.

      »Einmal bin ich in den Besprechungsraum gekommen, da lag sie mit unserem ältesten Kollegen auf dem Boden. Nicht, dass es ihr peinlich gewesen wäre. Nein, sie hatte mich genau gesehen und trotzdem die Beine weit von sich gestreckt. Die schreckt vor nichts zurück.«

      Einer, der das nicht glauben konnte, äußerte seine skeptische Meinung laut.

      »Aber sie ist doch eher der ruhige Typ. Das kann ich gar nicht glauben.«

      »Das ist auch nur Show. Sprich sie doch mal darauf an, wenn du mit ihr alleine bist. Oder geh gleich aufs Ganze und leg sie flach. Dann siehst du, ob sie still hält oder nicht. Glaub mir, die will es so!«

      Einen Monat später war es genau das, was zwei Kollegen vorhatten. Sie hatten den Lügen Hübners wohl Glauben geschenkt.

      Zum Ende der Spätschicht lauerten sie Kowalski im Umkleideraum auf.

      Man konnte zwar in Dienstkleidung den Weg zur Dienststelle antreten, doch die meisten Kollegen zogen es vor, sich im ersten Untergeschoss des Gebäudes umzuziehen.

      So auch Marion, da sie nach Dienstende oft im Park spazieren ging, was sie sehr gerne tat.

      Angestachelt durch die permanente Zerstörung des guten Rufes von Kowalski hatten sie den Mut, nun das mit ihr zu tun, was ja laut Erzählung von Hübner bei ihr an der Tagesordnung sein sollte.

      Sie flachzulegen.

      Es befand sich außer ihnen niemand im Umkleideraum. Als Marion ihre Spindtüre öffnete, sprangen die beiden Kollegen hervor. Einer der beiden hielt sie fest, der andere riss ihr die Bluse auf und öffnete ihre Hose. Als sie schreien wollte, schlossen sich Finger um ihren Mund. Kowalski wehrte sich heftig. Als der Mann vor ihr ihre Hose und den Slip herunterzog, biss sie dem Mann, der sie festhielt, kräftig in die Hand. Der ließ sie sofort los und fluchte. Auch der andere war sich nun seines Tatendrangs nicht mehr so sicher. Er beschimpfte Kowalski.

      »Warum stellst du dich hier so an? Sind wir dir nicht gut genug? In Berlin hattest du damit ja wohl keine Probleme. Da sollst du alles gefickt haben, was dir begegnet ist!«

      Marion Kowalski sank auf den Boden