Rainer Rau

Mobbing Jäger


Скачать книгу

hör schon auf mit dem Geheul. Es ist ja nichts passiert. Und dem Chef brauchst du erst gar nichts zu sagen. Der glaubt dir sowieso nicht. Du hast hier nämlich nicht den besten Ruf.«

      Während einer der Kollegen den Raum verließ, drehte sich der andere noch einmal um.

      »Aber glaub mir, wir sind noch nicht fertig mit dir. Nur für jetzt. Wir kriegen dich noch. Und dann werden wir dir’s schon zeigen, egal ob du dann rumzickst. Heute Abend besuchen wir dich in deiner Wohnung. Du entkommst uns nicht.«

      Dann schlug er die Tür zu.

      Marion Kowalski beruhigte sich langsam. Sie setzte sich mit dem Rücken an einen Spind. Ihre Gedanken waren nun ganz klar. Ihre Hände aber zitterten. Sie zog ihren Slip und die Hose wieder hoch und steckte ihre Bluse hinein.

      Dann nahm sie ihre Waffe, die sie im Spind abgelegt hatte und zog sie aus dem Holster.

      Die Walther PPS, eine Selbstladepistole, wurde erst seit 2007 produziert und in der Dienststelle war sie erst vor kurzem gegen das Vorgängermodell, die Walther PPK, ausgetauscht worden. PPS steht für Polizei Pistole Schmal. Sie hat aufgrund des größeren Kalibers eine größere Durchschlagskraft. Dringt eine der 9 mm-Patronen aus kurzer Entfernung in den Brustbereich ein, so ist sie sehr wahrscheinlich tödlich.

      Marion Kowalski wusste über die Wirkung eines abgefeuerten Schusses Bescheid. Sie hatte es oft genug beim Schießen auf dem Schießstand gesehen. Sie wusste genau, was passieren würde, wenn sie ihr Vorhaben ausführte. Dicke Tränen rannen ihre Wangen hinunter. Sie weinte lautlos.

      Sie lud durch, entsicherte die Waffe, steckte sich den Lauf in den Mund und richtete ihn schräg nach oben. Sie schloss die Augen und drückte ab.

      Marion Kowalski war sofort tot.

      Die Kugel drang durch den Gaumen, das Kleinhirn und durch die linke Großhirnhälfte. Als sie am Hinterkopf austrat, riss sie einen Teil der Schädeldecke weg, die mit der hellen Gehirnmasse gegen die Blechtür des Spindes geschleudert wurde. Im Spind blieb auch die Kugel stecken.

      Ihr Gesicht aber blieb unverletzt. Ihr Vater sollte sie nicht mit entstelltem Gesicht sehen.

      3. Urteil nach bestem Gewissen.

      Die Nachricht vom Tode seiner Tochter traf Eberhard Kowalski wie ein Blitz. Er hatte körperliche Schmerzen und sein Magen rebellierte. Zwei Tage lang erbrach er sich sofort, wenn er etwas zu sich nahm. Dann kamen seine Lebensgeister langsam zurück und er grübelte über das Geschehen nach.

      Hätte er sich besser um seinen Engel kümmern müssen? Wäre dann so etwas nicht geschehen? Seine Fragen blieben unbeantwortet und er machte sich große Vorwürfe.

      Nach einiger Zeit ging es ihm etwas besser.

      Die Trauerfeier nach der Beerdigung musste er jedoch früher als geplant verlassen, da er den Anblick der Polizisten in Uniform nicht ertragen konnte. Eine innere Stimme sagte ihm, dass sie am Tode seiner Tochter schuldig seien.

      Kowalski konnte weiterhin tagelang keinen klaren Gedanken fassen. Warum hatte sie das getan? Warum nur hatte sie sich das Leben genommen? Wer hatte ihr das angetan? Wer hatte ihr das nur angetan? Wer hatte ihr überhaupt was angetan?

      Es gab keine Antwort auf diese Fragen. Die aber suchte er. Er wollte wissen, wer seine Tochter auf dem Gewissen hatte.

      Das hatte einer! Denn ohne Grund brachte man sich doch nicht so einfach um. Sie hatte nie etwas gesagt, woraus er schließen konnte, dass sie depressiv war.

      Dann traf er sich mit Arbeitskollegen seiner Tochter und befragte sie nach den Umständen, die zu dem Selbstmord geführt hatten.

      Aber er rannte gegen eine Wand. Keiner der Männer wollte ihm etwas sagen. Alle blockten ab.

      Als er im Hof des Präsidiums auf eine Polizistin traf, die gerade den Wagen geparkt hatte und deren Kollege schon im Gebäude verschwunden war, erfuhr er zum ersten Mal andeutungsweise mehr.

      Eberhard Kowalski sprach sie an.

      »Bitte reden Sie mit mir! Keiner will mir etwas über meine Tochter sagen. Was hat sie dazu bewogen, Selbstmord zu begehen?«

      »Ich kann Ihnen auch nichts Näheres sagen. Marion hat sich halt alles so zu Herzen genommen.«

      Sie bemerkte ihren Fehler sofort und wollte an Kowalski vorbeigehen.

      Der aber hielt sie am Arm fest.

      »Was hat sie sich zu Herzen genommen? Bitte sagen Sie es mir! Ich dreh sonst noch durch. Ich bin ihr Vater. Ich muss wissen, warum sie sich umgebracht hat.«

      Er tat ihr leid und so war sie bereit, noch etwas zu sagen.

      »Na ja. Die Kollegen sind manchmal nicht gerade nett zu uns.«

      »Was meinen Sie mit nicht gerade nett

      »Für manche Männer sind Frauen als Kolleginnen ein rotes Tuch. Sie können einem schon das Leben zur Hölle machen. Dann stellen sie einem nach und versuchen, wo sie nur können, uns irgendetwas reinzuwürgen.«

      »Sie wurde gemobbt?«

      »Ja, kann man so sagen. Aber ich habe Ihnen das nicht gesagt. Sonst komme ich in Teufels Küche.«

      »Von wem? Von wem wurde sie gemobbt?«

      »Weiß ich nicht. Da kommen viele in Frage. Am eifrigsten war da ein Kollege, den sie aus Berlin kannte. Von mir haben Sie das aber nicht. So, nun muss ich aber wirklich gehen.«

      Sie verschwand ohne weitere Worte.

      Kowalski erfuhr den Namen des Kollegen aus Berlin nicht. Er stand fassungslos da und sein Blick richtete sich fragend gegen den Himmel.

      Er ließ die nächsten Tage und Wochen keine Ruhe und stand fast jeden Tag vor oder in dem Polizeirevier und befragte Besucher wie Polizisten nach Mobbingvorfällen.

      Eberhard Kowalski war einst Bauingenieur und fand nach seinem Studium eine Anstellung bei einer großen Frankfurter Baufirma. Sein Fachgebiet war der Brückenbau. Er wollte, bildlich gesehen, hoch hinaus. Und das konnte er, als seine Firma ein Angebotszuschlag im Sultanat Oman bekam. Er zeichnete, berechnete und baute Modelle für drei riesige Brücken. Dann schickte man ihn in den Staat im Osten der Arabischen Halbinsel, wo er in den folgenden Jahren den Brückenbau überwachte.

      Im Oman sollten in den nächsten Jahrzehnten 18 große Brücken gebaut werden. Die meisten davon im Norden des Landes im Gouvernement Musandam.

      Als er herausbekam, dass ein Bauleiter Zement abzweigte und anderweitig verkaufte, ließ er Probebohrungen an den Objekten vornehmen. Dabei stellte sich heraus, dass im Ernstfall weder die Brücken noch die großangelegten Straßenzubringer den vorberechneten Werten standhalten würden. Als er seine Chefs in Deutschland darauf aufmerksam machte, kehrte man seine Bedenken hier unter den Teppich und erklärten ihm, dass die Werte noch alle in der berechneten Karenzzone lägen. Man war nicht an einem Skandal interessiert.

      Kowalski ließ die Situation aber kein ruhiges Gewissen und er spielte dem seit 1970 herrschenden Sultan Qabus anonyme Informationen zu.

      Der Skandal war nun doch perfekt.

      Das Sultanat ist eine absolute Monarchie, besitzt aber gleichzeitig eine Verfassung. Die vom Sultan ernannten Minister haben jedoch lediglich eine beratende Funktion. Zwei Minister wurden durch andere ersetzt, was in der Öffentlichkeit keine große Beachtung fand. Es interessierte auch außer den Familienmitgliedern keinen, dass sie nie mehr gesehen wurden. Regresszahlungen in Milliardenhöhe wurden vom Sultan eingefordert und Kowalskis Firma meldete ein Jahr darauf Insolvenz an.

      Man entließ ihn vorher schon fristlos, wogegen er mit Erfolg klagte. Die Firma musste ihn wieder einstellen. Danach wurde ihm das Leben zur Hölle gemacht. In diesen Jahren sprach man allerdings noch nicht so sehr von Mobbing. Sein Vorteil war, dass er sich fachlich gesehen besser auskannte als die meisten seiner Kollegen. Schließlich machte man ihm ein Abfindungsangebot, was er annahm. Sein Vertrauen in Bauriesen wurde seither