Karen Erbs

Kapitäne ohne Kurs


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sexy aus. Höhere Absätze konntest du ja wohl kaum finden. Und dein Top ist absolut der Hammer. So wirst du eine wunderschöne Leiche abgeben.“

      Gnadenlos schlug Jenny eine Mücke auf ihrem linken Unterarm tot und beseitigte die verschmierten Leichenreste.

      „Die einzige eiskalte Mörderin, die heute Nacht unterwegs ist, sitzt hier vor mir und killt arme kleine Viecher, die auch nur ums Überleben kämpfen.“

      „Du hast gut reden. Dein Blut mögen sie ja nicht. Du bist nicht so begehrenswert, wie du denkst. Außerdem bist du völlig herzlos und verlässt deine beste Freundin in einer ihrer schwersten Nächte, damit sie allein gelassen von der ganzen ... äh … weiten Welt mit geschwollenen Füßen und geschwollenem Bauch … äh … ihrer einsamen Niederkunft entgegen brüten kann!“

      Fiona prustete los: „So ein Glück, dass du keine Romane schreibst. Dein Baby kommt erst in zwei Wochen, und dann hat Stefan doch einige Tage frei - also erzähle mir nichts! Du gönnst mir nur nicht meinen Spaß. Ich muss jetzt los, Süße. Halt die Ohren steif, was anderes haben wir Mädels ja nicht! Aber ich hoffe ja, dass mein Überraschungsmann heute Abend …“

      „Hau bloß ab!“, lachte Jenny, „Und wenn du erst nach sechs Uhr morgen früh zurück bist, dann bringe doch ein paar Brötchen mit, Stefan hat das in letzter Zeit öfter vergessen nach seiner Nachtschicht.“

      Fiona wollte Jenny zum Abschied noch umarmen, aber Jenny wehrte sie ab: „Nee, lass mal. Ich bin so verschwitzt. Ich geh selbst gleich noch unter die Dusche. Los! Verschwinde und genieße deine wilde Nacht! Aber pass auf dich auf! Wenn dir der Typ nicht geheuer ist, haust du sofort ab, versprochen?“

      „Ja, Mama. Und du versprich mir, dass du dir keine Sorgen machst. Nun muss ich aber los. Bis morgen früh, meine Hübsche.“

      Eigentlich war die Ruhe sehr angenehm, nachdem Fiona endlich weg war. Den ganzen Nachmittag war sie ziemlich aufgedreht gewesen wegen ihrer verrückten Verabredung. Erst als der Typ sich nicht meldete, wurde sie immer ruhiger. Starrte mal nachdenklich mal hypnotisierend auf ihr Handy.

      Nun war sie also endlich auf dem Weg zu ihrem Abenteuer, und Jenny mochte sich das lieber nicht detailliert vorstellen. One-Night-Stands waren grundsätzlich nichts für sie, aber dieses Spielchen mit einem Fremden im Dunkeln war wirklich undenkbar. Gefährlich. Gefährlich. Gefährlich. Einfach nicht dran denken.

      Jenny zuckte zusammen, als ihr großer gelb getigerter Kater aus dem Gebüsch unterhalb der Eiche schnellte und in die Höhe sprang, um eine Motte zu fangen. Eigentlich kannte sie alle Geräusche, die nachts auf ihrem großen Grundstück zu hören waren, aber heute war sie doch nervöser als sonst. Nur selten war ihr bewusst, dass sie hier draußen in der weiten Knicklandschaft der Geest sehr einsam lebten. Der nächste Bauernhof lag zweihundert Meter weiter am Weg. Durchgangsverkehr gab es nicht. Die Straße wurde nur von Anwohnern und den Bauern mit ihren Treckern genutzt. Zweimal im Jahr kam Bauer Henningsen mit seinen Kühen vorbei.

      Dafür spannte sich der Himmel hier unendlich schwarz mit Millionen Sternen über das Land, und die Gerüche waren erdig und würzig.

      Plötzlich durchbrach ein schrilles Kreischen das melodische Zirpen der Grillen. Die Schleiereule kam lautlos aus dem dunklen Laub der Eiche und flog die Ausfahrt hinaus zur Straße, von wo ein zweites Kreischen kam.

      Obwohl Jenny erkannte, dass es Rufe einer Schleiereule waren, bekam sie eine Gänsehaut. Das war ihr noch nie passiert. Warum musste sie ausgerechnet heute so dünnhäutig sein? Sie wusste, dass früher abergläubische Menschen in einigen Regionen das Rufen von Eulen für die Ankündigung eines Todes hielten. Schaudernd rief sie sich in Erinnerung, dass es auch Leute gab, die meinten, es stände eine Geburt ins Haus, wenn eine Eule rief.

      Doch die Mücken flogen wieder ihre Angriffe und trieben Jenny förmlich ins Haus.

      Ins Bett wollte sie nicht sofort. Mit dem dicken Bauch waren die Nächte nur noch kurz und nicht mehr ausreichend erholsam. Jenny setzte sich Teewasser auf und ging ins Bad, um kurz den Schweiß abzuduschen. Es wurde eine verdammt kurze Dusche, weil sie plötzlich an den Film Psycho denken musste. Die Musik war in ihrem Kopf und schrillte ähnlich wie der Schrei der Schleiereule.

      Wie es wohl Fiona ging? Wie fühlte sich ihr Abenteuer gerade an? Oder dieser Typ? Wonach mochte er riechen?

      Verwundert verbot Jenny sich ihre Gedanken, watschelte im Nachthemd in die Küche, um sich dort für einen Kräutertee zu entscheiden und machte dann im Wohnzimmer die Vorhänge zu und den Fernseher an, um sich noch eine Weile die Talkshow mit Markus Lanz anzusehen.

      Als ihr Mann zu ihr kam, war es völlig dunkel. Zärtlich umfasste er ihren Bauch. Küsste jeden Quadratzentimeter, streichelte ihre vollen Brüste und forderte sie auf, sich auf ihn zu setzten. Bald fühlte Jenny ihn in tief sich. Als sie leise aufstöhnte, ging das Licht an. Jenny erkannte erschrocken, dass unter ihr ein fremder Mann lag, der sie freundlich anlächelte.

      Sie ließ sich fallen. Es ging tief hinab und ihr Schrei übertönte für einen Moment das Klingeln des Telefons.

      Erschöpft wischte Jenny sich über die verschlafenen Augen. Egal, wer da mitten in der Nacht anrief, er hatte sie aus einem schweißtreibenden Traum erlöst.

      Die Nummer auf dem Display konnte sie nicht einordnen. Vielleicht hatte wieder einmal jemand die falsche Nummer gewählt. Das passierte am Samstag öfter und die Leute wollten dann immer ein Taxi bestellen.

      „Ja, hallo!“

      „Jenny, hier ist Peter. Wir stehen schon auf dem Hof, kannst du uns mal aufmachen?“

      „Hallo, Peter! Ja sicher. Einen Moment, ich ziehe mir nur kurz was über. Ist Stefan bei dir?“

      Aber Stefans Kollege hatte schon aufgelegt. Irritiert schüttelte Jenny den Kopf, dann schoss ihr ein schrecklicher Gedanke in den Kopf – Fiona! Ihr war doch etwas passiert. Jenny stürzte fast über ihre jüngste Katze, die sich ihr verspielt in den Weg warf, als sie ins Schlafzimmer eilen wollte.

      „Bloß ruhig bleiben, es wird schon nichts Schlimmes sein. Es wird nichts Schlimmes sein. Alles wird gut! Alles wird gut!“, murmelte sie beschwörend vor sich hin und griff sich einen weiten, langen Kimono, dessen farbige Fröhlichkeit ihr plötzlich übertrieben schrill erschien.

      Noch einmal tief durchatmen, dann öffnete sie die Haustür. Sie sah es sofort an den Gesichtern. Peters Kiefermuskeln zermalmten die schlechten Nachrichten lautlos. Über die Lippen brachte er sie nicht. Seine ältere Kollegin Hilde öffnete den Mund, aber Jenny kam ihr zuvor:

      „Es ist Fiona. Ich habe es geahnt, aber sie wollte nicht auf mich hören. Sie … sie …“, mit offenem Mund brach sie ab, als ein zweiter Wagen auf den Hof fuhr. Fionas winziger Wagen parkte neben dem Polizeiauto und ein riesiger, kahlköpfiger Mann stieg aus. Wohl ein Kollege von Stefan, den sie noch nicht kannte. Aber wo war Stefan? Was hatte er Wichtiges zu tun, wenn ihrer Freundin etwas Schlimmes passiert war? Wenn …, aber wie konnte das sein? Auf der Beifahrerseite sah sie nun Fiona selbst. Lebendig. Unverletzt. Lachend:

      „Für Brötchen war es noch zu früh, aber Ludwig … äh – darf ich vorstellen: Ludwig, das ist meine beste Freundin Jenny. Jenny, das ist Ludwig, mein … äh … ein sehr spezieller Freund und – stell dir vor, Jenny, ich bringe dir einen Frauenarzt zum Frühstück mit! Und Ludwig hat versprochen, er fährt nachher zum Bäcker. Was ist denn los? Ihr macht so komische Gesichter? Wo ist Stefan?“

      „Ja, wo ist Stefan?“, wiederholte Jenny lahm. Die beiden Polizisten pressten die Lippen aufeinander. Peter schloss dabei die Augen. Hilde atmete laut aus.

      Jenny versuchte, sich langsam der Wahrheit zu nähern: „Er ist verletzt und im Krankenhaus, oder?“

      Beide Polizisten schüttelten langsam verneinend die Köpfe.

      Jenny Atem ging immer schneller, während ihre Hände den Bauch umfassten. Ihre Knie wurden weich. Mit keuchendem Atem erreichte sie den großen Korbsessel im Flur. Eine tonlose Stimme im Kopf schrie in die Leere hinein: Das kann nicht sein. Das ist noch ein Traum. Das kann nicht sein. Es kann nicht stimmen!