Karen Erbs

Kapitäne ohne Kurs


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Graben landen.“ Willi hielt das Lenkrad seiner Mercedeslimousine umklammert und wünschte, es sei die Gurgel seiner Frau.

      Stille. Alles, was er sich wünschte, war Stille.

      Statt der Stille gab es plötzlich ein klopfendes Geräusch, das aus der Mitte unter ihnen zu kommen schien. Gefolgt von einem monströsen Dauerlärm, als wollte der Wagen gleich auseinanderbrechen.

      Willi trat auf die Bremse. Zum Glück blieb der schwere Mercedes in der Spur, und er lenkte ihn behutsam an den Straßenrand. Einen Standstreifen gab es hier nicht.

      „Na klasse! Ein toller Urlaub! Jetzt darf ich hier in der Pampa auch noch im Auto übernachten, oder wie? Ich könnte jetzt mit einem Cocktail an einer tollen Hotelbar sitzen, aber du musstest ja unbedingt in dieses bescheuerte Ostfriesland, wo sich die blöden Schafe Gute Nacht sagen.“

      Nord-, es ist Nordfriesland! Aber er bewegte nur lautlos seine Lippen. Und seine Frau war eh etwas schwerhörig. Willi versuchte, wie schon so häufig in seinem Eheleben, die Stimme Gerlindes einfach auszublenden. Er musste sich jetzt konzentrieren.

      Die Situation war wirklich gefährlich. Das Wichtigste war erst einmal die Warnblinkanlage. Ein Glück. Sie funktionierte.

      „Wir sollten vielleicht nicht im Auto bleiben“, wagte er, vorsichtig Gerlindes Vortrag zu unterbrechen.

      „Spinnst du? Ich stelle mich doch hier nicht in irgendeinen sumpfigen Straßenrand bei Regen.“

      „Wenn du meinst. Ich hole dann erst einmal das Warndreieck aus dem Kofferraum und stelle es auf.“

      Willi griff sich entschlossen seine Jacke von der Rücksitzbank und öffnete die Fahrertür. Alles war besser als das Gekeife Gerlindes. Auch Wind und Regen in Nordfriesland.

      Er musste sich etwas schräg halten, um gegen den Wind anzukommen. Der Sturm peitschte ihm den Regen ins Gesicht. Von vorne kam ein langer Konvoi von Autos, die sich hinter einem langsamen Lastwagen stauten.

      Er traute sich nicht weiter von der Straße weg, weil er dann in einen Graben hinunter gemusst hätte, in dem er Wasser vermutete.

      Als der LKW auf seiner Höhe war, bespritze er ihn und ein mächtiger Sog brachte ihn kurz aus dem Gleichgewicht. Er blickte sich um, ob noch alles mit seinem Wagen stimmte und sah, wie sich der LKW und ein anderer genau dort begegneten und den Mercedes fast berührten.

      Hoffentlich bekam Gerlinde einen mächtigen Schreck und wurde sich nun der Gefahr bewusst, dachte Willi.

      Oder …? Sollte er sich lieber noch größere Lastwagen wünschen, die den Wagen samt seiner Ehefrau platt machten?

      Willi war nun völlig durchnässt. Da hätte er auch gleich durch den Graben an seiner Seite schwimmen können.

      Er schätze die Entfernung zu seinem Fahrzeug ab. Stellte das Warndreieck auf die Straße. Dann ging er langsam zurück, wobei er dieses Mal vom Wind geschoben wurde und sich deswegen etwas zurücklehnte.

      Zu seiner Überraschung stand Gerlinde auf dem winzigen Grasstreifen zwischen Auto und Graben im Regen.

      Wenn es irgendwie möglich war, hatte sich ihre Laune noch verschlechtert. Bei ihrem Handy war der Akku leer, und sie meinte, die Lastwagen eben hätten sie fast umgebracht, weil die bekloppten Norddeutschen wie Idioten führen.

      Willi seufzte und ging wieder zum Kofferraum. Er zerrte zwei Schutzwesten hervor, die noch in ihrer Originalverpackung steckten. Ihm wurde bewusst, dass er die schon früher hätte anziehen sollen, als er losmarschiert war, um das Warndreieck aufzustellen.

      Er ging zur Seite des Wagens und gab seiner Frau eine der Packungen.

      „Hier, die müssen wir anziehen. So kann man uns besser sehen.“

      Er riss seine Packung auf und zog sich die Weste über, was eine anstrengende und unangenehme Prozedur bei der Nässe war. Inzwischen tat nicht nur sein Rücken weh, auch sein Kopf dröhnte.

      Gerlinde schrie ihn genervt an, dass er ihr in die Weste helfen sollte.

      Sie stand vor ihm in der Dunkelheit, aber er konnte ihr verwischtes Make-up sehen und ihre runter gezogenen Mundwinkel erkennen. Sie schien vor Wut zu platzen. Tagelang würde sie ihm diese Situation vorwerfen. Der Urlaub war gelaufen.

      Willi sah hinter seiner Frau wieder sich nähernde Scheinwerfer.

      „Warte mal, Gerlinde! Lass uns mit der Weste vor das Auto gehen! Da kann ich im Scheinwerferlicht besser sehen, was ich tue.“

      Er folgte ihr vorsichtig über den glitschigen Straßenrand auf den dunklen Asphalt der Fahrbahn vor ihrem Auto.

      „Oder wir geben dem nächsten Wagen, der dort kommt, gleich Zeichen. Vielleicht nimmt er uns mit zum nächsten Ort.“

      Gerlinde lachte wiehernd, wie es ihre Art war.

      „Und an den Weihnachtsmann glaubst du auch, oder wie?“

      „Ja“, murmelte Willi leise, als er sah, dass der Wagen wieder ein großer Lastwagen war, der seine Fahrt nicht abbremste. Im richtigen Moment, als der rasende Koloss fast auf ihrer Höhe war, gab er Gerlinde einen Stoß und sprang selbst zurück.

      Der LKW hatte einen langen Bremsweg auf der nassen Straße. Das konnte Willi hören, während er sich wieder aufrappelte.

      Gerlinde lag ein Stück weiter auf dem Asphalt. Wie ein weggeworfenes Kleiderbündel sah sie aus. Die Weste hatte sie noch in ihrer Hand.

      Der LKW war etwa auf der Höhe des Warndreiecks zum Stehen gekommen, aber noch stieg niemand aus.

      Ein PKW näherte sich langsam der Unfallstelle und hielt an. Zwei junge Männer stiegen aus. Einer ging zum Kleiderbündel. Einer kam auf ihn zu und legte ihm vorsichtig eine Hand an die Schulter. Fragte, ob er verletzt sei.

      Willi war okay.

      Er war nun frei.

      Aber um zu beweisen, dass er unter Schock stand, wiederholte er noch auf der Trage im Rettungswagen regelmäßig nur einen Satz.

      „Wir waren auf dem Weg nach Friedrichstadt.“

      Kapitäne ohne Kurs

      Als ich dein Gedicht fand, wusste ich sofort: Es ist aus!

      Du hast mich nur verarscht und willst mich verlassen.

      Ja, schau mich nur mit deinen weit aufgerissenen blauen Augen voller Panik an. Du hast allen Grund, Angst zu haben.

      Natürlich habe ich es sofort begriffen.

      Du schreibst ja nicht Chinesisch. Wie konntest du auch nur so blöd sein, den Text auf deinem Schreibtisch offen liegen zu lassen? Hältst du mich für einen Analphabeten oder was?

      Du und deine Freundinnen! Ihr habt immer geglaubt, ich sei ein Depp. Verstünde nichts von Literatur. Hallo? Ich beherrsche sogar den Konjunktiv, wenn ich will. Meinst du, das ginge nur mit einem Studium der Germanistik und bescheuerter Gedichte?

      Männer und Lyrik – das ist ja eines euer Lieblingsthemen, wenn ihr nicht gerade von Jane Austen und ihrer „ach, so wunderbaren Zeit“ schwärmt.

      Mein Gott, habt ihr oft gelästert: Männer und Romantik! Männer und Intelligenz!

      Und eure ständigen Anspielungen auf die Kavaliere und Helden des 19. Jahrhunderts.

      Ich mag ja nicht der Inbegriff des gebildeten, feingeistigen Traummannes sein, aber so blöd bin ich nicht, dass ich nicht sehe, wenn mich jemand verlassen will.

      Dein Text ist doch ganz klar. Wahrscheinlich extra für mich geschrieben. Eine Art Test, so nach dem Motto: Was kapiert dieser hirnlose Goldesel eigentlich? Eine Wette mit deinem Club der Möchtegern-Dichterinnen?

      Die Wette hast du nun verloren!

      Du wirst alles verlieren, mein Liebchen fein.

      Schwimmst bald dort im Wasser deiner