Aline S. Sieber

Dryade


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offene Ausdruck im Gesicht seines Sohnes ließ Cal zögern. Er hoffte, das war ihm nicht anzumerken, als er seinem Sohn winkte, ihm zu folgen. Er ging in dessen Zimmer und schloss die Tür hinter ihnen. Nico flezte sich aufs Bett.

      „Was ist denn jetzt so wichtig, Dad?“

      „Du weißt, dass du in wenigen Tagen siebzehn wirst?“

      „Natürlich. Ich arbeite doch schon ein ganzes Jahr drauf hin. Was denkst du denn?“

      Schalk blitzte seinen Augen. Cal beschloss, dem Jungen sein Handeln erst zu begründen, damit er Nicolai zu nichts zwingen musste.

      „Sieh mir in die Augen.“

      Cal ließ den Zauber fallen, der seine Augen menschlich erscheinen ließ. Er wusste, was Nico nun sehen würde: schwarze Iriden, die fast den gesamten sichtbaren Raum einnahmen, umrandet von einem dünnen hellblauen Band. Das Weiß der Augäpfel war bei Dryaden nur an den Seiten leicht ausgeprägt. Die Reaktion seines Sohnes ließ nicht lange auf sich warten. Nico wurde ernst. Dass er nicht erschauderte, gereichte ihm durchaus zum Vorteil.

      „Was willst du mir damit beweisen?“

      „Ab deinem siebzehnten Geburtstag wirst du nicht mehr menschlich sein, Nico.“ Beziehungsweise war er es auch nie gewesen, schließlich schlummerte das Potential eines Dryaden schon sein ganzes Leben lang unter seiner Haut. Die Unterschiede zwischen Nicolais und Mattheus´ Wandlung wiesen allerdings darauf hin, dass sein jüngerer Sohn kein Eisdryade sein würde, sondern wie er selbst ein Eismagier. Und das war das Problem. Wenn er das dem Jungen jetzt allerdings alles auf einmal sagte, wäre es zu viel. Schon allein das, was ihnen jetzt noch bevorstand, war hart.

      Nicolai keuchte auf.

      „Du machst mir Angst, Dad. Was sollte ich sein, wenn ich nicht länger menschlich wäre?“

      „Die Sierewski sind Dryaden, mein Sohn. Mythenweltgeschöpfe. Dein Element wird das Eis sein. Deswegen leben Wesen unserer Art für gewöhnlich in den polaren Regionen. Du wirst ohne einen Schutzzauber nicht einmal mehr das Haus verlassen können, wenn du nicht bei lebendigem Leibe verbrennen willst. Und zudem habe ich starken Verdacht zu der Annahme, dass du meine Anlagen bezüglich der Eismagie geerbt hast. Wenn ich mich nicht täusche, wirst du ein stärkerer Eismagier werden als ich es je war und sein werde. Deine Kraft ist noch ungezügelt und wenn du mir nicht erlaubst, sie zu hemmen, werden uns andere Mythenweltgeschöpfe bis zu deinem Geburtstag aufspüren und töten.“

      Nico starrte seinen Vater an. Dann schüttelte er langsam den Kopf.

      „Das ist verrückt. So etwas gibt es nicht, Dad.“

      Caleb ließ statt einer Antwort eine Stichflamme blauen Eisfeuers auf seiner Handfläche erscheinen. Sein Sohn beobachtete es mit gleichen Anteilen von Schrecken und Faszination.

      „Fass hinein. Es wird dich nicht verbrennen.“

      Der Junge streckte die Hand aus. Er fuhr mit der Handfläche über das Feuer. Es war, wie sein Vater gesagt hatte. Die eisigen Flammen liebkosten seine blasse Haut und erfüllten ihn mit wohltuender Kälte. Er zog sie wieder zurück.

      „Was muss ich tun, um unsere Familie zu schützen?“

      Cal nickte. Er bemühte sich, seine Erleichterung nicht zu deutlich zu zeigen. Das hier würde schwer werden, das wusste er. Der Zauber war so kompliziert, dass sie beide sterben konnten, falls das hier schief ging.

      „Leg dich hin. Ich werde dich mit einem Zauber belegen, der deine Entwicklung in die magische Richtung zumindest solange hemmt, bis du deine Kraft kontrollieren kannst,“ erklärte er, während Nico der Anweisung nachkam. „Es könnte ein wenig unangenehm werden.“

      Ein eisiger Wind fegte durch das Zimmer, obwohl beide Fenster geschlossen waren. Cal zog die Augenbrauen zusammen und beschleunigte seine Bewegungen. Dabei drehte er sich ein Stück weit von seinem Sohn weg, um die Macht nicht versehentlich an Nicolai zu verlieren. Wenn der Junge jetzt schon seine Umgebung beeinflussen konnte, stand er schon sehr knapp an der Schwelle zur Wandlung.

      „Beruhige dich, Nico. Ich habe nicht gesagt, dass es wehtun wird.“

      Sein Sohn atmete leise aus und versuchte, sich zu entspannen.

      „Vater..Da ist jemand hinter dir.“

      Das leise Stöhnen des Jungen ließ Caleb herumfahren.

      „Jäger.“

      Die schwarzgewandete Gestalt wandte sich ihm zu, sah ihm ins Gesicht. Ein Messer, von ihrer Hand geführt, lag an der Kehle des Jungen.

      „Caleb Sierewski. Endlich habe ich dich, Zauberer.“

      „Lass meinen Sohn los. Ich muss diesen Zauber ausführen, sonst ist meine Familie bald vogelfrei.“

      Im Gesicht des Jägers war keine Gefühlsregung zu erkennen. Cal spannte sich innerlich an. Er würde den Jäger töten, sobald sich die Gelegenheit bot. Und dann würde seine Familie erneut fliehen müssen. Aber das war es, was er schon sein ganzes Leben lang in Kauf genommen hatte. Er hoffte nur, es nicht vor den Augen seines Sohnes tun zu müssen…

      „Ich warte so lang.“

      Das Messer bewegte sich keinen Millimeter, als Cal näher kam, um Nico die Hand auf den Oberkörper zu legen.

      „Wenn du ihm Angst machst, wird daraus nichts.“

      Der Jäger trat einen Schritt zurück und an Cals Seite.

      „Keine Tricks. Oder du hast die längste Zeit eine Familie gehabt.“

      Cal biss die Zähne zusammen. „Sieh mich an, Nico.“

      Sein Sohn kam dem Befehl nach. Der Eismagier begann mit der Litanei, sobald ihre Blicke sich trafen.

      Abwartend stand der Jäger neben ihm. Nicos Augen schlossen sich, obwohl Cal fühlte, wie sein Sohn dagegen ankämpfte. Dann fiel sein Kopf leicht zur Seite. Als Cal einen Schritt zurück trat, spürte er, wie sich ein stumpfer Gegenstand zwischen seine Rippen bohrte. „Warum müsst ihr mich unbedingt töten?“

      Der Jäger schnaubte. „Du bist zu einer unberechenbaren Gefahr für das Allgemeinwohl geworden.“

      „Das Allgemeinwohl. Und was ist, denkst du, ein Atomkraftwerk?“

      „Die können wir nicht aus dem Weg räumen.“

      Ein hauchdünnes Messer fraß sich einen Weg durch sein Fleisch bis hin zum Herzen des Eismagiers. Cal ging zu Boden, während der Jäger ihn im Würgegriff hielt. Nicolai kam wieder zu sich und schrie auf, als er sah, in welcher Gefahr sein Vater schwebte.

      „Dad!“

      Er stürzte sich auf den Jäger. Der ließ den Sterbenden los und schlug den Jungen nieder. Nach einem Blick auf den Magier vergewisserte er sich, dass dieser nun auch wirklich sterben würde, bevor er dessen bewusstlosen Sohn eine Flüssigkeit einflößte.

      Er murmelte: „Du wirst dich nicht hieran erinnern.“

      Der Junge schlug die Augen auf und bäumte sich unter dem Griff des Jägers auf. „Nein!“

      Der Knauf des Messers schlug gegen seine Schläfe. Es wurde schwarz um ihn herum.

      Nico erwachte mit Kopfschmerzen. Seltsamerweise konnte er sich nicht daran erinnern, in sein Zimmer gegangen zu sein. Er stand auf und stieß mit dem Fuß gegen etwas Weiches am Boden. Er vermutete ein T-Shirt, das wegzuräumen er vergessen hatte und wollte es beiseiteschieben, bevor er sich mit einem Blick noch einmal dessen vergewisserte. Er sah zu Boden und blickte in das schmerzverzerrte Gesicht seines Vaters.

      „Dad!“

      Er kniete sich neben dem Verletzten nieder.

      „Was ist passiert?“

      Cal resignierte. Er sah seinem Sohn an, dass der Trank des Jägers gewirkt hatte. Es war zu spät, um Nico noch einmal in die Geheimnisse seiner Familie einzuweihen.

      „Sag deiner Mutter,