Aline S. Sieber

Dryade


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bereiten, aber er wollte so sehr, dass ihm jemand sagte, dass alles wieder gut wurde, damit er vergaß, warum er so traurig war.

      Und es gab keinen Vater mehr, der ihn in den Arm nehmen und trösten konnte…

      Er wollte seinen Bruder zurück, sofort.

      Und ein kleines Bisschen fragte er sich, ob Nicolai je wieder kommen würde, um mit ihm zu spielen, egal, wie sehr er es sich wünschte, egal, wie gern er ihn hatte.

      Matt streichelte ein wenig überrascht über das schwarze Haar, das so sehr war wie Nicos, als ihm sein jüngster Bruder um den Hals fiel und zu weinen begann.

      „Es wird alles gut, mein Kleiner.“

      Auch, wenn er nicht wusste, wie, würde er schon irgendwie dafür sorgen.

      Neben ihm brachen die Zwillinge ebenfalls in Tränen aus, als sie Konstantin weinen sahen, und wollten beide von ihrer Mutter in den Arm genommen werden.

      Matt sah zu ihnen hinüber, beobachtete ihre innige Umarmung, und verspürte den Wunsch, ebenfalls in den Arm genommen zu werden.

      Er schlang seine Arme fester um den Körper seines Bruders und spürte, wie sein Hemd von dessen Tränen durchnässt wurde. Er wünschte, es gäbe da draußen jemand, der ihnen helfen würde, das alles zu überwinden. Wenigstens Nico wieder zu finden, wenn er schon nicht alles haben konnte.

      Tränen stiegen nun auch in seine Augen und er hielt seinen kleinsten Bruder fest wie einen Rettungsanker. Warum war niemand hier, wenn man ihn brauchte?

      San Francisco, Vereinigte Staaten von Amerika, 2011

      Nico kniete auf dem Boden. Sein Atem ging so schnell, dass sein ausgetrockneter Hals beinahe den Dienst aufgab. Ein weiterer Peitschenschlag traf seinen Rücken. Er biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Stattdessen drang ein dumpfes Keuchen aus seinem Mund und hallte qualvoll laut im Raum wider.

      Mit den gefesselten Händen versuchte er, sich so gut wie möglich auf dem Boden abzustützen, doch es gelang ihm nur mäßig. Blut rann an seinem Oberkörper herunter und tropfte auf den Boden. Seine Hände waren schon rot und ganz glitschig, was es noch schwerer machte, das Gleichgewicht zu halten. Er dachte kurz an seine Familie, und wie viel lieber er jetzt bei ihnen gewesen wäre, um ihnen zu helfen, sie zu unterstützen und sich von ihnen unterstützen zu lassen, bis der Schmerz das Denken in den hintersten Winkel seines Gehirn verfrachtete. Auch der nächste Schlag ließ ihn nur aufkeuchen. Fast mit Gewalt brach sich der Gedanke Bahn, dass sein Vater, wenn er nur hier wäre, ihm hätte helfen können… Das warme Blut an seinem Körper kühlte ab, wurde eisig und gefror, ohne dass Nicolai ahnte, dass er selbst der Auslöser dafür war. Viel zu beschäftigt war er mit dem Gedanken, dass sein Vater tot sein musste, denn sonst hätte er ihn schon längst hier raus geholt. Vielleicht suchte ja trotzdem irgendjemand nach ihm..Matt vielleicht…

      Schon beim dritten Schlag brach er zusammen. Die Wunde verursachte solchen Schmerz, dass ihm übel wurde und er, sich zusammenkrümmend, würgen musste. Nichts kam heraus, schließlich hatte er seit einer scheinbaren Ewigkeit nichts zu essen bekommen. Er hatte die Vermutung, dass sie das mit Absicht taten, um ihn schwach zu halten.

      Der Vampir musste absichtlich fester zugeschlagen haben, denn Nico fühlte, wie sich das Blut in einer langen Wunde sammelte, die von seinem Nacken bis hinunter zum Hosenbund führte. Auch dort wurde das Kleidungsstück feucht. Ihm wurde klar, dass der Vampir ihm auch den Oberschenkel aufgerissen hatte.

      Er bäumte sich mit letzter Kraft auf, als der Vampir neben ihm in die Knie ging. Die Methode der Vampire zeigte Wirkung, seine Kraftreserven waren praktisch nicht vorhanden. Scharfe Zähne bissen dicht neben der offenen Wunde zu und saugten genüsslich. Nico atmete panisch immer schneller. Das schmatzende Geräusch verstummte. Der Vampir bewegte sich ein Stück und leckte die Wunde aus. Die Blutung versiegte und der pochende Schmerz ebenfalls. Zum Ausgleich für diese eine ließ er die anderen aber offen.

      Nico konnte nur daliegen und spüren, wie das Leben aus ihm herausrann, während das Gift, das die Vampire mit ihren Bissen absonderten, langsam in seinen Blutkreislauf eindrang und ihn bewegungsunfähig machte. Hoffentlich ging es seiner Familie gut. Bitte, Gott, mach dass es ihnen gut geht, dachte er, während er an die farblose Wand starrte. Es hatte sein Leben zerstört, in diesem Moment nach Matt gesucht zu haben, um ihn von dem Unglück ihres Vaters zu unterrichten. Es musste einfach zu irgendetwas gut gewesen sein, dass er hier sterben würde…

      Er schloss die Augen in stiller Resignation, die mit der zunehmenden Schwäche einherging. Sein Atem ging ruhiger und das Blut trocknete langsam an. Im Geiste sah er die Gesichter seiner Geschwister vor sich: Konstantin, der so stolz darauf gewesen war, einen großen Bruder zu haben, der mit ihm spielte; Olga und Wera, die so zuckersüß aussahen, wie sie mit ihren Puppen spielten, aber es in Wahrheit wirklich in sich hatten. Matt, der mit seiner ein wenig ruppigen Miene versuchte, so gut wie möglich für die Familie da zu sein…Und schließlich seine Mutter, Nadja, die immer für sie alle da gewesen war, ganz gleich wann oder wie oder warum. Die immer dafür gesorgt hatte, dass alles rund lief, das Haus sauber war, Essen auf dem Tisch stand und sie mit ihrer unvergleichlichen, stillen Liebe und Fürsorge umgeben hatte. Genau wie sein Vater, der ein wenig Probleme zu haben schien, sich auszudrücken, aber das Geld heranschaffte und die leitende Hand des Hauses war. Sie alle beschützte. Seinen Vater in scheinbarer Gegenwart so real vor sich zu sehen, trieb Nico genauso die Tränen in die Augen wie das Wissen, dass er sie alle wahrscheinlich nie wieder sehen würde.

      Zumindest war es ein vergleichsweise friedlicher Tod im Vergleich zu dem, was er hier schon erlebt hatte…Einfach sanft entgleiten, gelähmt vom Gift des Vampirs, während er an seine Familie dachte…

      Es war eigentlich keine schlechte Art zu sterben.

      Der Vampir bemerkte, dass sein Gift wirkte. Die Vitalfunktionen des Dryaden waren deutlich herunter gefahren. Und auf seinen Wangen glitzerten Tränenspuren, die eindeutig vorher noch nicht da gewesen waren. Das ehemals glatte schwarze Haar des Jungen war verfilzt, seine Sachen und sein Körper dreckig. Er würde einen der Sklaven anweisen, ihn zu waschen, wenn er hier fertig war.

      Und das war noch nicht jetzt. Dass der Dryade offenbar zu glauben schien, dass es vorbei war, machte das Ganze nur noch amüsanter.

      Er packte den Jungen an der Hüfte und warf ihn ein Stück hoch. Minutenlang starrte der Vampir sein Opfer einfach nur an, um sich an dessen Angst zu weiden. Die Resignation, die er stattdessen entdeckte, als der Dryade die Augen öffnete, ließ ihn die Zähne fletschen. Und das nicht nur, weil der Geruch des Blutes noch in der Luft lag. Seltsam teilnahmslos beobachtete der Dryade den Vorgang. Erst, als er den Jungen mühelos ein Stück hoch hob und ihn sich über die Knie legte, konnte er wieder die vertraute Angst sehen.

      Sein Kopf schoss nach vorn und die Reißzähne bohrten sich in die Brust des Jungen, nur Millimeter von den empfindlichen Brustwarzen entfernt. Nico erbebte und wimmerte leise, außerstande, sich zu wehren. Das bösartige Geschöpf lachte in sich hinein und verpasste seinem Opfer dann mit einem Hieb eine tiefe, stark blutende Wunde. Dann lehnte er sich kurz zurück und genoss die Schmerzen des Jungen, bevor er fortfuhr.

      Als er seine Zähne in den Hals des Jungen hieb, fiel dessen Kopf zurück und die nach Dryadenart gestalteten Augen blieben weit offen. Die zahlreichen blutenden Wunden verbreiteten ein herbes Blutaroma in dem hässlichen Raum, in dem der Dryade gefangen gehalten wurde. Rost und Tod. Der Vampir atmete tief durch die Nase ein, um alles von dem Augenblick in sich aufzunehmen.

      Er würde wiederkommen.

      Und wie er hierher zurück kommen würde.

      San Francisco, Vereinigte Staaten von Amerika, 2012

      Nico gehörte zu den Blutsklaven, die ausersehen waren, die Gäste zu erfrischen. Das gewährte ihm in den Tagen vor dem Fest eine gewisse Schonung. Den Vampiren war es bis zu jenem Tag verboten, ihn zu verletzen oder gar Gliedmaßen auszureißen. Er wusste nicht, ob sie so etwas tatsächlich vor hatten, aber er hatte Schreie