Aline S. Sieber

Dryade


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als wäre er nicht besser als ein Tier.

      „Bist du wahnsinnig?!“

      Nico hörte den Ausruf des fremden Vampirs nur noch undeutlich. Er zitterte vor Blutverlust, während der, der bisher über ihm gekniet und sein Blut gesaugt hatte, sich aufrichtete. Die Hand des Jungen zuckte kurz, als der andere die offene Wunde berührte, die einmal sein Bauch gewesen war.

      „Du bringst ihn um.“

      „Seit wann stört dich das?“

      „Seit ich entdeckt habe, dass das Blut von Eisdryaden derart nahrhaft ist. Tu was du willst, aber lass ihn am Leben.“

      Noch bevor ihm endgültig die Sinne schwanden, spürte er den Geschmack von Blut im Mund. Eisdryade? Dann hatte Linan Recht..

      „Nein!“, murmelte er.

      Der Vampir brachte ihn zum Schlucken, dann wurde es schwarz.

      „Darf ich dir helfen?“

      Ein weiterer Vampir war vor ihm niedergekniet. Der hier sah zwar jünger aus, aber er war nichtsdestotrotz ein Vampir. Nico wich zurück. Wieder wurde ihm schlecht. Der andere drehte kurz den Kopf, um sich zu vergewissern, dass da niemand mehr war.

      „Sch. Ganz ruhig. Ich tu dir nichts.“

      Dann wiederholte er noch einmal seine Frage, langsam diesmal.

      „Darf ich dir helfen?“

      Das hier war ein Vampir, ein Vampir, der ihn höchstwahrscheinlich schlagen würde – oder Schlimmeres – wenn er das Angebot annahm…Aber er hatte solche Schmerzen. Er konnte nicht mehr klar denken, sich nicht bewegen, ohne dass er vor Schmerz zu wimmern begann…

      Nico nickte ein klein wenig.

      Schlimmer konnte es nicht mehr werden, selbst wenn das hier eine neue Masche war, die sie an ihm ausprobieren wollten. Der Vampir rückte zu ihm hin und legte ihm die Hände auf.

      „Wie heißt du?“

      „Nicolai Sierewski.“

      „Sierewski? Sibirien, richtig? Ich werde versuchen, deine Familie zu verständigen. Wo kann ich die finden?“

      Nico schwieg. Auch, wenn der Vampir ihm jetzt half, war es möglich, dass er das nur tat, um an seine Familie heranzukommen, und das würde er auf keinen Fall zulassen. Der Vampir warf ihm einen undeutbaren Blick zu, den Nicolai als Bedauern interpretierte. Erstaunlicherweise hörte der Vampir nicht auf mit dem was er tat, sondern fuhr fort.

      „Ich bin Henry. Geht es dir jetzt besser?“

      Nico überprüfte, ob das der Fall war und stellte überrascht fest, dass es stimmte. Seit dem Vorfall mit Violet war das das erste Mal, dass er keine Schmerzen hatte. Er nickte.

      Der Vampir sah ihm noch einmal kurz in die Augen, nickte, stand dann auf und verschwand. Er würde Hilfe holen.

      Die Tür flog nur Sekunden später auf. Der Vampir stürmte herein und sah sich um. Er roch die Teleportation.

      „Wer war das?“

      Sein Peiniger kam näher und riss ihn hoch. Die Ketten, mit denen er neuerdings gefesselt war, klirrten. Er konnte fühlen, wie sein Knochen splitterte, als der Vampir ihm ins Gesicht schlug. Blut lief ihm übers Gesicht, der Schmerz war sofort wieder da. Es war, als wäre der Fremde nie hier gewesen. Voller Wut schleuderte der Vampir ihn gegen die Wand. Beim Geräusch splitternder Knochen wurde Nico schwarz vor Augen.

      Er erwachte schreiend. Der Vampir kniete über ihm und hielte seinen Kopf fest, während er mit der freien Hand nach dem Auge des Jungen griff. Dann hatte er es gefunden und bohrte seinen Finger hinein. Der Schmerz war das Grässlichste, was Nico bisher erlebt hatte. Der Vampir riss an dem Auge. Plötzlich war da nur noch Blut. Der Vampir war nicht so gnädig, ihm zu erlauben, das Bewusstsein zu verlieren. Nico hörte ein unmenschliches Schreien, das ihm in den Ohren schmerzte. Er erkannte es nicht als sein eigenes. Erst, als er kaum noch Knochen im Leib fühlte, die nicht gebrochen waren, verschlang ihn die lindernde Schwärze.

      Henry war schon zu weit weg, um die Schreie zu hören. Er materialisierte sich direkt neben Chris, das angstverzerrte Gesicht des Dryaden noch immer klar vor Augen. Der Junge hatte Todesangst gehabt. Er kam immer, wenn er in der Gegend war, in die Lagerhallen. Die Vampirmafia in San Francisco hielt Blutsklaven, seit sie existierte. Er heilte, wo er nur konnte, nur, um am nächsten Tag oder in der nächsten Woche erfahren zu müssen, dass seine Patienten gestorben waren. Er wusste, dass sie ihn irgendwann vermutlich erwischen würden und in diesem Fall blühte ihm kein besseres Schicksal als den armen Kreaturen, denen er half. Deswegen konnte er immer nur sehr unregelmäßig kommen, um keine Spuren zu hinterlassen. Aber die Wesen, die dort gefangen gehalten wurden, erlebten das schlimmste Schicksal, das er sich nur vorstellen konnte. Selbst ein Heiler war gegen die Alpträume nicht gefeit, die ihn nach einem solchen Besuch oft noch wochenlang heimsuchten.

      Chris schlang von hinten die Arme um ihn.

       Du hast es wenigstens versucht. Und jetzt hast du ja mich.

      Henry grinste und drehte sich um, um seinen Freund auf den lächelnden Mund zu küssen. Es war noch immer ein wenig seltsam, die Gedanken eines anderen so einfach mithören zu können, aber er bekam allmählich Übung darin.

      Nico merkte, dass er sich veränderte. Zunächst hatte er es der unverhofften Heilung durch den Vampir zugeschrieben, aber seit der andere Vampir ihm das Auge heraus gerissen hatte, war er viel schneller geheilt als vorher. Sehr zum Vorteil der Vampire, schließlich hatten sie so mehr Gelegenheiten, ihn zu benutzen. Es musste daran liegen, dass er sich wandelte. Etwas in der Art. Er war schließlich nicht dumm; Nico konnte spüren, wie er schneller gesund wurde. Er fühlte sich auch nicht mehr so schwach, als wäre er dem Tod für einen Moment entronnen. Was eine irrsinnige Hoffnung war, wie er wusste, weil die Vampire es ebenfalls bemerkt hatten und ihn nun nur noch besser bewachten.

      Ihr Gift wirkte nicht mehr so stark auf ihn. Sehr zu seinem Leidwesen dauerte es nun länger bis er bewusstlos wurde und zog so auch seine Qual in die Länge. Und sie hatten ihm das angetan, verflucht sollten sie sein. Er ahnte, dass er auf irgendeine Weise anders als vorher auf das Gift reagierte. Sie würden ihm zwar nicht die Zeit lassen, es herauszufinden, aber entweder er entwickelte eine Art Immunität...oder das hier war die Ruhe vor dem Sturm, auf die etwas noch Schlimmeres folgen würde.

      Wenn er allerdings dem unguten Bauchgefühl Glauben schenkte, dass er bei alldem hier hatte, dann musste er noch einen weiteren Faktor in Betracht ziehen. Sie ließen ihm zwar nicht besonders viel Zeit zum Nachdenken, besonders, da er sich zu Tode fürchtete, wenn er auch nur daran dachte, was als Nächstes auf ihn zukommen würde, aber in der Kürze der Zeit war er trotzdem zu einem Resultat gekommen.

      Es konnte sein, dass er mit dem Blut des Vampirs auch noch etwas anderes in sich aufgenommen hatte. Etwas, das sich nun in ihm ausbreitete und wucherte wie Unkraut.

      Etwas, das ihn zu einem Teil ihrer bizarren Gesellschaft machte.

      Ihm graute nur noch mehr, wenn er daran dachte.

      Seit sie entdeckt hatten, dass nicht nur das Blut des Dryaden ihnen Geld bringen konnte, verschacherten sie ihn stündlich. Nachdem die Besucher wieder gegangen waren, überprüften die Vampire ab und an, ob er noch lebte, und wie viel Blut er noch entbehren konnte, bevor sie den oder die nächste vorließen.

      Ihm schwante, dass sie ihn irgendwann einfach tot vorfinden und dann als Sondermüll entsorgen würden. Sein Körper war allerdings schon viel zu lange ein Frack, als dass Nico sich besondere Sorgen um diesen Umstand machen konnte.

      Er wünschte sich einfach nur, dass es irgendwann vorbei war…

      Die Misshandlungen waren inzwischen so schlimm, dass Nico den Hauptteil des Tages in einem Dämmerzustand verbrachte. Er war zu schwach, um sich zu wehren, als sie ihm Drogen spritzten. In gewisser Weise retteten sie ihm damit das Leben, denn er war sich sicher, dass er verrückt geworden wäre, wenn sie ihn nicht betäubt hätten. Andererseits tat sein Körper so weh, dass er jedes Mal erneut gelinde Überraschung