Aline S. Sieber

Dryade


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abgehalten hätte.

      Violet ließ von ihm ab und auch Phillip erhob sich. Sie küsste ihn auf den noch immer blutverschmierten Mund, bevor sie sie noch einmal ausgiebig liebten, um den Abend zu vervollkommnen. Dann zogen sie sich wieder an und verließen beide mit federnden Schritten den Partyraum, mit dem Wunsch, die soeben aufgenommene Energie gewinnbringend wieder abzubauen. Sie würden heute Nacht noch eine Menge Spaß haben, so viel war sicher.

      „Seid Ihr sicher, dass er noch lebt?“ Der Gnom sah zweifelnd zu dem Vampir herauf, der ihn begleitet hatte, nachdem seine Artgenossen den Jungen nicht ordnungsgemäß wiedergebracht hatten. Immerhin, ihre zweistündige Frist hatten sie eingehalten.

      Der junge Dryade lag blutüberströmt da, weder Atem noch Puls waren erkennbar. Seine Glieder standen in seltsamen Winkeln ab.

      „Ich kann sein Herz schlagen hören.“

      Mit einem Grummeln griff der Gnom nach dem reglosen Körper und zerrte ihn auf eine Art Schubkarre. Die Vampire, die dem bedauernswerten Geschöpf das angetan hatte, befanden sich jetzt sicherlich in einer Art Delirium.

      Nico brauchte mehrere Wochen, um sich von der brutalen Behandlung Violets und ihres Freundes zu erholen. Am Anfang war er den Großteil des Tages ohnmächtig, aber als es schließlich ein wenig besser wurde, verlor er vor Schmerz fast den Verstand. Seine Knochen heilten nur langsam, vor allem, wegen des ungeheuren Blutverlusts. Da selbst die Vampire offenbar eingesehen hatten, dass sie eine ihrer wichtigsten Blutquellen verlieren würden, wenn sie ihn auch weiterhin benutzten, ließ man ihn eine Zeit lang in Ruhe. Dafür verfrachteten sie ihn sogar in eine Kammer, die nur ein paar Schritte von der entfernt lag, die sonst sein Gefängnis war, aber offensichtlich eine Art Lazarett darstellte. Ein paar andere Nicht-Vampire waren ebenfalls hier untergebracht, sie alle trugen die Handschrift von unmenschlicher Grausamkeit. Es gab sogar einen Patienten mit nur noch einem Bein, womit sich die schaurige Theorie der abgerissenen Gliedmaßen in der schlechtesten Weise bewahrheitete.

      Als Nico wieder einmal zwischenzeitlich das Bewusstsein wiedererlangte, stupste ihn etwas seitlich an. Als er mühsam den Kopf drehte, sah er in die schräg stehenden Augen eines Mädchens. Auch bei ihr waren mehrere Gliedmaßen gebrochen, unter anderem beide Beine.

      „Hallo, ich bin Linan. Wer bist du?“ Ein leicht rollender Akzent schwang in ihrer Stimme mit, der seinem eigenen ein wenig ähnelte.

      „Nico.“

      „Und was bist du? Oh, warte, lass mich raten!“

      Sie musterte ihn von oben bis unten. Schwarze Haare, weiße Haut. Augen, die so groß und schwarz waren, dass sie unwillkürlich von ihnen gefesselt wurde. Ein schmaler, blauer Rand und das kaum sichtbare Weiß der Augäpfel… Eins seiner Augen war zugeschwollen von dem Schlag, der ihm dorthin verpasst worden war.

      „Du bist ein Dryade, nicht wahr? Ein Eisdryade?“

      „Wahrscheinlich, ja.“

      „Du weißt es nicht?“ Ihr seltsamer Akzent war plötzlich fast verschwunden und sie sah ihn ernst an.

      „Woher kommst du?“

      „Weißrussland.“

      „Aber wenn du aus Weißrussland kommst, musst du ein Eisdryade sein. Andere Wesen gibt es dort oben nicht. Du bist aber nicht sehr gesprächig, oder? “

      „Nein. In der Regel nicht. Aber ich kann ja mal eine Ausnahme machen.“

      Er wurde gleich darauf von einem Hustenanfall geschüttelt. Seine gebrochenen Rippen schmerzten fürchterlich.

      „Ich habe sie sagen hören, dass dein Blut das schmackhafteste von uns allen ist. Wenn du nicht entkommst, werden sie dich töten. Das ist dir klar, oder?“

      „Wie sollte ich denn entkommen. Es gibt niemanden, der mir helfen würde.“

      „Was ist mit deiner Familie, Dryade? Die würde dich doch sicherlich freikaufen.“

      „Sie wissen nicht, dass ich hier bin.“

      „Oh, das ist aber traurig. Meine Familie steht bereits in Verhandlungen mit den Vampiren. Wenn sie nur genug zahlen, komme ich auch hier raus. Hexen machen das so.“

      „Du bist eine Hexe?“

      „Ja, was glaubst du denn, Dryade? Ich bin schon einmal kein Vampir, wäre ich ein Werwolf würdest du es merken, ich bin auch nicht wie du und einen Fischschwanz habe ich auch nicht. Es bleibt also nicht viel übrig.“ Tatsächlich blieb noch eine ganze Menge übrig, und das wusste sie.

      „Entschuldige.“

      „Und ich glaube, dir täte es besser, wenn du auch weiterhin den Mund hältst. Sei mir nicht böse, aber du siehst scheiße aus.“

      Er versuchte ein Lächeln, stöhnte dann aber vor Schmerz, als seine Schläfen zu pochen begannen. Unter Linans prüfendem Blick wurde er ein weiteres Mal ohnmächtig.

      Nico erwachte aus seinem Halbschlaf, als sein Bett sich ruckartig bewegte. Er zuckte zusammen und stöhnte vor Schmerz. Langsam öffnete er die Augen. Ein Vampir beugte sich über ihn. Er musterte gierig Nicos pochende Halsschlagader. Nur kurz schweifte sein Blick ab und streifte die Augen des Jungen.

      „Ich habe schon viel zu lange gewartet. Wenn ich nicht endlich dein Blut bekomme, drehe ich durch!“

      Es gab Vampire, die so viel Blut zu sich genommen hatten, dass sie davon wahnsinnig geworden waren, und einen unstillbaren Hunger nach immer größeren Mengen Blut entwickelten. Sie starben in der Regel recht schnell, weil sie unvorsichtig wurden. Nico war sich sicher, ein solches Exemplar vor sich zu haben. Sein rational denkender Verstand fiel aus, als er dem Kerl weiterhin in die Augen starrte. Die Panik brach durch, als er versuchte, sich auf irgendeine Weise zu wehren, wie auch immer…und es ihm einfach nicht gelingen wollte. Er versuchte krampfhaft, seine Hände zu heben, um den Vampir fortzustoßen, doch dann stellte er zu seinem Entsetzen fest, dass seine Hände ans Bett gekettet waren. Trotzdem hob er sie, soweit es ging, um den Blutsauger von sich weg zu schieben. Als seine Handflächen den Körper des Vampirs berührten, schlug dieser ihn ins Gesicht. Sein Kopf flog herum. So sah er, dass Linan ihn beobachtete. Der Vampir beugte sich über ihn und schlug seine Zähne in Nicos Hals. Seine Augen verdrehten sich nach oben. Das Gift wirkte schnell und setzte ihn außer Gefecht.

      Als er diesmal erwachte, schmerzten die Farben in seinen Augen. Das Licht war zu grell, die Geräusche zu laut. Er ertrug es kaum, dass Bettlaken auf seinem beinahe nackten Körper zu spüren. Als er die Augen wieder schließen wollte, kniete sich eine Vampirin neben sein Bett, die ihn kritisch musterte. Sie schob eine Hand unter seinen Kopf und hinderte ihn so daran, zur Seite zu kippen. Die Welt drehte sich vor seinen Augen.

      Ihr blutroter Blick flog über sein Gesicht, huschte dann aber weiter zu seiner Halsschlagader.

      „Er hat es überlebt. Gerade so.“ Im Hintergrund erklangen Schreie. Er hörte, wie etwas dumpf auf den Boden fiel und noch weiterrollte. Er meinte sogar zu hören, wie Blut an die Wand spritzte. Seine Augenlider waren so schwer, dass sie wieder zu fielen.

      „Linan?“

      Sein erster Gedanke war, dass sie gesehen haben musste, wie der Vampir sich auf ihn gestürzt hatte. Doch als er den Kopf nach links drehte, war das Bett leer.

      „Sie ist tot.“, erklang es von der anderen Seite des Raumes. Nico erschauderte.

      „Was?“

      „Sie hat versucht, abzuhauen, nachdem der Blutsauger dich attackiert hat. Ist ihr nicht gut bekommen.“

      Nico schloss wieder die Augen. Linan war also tot. Er hatte sie als so etwas wie seine Freundin betrachtet. Außerdem war sie die einzige gewesen, die ihm möglicherweise mehr über sein Wesen erzählen hätte können. Tot. Als er das Wort dachte, fügte sein Unterbewusstsein einen weiteren Satz hinzu: Das wirst du auch bald sein.

      Leider war die Erholungspause auf der Krankenstation viel zu kurz. Sobald er wieder länger bei Bewusstsein blieb und genug Blut produzierte, holten die Vampire ihn wieder ab,