Friederike Kielisch

Die Todgeweihten grüßen dich


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tun. Er sah mich allein in der Disko unserer Stadt, und als ein lieber Bekannter war er stolz, mir seinen älteren Bruder vorstellen zu können.

      Ali fing mich also einmal mit den Worten ab: „Schau mal Franziska, soll ich Dir mal meinem Bruder Ali vorstellen? Der ist draußen, und er hat einen weißen BMW!“

      Oh Ali, der Ältere, konnte grinsen wie ein Kobold, frech und verschmitzt, zugleich. Ganz stolz waren beide Brüder auf den schicken BMW, tiefer gelegt, mit Spoiler, den sie besaßen.

      Zwei warmherzige Brüder, ich spürte reine Freundlichkeit.

      Und na klar, ich durfte mitfahren, ganz vorne, während auf der Rückbank sich bis zu fünf türkische Kumpels quetschen mussten. Immer, wenn ich nicht wusste, wie ich nach Hause kommen sollte, war später Ali der Ältere für mich zur Stelle.

      Wir verbrachten nach Tanzabenden so manche Nacht zusammen, in der Form, das wir dann irgendwo mit den Kumpels Tee tranken, Lamacun aßen und wilde Türkenmusik hörten, oder einfach nur schwatzten. Unsere Liebling Themen waren: „Liebeskummer“, Religion und Zukunftsplanung.

      Es verwundert mich schon sehr, dass wir uns trotzdem so fremd geblieben sein sollen. Damals, in unserer Kleinstadt, kannte ich doch die Jungs aus dieser Generation. Keiner von denen war jemals frech und unhöflich zu mir. Weiß nicht, könnte es sein, das es an meinem Bekanntheitsgrad gelegen haben kann? Wohl eher nicht. Vielleicht war ich auch einfach nur ein Alien, hm, wohl eher auch nicht. Nein, ich hatte nie das Gefühl das sie mich nicht mochten, oder anzweifelten oder kritisierten. Die Jungs aus dieser Generation nahmen Deutschland einfach so hin wie es war, und sie lernten selbstverständlich deutsch. Dass ihre Eltern es oft schlechter konnten, erklärt sich von selbst. Und in diesem Moment entstanden Probleme. Die Kinder, draußen bei uns in der Welt, doch die Eltern schön gemütlich türkisch verrammelt, Zuhause. Einige Male bekam ich etwas von den persönlichen Schwierigkeiten mit, wenn ich mit meinen sog. Kumpels (Brüdern) nach der Disko nachts noch im Teesitzkreis saß, und hey, echt, ich aus dem Dorf war angewiesen auf sie, denn irgendjemand musste mich ja sicher ins Dorf nach Hause bringen. Irgendjemand mit ‘nem BMW. Nun, wir bildeten Sitzkreise, und jeder sagte das, was er dachte, oder ihn bewegte. Es gab Tee, es gab immer TEE. In diesen für Zwerge gedachten Tassen. Einer sagte: „Mein Vater möchte das ich zurück in die Türkei gehe, zur Schule, um dann Imam, oder so, zu werden!“ Er war traurig, doch hat niemals das Gebot seines Vaters angezweifelt. „Nun, warum denn das?“ fragte ich, doch er zuckte nur hilflos mit den Schultern. Er hatte einfach nicht gewusst, wo er ansetzen sollte, um es mir zu erklären. Nun, aber das doch absolute mit mir favorisierte Lieblings -Thema war: „Liebeskummer.“ Ha, da hatten sie doch mal live ein weibliches Wesen am Wickel! Türken sind absolute Profis im Bereich Liebeskummer! Damals jedenfalls. Nie hätte ich gedacht, dass sie so hochgradig emotional darüber sich ergehen konnten. Es so ernst nahmen, es so nahe an sich heran ließen. Ein deutscher Junge in dieser Altersgruppe harkte es kurz mit sich selber ab, besoff sich, und Ende. Schade eigentlich bis heute, das oft türkische Frauen dies nie mitbekamen. Viele denken immer noch bis heute, ihre Jungs sind eiskalt, hart und gruselig. Gruselig ist höchstens die verzerrte Sichtweise. Die Distanz zueinander. Leider kann ich es nicht beurteilen, ob sich dort etwas verändert hat, in all den Jahren. Und wenn, dann nicht genug, auf jeden Fall. Unsere deutschen Jungs waren auch verwirrt, wussten in dieser Zeit auch nicht, wie man am besten ein idealer Kerl wird. Zu viele Einflüsse kamen in dieser Zeit auf einmal auf alle von uns zu. Na ja, ich hatte es nicht so schwer, es gab für mich auch noch Griechenland, auf das ich sparte, weil ich unbedingt einmal nur dorthin reisen wollte, und andere Ziele. Wahrscheinlich bin auch nur ich wirklich frei gewesen, bis ich mich später entschloss, konkret sesshaft und verheiratet zu sein. Ich fand das gut und sinnvoll. Es war bei uns immer ein erstrebenswertes und positives Lebensziel gewesen. Für beide. Mit Sicherheit habe ich mich dafür relativ früh entschieden, denn es gab mir nichts…Diese Partyzeit ohne Ende, das wird mit der Zeit auch langweilig! Lustig ist es allerdings gewesen, das auch die türkischen Jungs das so sahen, und sich bemühten für mich, ihrer fast „Schwester“, nur die allerbesten Optionen mal so heraus zu kramen. Reich sollte ich dann sein, und gut versorgt, und einer der meine Gedichte liebte. Das wollten sie für mich. Ich lächelte nur darüber, und hörte mir die Vorschläge an. Das habe ich nie wirklich ernst genommen. Es war so gut gemeint…Das weiß ich heute. Aber ihr Lieben, das Freisein bedeutet auch dass man eigenverantwortlich und frei seinen Weg geht! Glücklich kann man nur sein, wenn man das für sich selber erreichen kann. Kein Prinz kommt angeritten! Sowas gibt es nur im Märchen. Es tut zwar weh dies zu erkennen, ist aber so. Meiner Meinung nach steckte viel Potenzial grade in dieser damaligen türkischen Generation. Das ist das Fazit. Umso verwunderter bin ich nun, was daraus geworden ist. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, das der heutigen Generationen der damaligen aus meiner Kleinstadt nicht das Wasser reichen kann… Sowas von primitiv und billig, unfassbar! Es ist schon fast ein Geschenk, wenn von denen überhaupt einer akzeptables sprachliches Level erreicht hat, geschweige ein gewisses geistiges Niveau! Ich sage nur: Ihr habt Euch zu sehr verrammelt! Ihr wart zu depressiv und in der Vergangenheit verhaftet, habt in einer Schublade gelebt, so, ihr habt zu wenig erreicht! Party ohne Ende…Ergüns Warnung. Regeln und Grenzen … Ach, wie wäre denn mal meine Alternative?

      Eigenverantwortung und Selbstdisziplin.

      Party ohne Ende, Konsumgüter und Ich-Bezogenheit, bringt unser Leben gemeinsam nicht weiter! Aber nächtliche gemeinsame Teesitzkreise eigentlich schon. Es ist schön, im Angesicht zu schwatzen, ich meine wirklich zu reden, sich zuhören. Keine lauten dröhnenden Orte. Keine Orte wo man sich präsentieren muss, heraus putzen muss, und eine Rolle spielen. Einfach nur da sein, mit offenen Augen. Einige haben es aber geschafft. So verblendet bin ich nicht, dass ich das nicht unterscheiden kann.

      Aber leider zu wenig Eurer Söhne!

      Es trauert mich darum, dass so viele Träume untergegangen sind.

      Ali, der Ältere, durfte mich auch privat zu Hause besuchen. Manchmal rief er einfach an, mal hatten wir beide Langeweile, er nach der Arbeit, und ich nach der Schule. So kam er einfach vorbei, und ich kochte ihm nach bosnischer Art einen türkischen Mocca, das hatte ich damals in Bosnien gelernt, als wir dort den zweiten Mann meiner Mutter besuchten, der sich dorthin aus beruflichen Gründen versetzen ließ. Dann redeten wir, er vertraute mir alles an, oder wir fuhren in seinem Auto umher. Er sprach oft von seiner großen Liebe, einem zartem Mädchen aus dem Nachbardorf. Er liebte sie so sehr, doch wollte er genau wie ich, in seiner Kultur bleiben, er wollte moslemische Kinder. Es zerriss ihn wie mir die Seele, unser Herz. Dieser Ali hat nie geheiratet später… Und später machte ich zu unseren gemeinsamen Bekannten den Witz, dass mein Mocca schuld war. Ja, Ali mein Freund, auch Dich nehme ich in meine Seele auf, wenn auch nur ein winziges Stück, denn wir waren nie verliebt ineinander. Unser Vertrauen und Ehrlichkeit bleibt bestehen. In dieser Zeit schrieb ich Gedichte, war immer froh, wenn ich diese einem Zuhörer erklären konnte. Wir lachten viel, und er kam mir mit sunnitischer Koranlehre, das was er in der Moschee mitbekommen hatte. Interessant ist vor Allem die Auslegung des Alten Testaments, welche ja die Grundlage des jüdischen, christlichen und islamischen Glaubens ist. Ja, im Islam wird auf die wortwörtliche Übersetzung beharrt, während wir Christen durchaus in der Lage sind, unseren Glauben der Wissenschaft und der Evolutionsgeschichte anzugleichen, oder zu reformieren. Jedenfalls wir evangelisch lutherischen Deutsche. Von Ali lernte ich, seine Sichtweise einer Friedensreligion, er lehrte mir, das friedliche Betrachten seines Glaubens. Ergün sprach nie mit mir in der Form darüber. Ali hat so hohe Werte von Freundschaft und Gerechtigkeit. Ein unendlich freundlicher Mensch, wer ihn zum Freund hat, wird nie enttäuscht. Aber wie wir Christen sagen würden, auch er hat sein Kreuz zutragen, und seine Verantwortung. Mehr werde ich dazu nicht ausführen.

      Einmal mutierte ich auch zu Alis Kleidung und Stil Beraterin, er nahm mich mit zum Einkaufen. Des Weiteren versuchten wir auch Kumpels zu trösten, deren Verheiratung bevorstand. Damals war so etwas noch durchaus üblich, und nun ich denke, das ist auch eine mögliche Ursache, für den fast Stillstand der türkischen Kultur in Deutschland. Diese fremden Frauen aus der Türkei importiert, Gelins, zogen dann die Kinder auf. Sie hatten es nicht leicht, auch wenn sie perfekt Türkisch sprachen, ließ oft die eingeheiratete Familie nicht mehr an Bildung und Beruf zu, so dass sie dann auch selten den gemeinsamen Kinder helfen konnten, in der Schule, beispielsweise. Und unser Land machte es sich