Friederike Kielisch

Die Todgeweihten grüßen dich


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aber bei Yasin damals, 1985, war vermutlich seine bevorstehende Eheschließung alles andere als von ihm gewollt, oder romantisch. Sondern ein beschlossener Plan zweier Familien. Er war höchstens 20 oder 21 Jahre alt. Ich wusste nicht mal ob er eine Berufsausbildung abgeschlossen hatte. Er war einfach nur traurig, irgendwie abwesend und verletzt. Wie ein kalter Stein im Meer, innerlich abgestorben. Ich hatte es nicht, in keiner Sekunde geschafft, ihn abzulenken, oder aus dieser melancholischen Stimmung heraus zu bringen. Zu wenig wusste ich, zu wenig verstand ich über sein Schicksal. Trotzdem schrieb ich unbewusst über ihn ein Gedicht…fing ein, was er damals in meiner Nähe ausgestrahlt hatte, und ich nur rein intuitiv spürte.

      Ich sah ihn erst viele Jahre später wieder, als er mit seiner Frau durch unsere Kleinstadt ging. Er sah mich, erkannte mich wohlmöglich, das war aber nur ein Erkennen, in der Form, nun es geht ihr, in diesem Fall, mir, gut. Ihm selbst geht es nicht gut. Er wirkt immer noch abwesend, als wenn er durch Alles und Jeden hindurch schaut.

      Shaitani Süßer Höllenengel Geist einer Unterwelt Durch Dein bezauberndes geheimes Lächeln Verwirrst Du mein Seelenzelt In der Zauberwelt des Bösen Möchte ich Dich Durch die Offenbarung Ach so gern erlösen Unendliche Gedanken Unerträgliche Kreise - Zur Hexe würd‘ ich werden Um in dieser Weise Einen Zaubertrank zu brauen Statt gewohnter Höllenqualen Deine Nähe mir zu klauen All‘ die Macht der Geisteskraft Ist jedoch verloren Spürst Du selbst die Liebe nicht Kein Zaubertrank sie Dir je verschafft Süßer Höllenengel! Willst erobern - ohne zu kämpfen Willst geliebt werden - ohne zu lieben

      Träumst von einer Zauberwelt…

      02.12.1985

      Aber noch einer suchte meine Nähe… Mustafa.

      Ich hatte ihn während des Training kaum beachtet, stand ich doch in der Hierarchie weit über ihn, und er war nur der Bruder eines Karateblaugurts.

      Und selbst bei den Auftritten unserer Trainingsgruppe hatte ich es kaum mit ihm zu tun gehabt.

      Einmal nach dem Training, gingen wir alle geschlossen nach Hause, und unsere Gruppe wurde immer kleiner, denn irgendwann trennten sich all unsere Wege, doch einer blieb hartnäckig an meiner Seite, und bis zum Schluss ganz allein, Mustafa.

      Ich lächelte ihn an, und sagte. ,,Na, Du willst wohl mit mir mit laufen?“ Er war nicht besonders gesprächig, aber wirklich wild entschlossen wie ein Hündchen hinter mir her zu laufen, mindestens vier Kilometer weit.

      So in der Mitte von meinem Weg fing ich an, für ihn ein Lied zu singen, denn es war ein grauer Tag, und es nieselte leicht.

      ,,Here comes the rain again, falling on my head like a memory…”

      Zu der Zeit fand ich auch, dass ich eine angenehme Stimme hatte. Und der Mustafa hörte einfach nur zu.

      Er schaute mich mit seinen riesigen Augen an, und er lief und lief den ganzen weiten Weg neben mir her. Irgendwie niedlich dachte ich, ein lieber Junge. Und in Wahrheit mag ich es sehr gern Gesellschaft zu haben, oder wenn jemand auf meinem Weg aufpasst.

      Und als ich dann am Ziel war, wollte ich mich ganz lieb mit einem Schwesterkuss verabschieden, doch was tat er, er zog mich an sich heran und küsste mich voller jugendlicher Leidenschaft zurück. Du vergreifst dich in der Tonart, dachte ich noch, aber es war zu spät. Unsere Körper schmiegten sich inniglich aneinander, und wir verschmolzen in diesem Kuss zu nur einen Schatten.

      Gut, als wir uns lösten, dachte ich mir nichts dabei, und schickte ihn nach Hause.

      Und plötzlich, am nächsten Tag, klingelte es an unserer Tür.

      Meine Mutter rief mich, und ich ging nach unten. Dort stand er vor mir, völlig verschwitzt, war er doch über 20 Kilometer mit seinem Fahrrad gefahren, um mich zu finden. Er kam mir heldenhaft und irgendwie mutig vor, so mit nichts, außer sich selbst vor unserer Tür zu stehen. Und seine Augen waren wunderschön, groß und hellbraun, fast grün…Mustafa

      Verwundert nahm ich ihn mit ins Haus. Sagte meiner Mutter etwas von Nachhilfeschüler, denn ich gab Hausaufgabehilfe in Englisch und Deutsch.

      Führte ihn hinauf in mein Zimmer, und noch an der Türschwelle flüsterte ich: ,,Was willst Du?“ Doch er nahm mich sofort in den Arm und küsste mich inniglich und glitt mit seinen samtenen Lippen über mein Gesicht. ,, Oh, das willst Du ?“ Er nickte nur, und schob mich in mein Zimmer.

      Er war zwar blutjung, doch schon etwas größer und kräftiger gewachsen als ich. Mir versagten fast die Knie, und er führte mich fest in seinem Armen haltend in mein Zimmer. Wir taumelten fast rückwärts auf mein Bett, und sanken darauf nieder. Es war so unendlich süß und zärtlich. Wir lagen nebeneinander und küssten uns nur. Unsere Hände berührten sich, und unsere Körper fühlten einander. Irgendwann zündete ich Kerzen an, und legte Musik auf, Tschaikowski und Rachmaninow…Wir liebten uns vier Schallplatten lang, bis in die Abenddämmerung hinein.- Als hätten wir alle Zeit der Welt, und als wenn wir uns schon ewig kennen würden. Wir verschmolzen zu Eins, ein Atemzug, eine Ewigkeit. ,,Sevgilim“, fragte ich, ist das richtig? Er nickte, und sagte: ,,Du kannst mich Musti nennen.“ Ich musste lächeln, denn es klang so fast unschuldig und kindlich: Musti.

      ,,Sag‘, wie alt bist Du, Musti?“ Er sagte erst mal nichts. ,,Du, hör‘ mal, ich weiß das ich älter bin, ich werde 20. Und Du?“ ,,Ehm…17, ich werde 17…“, erwiderte er. Stirnrunzelnd sah ich ihn. Er war erheblich jünger als ich, es war mir fast peinlich, ja schien unmoralisch…Was hatte ich bloß getan? Drei Jahre Unterschied waren auch für mich schon hart an der Grenze des Anstandes und der guten Sitten.

      Doch die Wahrheit sah in der Realität wirklich noch schlimmer aus, denn 25 Jahre später erfuhr ich, er ist zu diesem Zeitpunkt erst 15 gewesen war.

      Man sollte solche Augenblicke im Leben nicht unterschätzen.

      Glaube an den Himmel über Dir, denn allein kann niemand überleben.

      Und somit legte sich von diesem Tage an etwas über uns, ein kosmisches Band, getragen von den Engeln. Denn manchmal verbinden sich unsere Seelen miteinander, wenn wir uns wahrhaft lieben, und nicht nur die Körper.

      Denn wir uns liebten, dann lag ich oftmals in seinem linken Arm neben ihm, und spürte wie sich etwas über uns erhob, so als wenn ein Teil von mir selbst sich aus mich herauslöste, und über uns schwebte, und ich konnte von oben hinab auf uns blicken.

      Und noch immer, auch heute, erzittert meine Seele wenn ich ihn sehe, und Körper versinkt haltlos ohne Materie, wenn er mich in den Armen hält, oder küsst.

      Für mich erschien er wie ein goldenes Wesen aus einer anderen Zeit, irgendwie unwirklich. So als wenn ich ihn schon immer gekannt habe, seit tausenden von Jahren, vertraut.

      Ach, ich liebe doch ...wenn ich überhaupt etwas für Menschen empfinde...alle anderen sehe ich doch gar nicht, aber wenn ich mal einen anderen Menschen entdecke, der auf meiner Schwingungsebene liegt, dann liebe ich...

      Egal ob männlich oder weiblich, das hat nichts mit Sexualität zu tun, einfach weil es so selten ist... denn im Grunde leben wir alle in einem Elfenbeinturm, in der Hoffnung dort irgendwie heraus zukommen...Uns wird erzählt, liebe deinen Nächsten wie Dich selbst, und du bist frei....

      Doch frei? Wir wissen nun wie es ist, zwischen den Welten zu leben, das ist die einzige Freiheit die wir erreichen können.

      Und gerade Mustafa und ich hinterließen, wenn wir uns in der Mitte trafen, jede Menge Brandspuren...denn wir sind jeweils für die Welt des Anderen, im Grunde, ein Angriff auf die Türme (Kultur und Gesellschaft).

      Wo ist der Weg der Mitte...?

      Und wenn am Boden Chaos herrscht, müssen wir nach oben schauen...und dort liebe ich

      seni seviyorum, Mustafa

      Er erzählte auch nicht viel über seinen Hintergrund, und so ich nahm ihn in meine Welt auf, wie er kam.

      Ja, meine Welt, was ist das für eine Welt?

      In meiner Welt werden wir hinein geboren, geboren mit dem Bewusstsein, erfolgreich