Friederike Kielisch

Die Todgeweihten grüßen dich


Скачать книгу

und anständig. Wir wuchsen in den sicheren Wohlstand unserer Eltern hinein, und sollten möglichst noch mehr als diese in unserem Leben erreichen. Das heißt eine gute Schul-und Ausbildung schaffen, einen anständigen aufstrebenden jungen Mann heiraten, der möglichst schon Akademiker ist, und aus einem guten christlichen Zuhause kommt. Dafür wurden wir erzogen. So einem Mann zur Seite zu stehen, und artige begabte Kinder zu gebären. Alles andere bedeutete ein Abweichen von der Norm, und einen Ausschluss aus der Geborgenheit der Gemeinschaft des Mittelstandes. Auch schon das ungefähre Heiratsalter war frühesten mit 25 Jahren vorgesehen.

      Davor wurde uns allerdings durchaus eine gewisse Jugendtoleranz zu gebilligt, das heißt wenn wir unsere Auflagen erfüllten, konnten wir unsere Jugendzeit genießen, und Erfahrungen sammeln, auf allen Ebenen.

      Und nun weiß ich, all dies war für eine Tochter aus den meisten türkischen Familien in Deutschland damals fast unerreichbar.

      Schon für Ergüns Eltern war ich zu mindestens schon die „Verlobte“ gewesen, denn unter anderen Umständen hätte ihr Sohn mich nicht besuchen dürfen, oder ich ihn.

      Verliebt, verlobt, verheiratet…Erst jetzt öffnet sich die türkische Gesellschaft für diese Reihenfolge, doch davor wurden Ehen abgesprochen und arrangiert, ohne das sich oftmals die Beteiligten vorher kannten. Alles andere wurde als Angriff auf die „Ehre“ empfunden.

      Als er das erste Mal bei mir gewesen war, haben seine Eltern natürlich nicht gewusst, wohin er gefahren war, und ihn bei der Polizei als vermisst gemeldet. Das alles erfuhr ich nur im Nachhinein.

      Er kam trotzdem oft zu mir, immer wieder, oder er rief an, um mich zu treffen. Niemals sagte ich nein, denn, er war mir nah, er hörte mir zu, und verinnerlichte mein wahres Ich. Ich zeigte ihn meine Wälder… Wir lernten zusammen für meine Abschlussprüfungen zum Abitur, und das, obwohl er viele Schulklassen unter mir gewesen war, und eine andere Schulform besuchte. So teilte ich einfach alles mit ihm, auch meine Gefühle und Gedanken. Er nahm leicht alles auf, was ich ihm sagte, und gab. Und es machte mir Freude, wie intelligent er war. Auch ihn versteckte ich nicht, vor nichts und niemanden, nicht vor meinem Freundinnen oder der Familie. Und nahm ihn auch mit in Cafés, um mit ihn wie mit einem jungen Mann aus meiner deutschen Welt auszugehen, denn woher sollte ich Unterschiede kennen? Er lebte hier, in meiner Zeit, und mit mir in meiner Welt. Fern der Realität. Und ich wagte es sogar einmal ihn einfach nach dem evangelisch lutherischen Ritual als Christ zu taufen, denn ich wollte dass er für Gott nicht verloren ging, und ich keine Sünde an ihm begehe, und ihn vor allem Übel schützen. Er sollte „gleich“ sein mit mir. Er sagte dazu nur: “Spinnst Du!?“ Ich war selber fast noch ein Kind, ein liebes freundliches Mädchen, voller Fantasie und Romantik.

      Nur niemals sagte ich zu ihm: ,,Ich liebe Dich“

      Denn ich wusste, es konnte kein gemeinsamer Weg für uns zu finden sein…undenkbar, dass ein deutsches Mädchen, damals, aus bürgerlichen Verhältnissen, einen Sohn eines moslemisch/türkischen Bauarbeiters, der auch noch jünger als sie ist, heiratet. Bei uns war es üblich, das der Bräutigam etwa fünf Jahre älter als die Braut zu sein hat, und nicht fünf Jahre jünger.

      Und auch bei ihm Zuhause war ich nie gewesen… Ich kannte nur vom Sport seine Brüder und wusste, dass er noch eine Schwester hatte. Doch er kam aus einer sehr traditionellen und gläubigen Familie, und seine Geschwister folgten alle streng den Regeln der türkischen Kultur. Und ebenso wie wir Deutschen, erreichten seine Brüder hier durchaus gute Abschlüsse und Berufe, und natürlich heirateten sie Frauen aus ihren Kreisen, mit Kopftuch, versteht sich.

      Es war mir bewusst, wir hatten beide unseren Weg im Leben parallel zu gehen.

      Denn aus den gleichen Gründen bin ich damals auch nicht Ergüns Frau geworden.

      Ich weiß nicht welche Bedeutung ich damals für ihn hatte, doch auch für ihn sind wir seitdem irgendwie liiert. Er hatte es nie vergessen… Und er nennt mich trotzdem immer noch, Du „Fast Frau“ von Ergün, denn er sieht mich seit je her als dessen erste Frau an.

      Mustafa, dachtest Du wegen Ergün, hättest Du mir weniger bedeutet? Ich habe immer an Dich geglaubt, in meinem Herzen, über Alles.

      Damals, hast Du gedacht, ich habe mich gegen Dich entschieden? Damals, als ich Dich dann verleugnete, als Dein Bruder, und Fadil der Kurde, zu mir kamen? Ich wollte Dich beschützen!

      Denn eines Tages erhielt ich offiziellen Besuch bei mir zu Hause. Es muss ein Samstag gewesen sein, als sein ältester Bruder und Fadil bei mir auftauchten, unverhofft, ohne Vorwarnung. Die beiden kannte ich nur von Sport. Und ich dachte eigentlich nur: Mein Gott, hilf mir!

      Wir setzten uns draußen auf den Rasen, um zu reden. Sie redeten alles Mögliche, über rituelle Waschungen und so… Wie sollte ich aus der Situation heraus kommen? Ich hatte wirklich Angst. Angst, ein Verbrechen begangen zu haben. Ich hörte nicht wirklich zu, und rang um Fassung. Es war so unfair, denn Du warst nicht dabei…Ich wusste nicht was sie wirklich wollten. Um Dir unangenehme Konsequenzen zu ersparen, behauptete ich einfach, ich würde Dich nicht kennen. Nur Ali, ja, den kannte ich, sagte ich zu ihnen. Du warst doch noch so jung! Wie hätte ich zu der Wahrheit stehen können? War das die Heiratsdelegation gewesen?

      Sie sagten, Du bist wohl irgendwie verwirrt, und sie sind dann wieder friedlich von unserem Grundstück gegangen.

      Im Grunde war doch unser Plan, dass ich irgendwann studieren wollte, und Du so wie immer bei mir sein solltest. In Freiheit.

      Doch nach diesem Tag, kamst Du nicht mehr zu mir, hast nie wieder mit mir gesprochen. Obwohl ich Dich suchte, denn meine Regel blieb aus. Ich ging weinend zu einer Beratungsstelle, und betete zu Gott, nicht schwanger zu sein. Irgendwann fand ich Dich, in einer Gruppe von anderen Jugendlichen, stand vor Dir, doch Du hast mich nur angesehen, und Dich abgewendet.

      Und noch niemals in meinem Leben habe ich mich so sehr verletzt gefühlt…

      Du hast nicht mit mir geredet

      Du hast nicht um mich gekämpft

      Du hast mich einfach weggeworfen

      Ich zerbrach, blind vor Schmerz und aus den Tiefen meiner Seele habe ich Dich verflucht, Sohn des Teufels:

      Jallah! Ben Esch Shaitani !

      Der Fluch der Frauen seit Urzeiten

      Nie mehr sollst Du Dein Glück finden, und durch tausendfachen Betrug die Deinen. Niemals hättet Ihr in unser Land kommen dürfen…

      Haha, heute weiß ich dass viele Türkinnen ihre Männer verfluchen, oder mit einem bösen Blick belegen, wenn sie nicht parieren. Ach, so sollte man nie lieben, sondern reden!

      Und doch Gott erbarmte sich meiner, zehn Tage später wusste ich, nicht schwanger zu sein.

      Und heute weiß ich, auch Mustafa suchte nach Mittel und Wege mit seinem Schmerz umzugehen. Und er rächte sich teilweise an der deutschen und türkischen Gesellschaft. Er nutzte auch Ali aus, ließ sich Getränke spendieren, und jede deutsche Frau, die ihm gefiel, und nicht bei Drei auf dem Baum war, wurde angebaggert. Er sich selbst verletzt.

      Ergün hatte recht gehabt, als er mich warnte, und meinte ich sollte diese Kreise meiden. Es war kein Umgang für mich. Er kennt mich zu gut.

      Es war mein innerer Tod.

      6. Juni 2014

      Ich,

      an meinem Bruder, 12 flacher Dan Träger des Kung-Fu, Deutscher, geboren in Xanthi, Hellas

      ich denke viel an dich

      und an damals

      in der Zeit wo du glücklich mit Katja warst

      weißt du dann war Mustafa da

      auf einmal war ich wichtig, es ging um mich

      er hörte meine Gedichte

      er lernte mit mir für das Abitur

      er ging mit mir in den Wald Pilze suchen

      und Ali O. war unsere Deckung

      bis