Elias Crown

Harkael


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sie!“, flehte die Mutter, bevor ihr der Schmerz das Bewusstsein raubte.

      Zalazan nahm die beiden Jungen, band sich einen auf den Rücken und den anderen vorne an die Brust, sprang auf das Pferd und trieb es in Richtung Perlenlicht, einem Wasserfall hoch oben in den Bergen.

      Hinter sich hörte er die Soldaten, die seine Flucht bemerkt hatten und die Verfolgung aufnahmen. Der Serezianer trieb sein Pferd quer durch das Gehölz, auf schmalen Wildpfaden bewegte er sich immer höher, mit aller Kraft Richtung Perlenlicht. Doch die Soldaten waren dicht hinter ihm, getrieben vom Verlangen, ihn und die Kinder zu greifen. Zalazan bündelte seine Gedanken und nahm den keuchenden Atem der Pferde wahr – kalte Luft hinein und warme heraus. Die Anstrengung ließ ihre Adern anschwellen. Er hoffte so sehr, dass sein Pferd dieses höllische Tempo durchhalten würde und wirklich, mit einem kleinen Vorsprung erreichte Zalazan die Felsen von Perlenlicht.

      Hier war es zu steil für das Pferd, schnell schwang er sich vom Rücken des Tieres und rannte zu Fuß weiter. Auch die Soldaten erreichten kurz nach ihm diesen Platz und verfolgten den Flüchtigen sofort mit gezogenen Schwertern. Behende stieg Zalazan, die Kinder immer noch fest an Brust und Rücken gebunden, die Felsen zum Wasserfall Perlenlicht hinauf. Die Sorge ließ ihn oft zurückblicken und als er plötzlich vor dem riesigen Wasserfall stand und nicht mehr weiter konnte, dröhnte schon das mordlüsterne Gebrüll der Soldaten hinter ihm. Die Gischt peitschte in sein Gesicht, in seinem Körper tobte der eigene Herzschlag und das Rauschen des mächtigen Wassers. Es gab keinen anderen Ausweg mehr, Zalazan musste sich mit den Kindern in diese reißende Tiefe stürzen, andernfalls würden die Soldaten sie töten.

      Ein letzter Blick zurück auf die heranstürmenden Verfolger, Zalazan schloss die Augen und sprang die tödliche Klippe hinunter. Die Soldaten kamen zu spät, sie konnten ihn nicht mehr aufhalten, überrascht sahen sie dem fallenden Körper nach, sicher, ihr mordendes Handwerk erledigt zu haben.

      Aufbruch in eine neue Zeit

      Mehr als ein Jahrzehnt war vergangen, die Lage im Königreich Eroenya hatte sich wieder beruhigt, die Naturkatastrophen waren vorüber und das Leben der Menschen verlief in geordneten Bahnen.

      Der neue König ließ den grausamen Senator für das Massaker öffentlich hinrichten, was zwar das Leid und den Schmerz des Volkes, besonders der wenigen überlebenden Serezianer, nicht ungeschehen machen konnte, aber ein Zeichen für die neue Zeit setzte. Mehr noch, der König wollte nicht nur die Schandtaten in seinem eigenen Reich bereinigen, er wollte auch die lang andauernden Feindlichkeiten mit den Marndronen zu einem guten Ende führen.

      Es war die Aufgabe von Gesandten, diesen Frieden vorzubereiten und nach langen Verhandlungen konnte ein Weg gefunden werden, um das grausame Gegeneinander der Vergangenheit ruhen zu lassen und einen Aufbruch in friedliche Zeiten zu ermöglichen.

      Das Abkommen

      Das Königreich Eroenya lag in einem breiten Tal und mit seinen saftig grünen Hügeln, perlenden Wasserfällen, schneebedeckten Bergen, riesigen Wäldern und mäandernden Flüssen war es einfach majestätisch. Es gab fruchtbares Land, das die Bewohner mit ausreichend Nahrung versorgte, sodass niemand Hunger leiden musste. Bauern bewirtschafteten ihre Felder, Frauen kümmerten sich um Haus und Hof, Kinder spielten und lachten am Rande der Hügel.

      Die Hauptstadt Eroenya, den schönsten Ort im Königreich, begrenzten riesige Wachtürme, die aus massivem Holz und Steinen erbaut waren. Von hier aus konnten die Soldaten die Umgebung nach allen Richtungen hin übersehen und die Bevölkerung vor herannahenden Gefahren warnen.

      In der Stadtmitte herrschte geschäftiges Treiben, denn alles sollte in prachtvollem Glanz erscheinen, wenn die Marndronen zu den Friedensgesprächen und zur Unterzeichnung des Abkommens in den Palast kämen. Baumeister standen mit ihren Plänen auf den Straßen und gaben den Arbeitern Anweisungen. Neue Mauern wurden errichtet, die Straßen ausgebessert und begradigt. Man sah Mammuts, für die eigene Geschirre angefertigt worden waren, damit sie mit riesigen Steinen die Wege ebnen und fest machen konnten. Frauen kehrten die Straßen und schmückten sie mit bunten Fahnen, die ganze Stadt wirkte freundlich und einladend.

      Am Ende der großen Straße stand der majestätische Palast des Königreichs. Die Sonnenstrahlen ließen das Mauerwerk in elfenbeinfarbenem Glanz erstrahlen, breite Stufen führten zum Hauptportal. Dieses wurde von kräftigen Soldaten, ausgestattet mit glänzenden Brustharnischen, Helmen und Hellebarden, bewacht.

      Auch im Palast herrschte Aufregung und fleißiges Treiben. Diener, die überall sauber machten, Dekorationen anbrachten, Gemälde abstaubten, Öl in jede Feuerkachel gossen – der Palast sollte sich bei Ankunft der Gäste von seiner schönsten Seite zeigen. Selbst der König ließ es sich nicht nehmen, die Fortschritte seiner Bediensteten selbst zu begutachten, immerhin hing von diesem wichtigen Treffen die Zukunft des Reiches ab und es sollte das Ende einer jahrzehntelangen Feindschaft mit viel Leid und Blutvergießen sein.

      Als sich der König mit dem Großwesir über das Fehlen eines Gemäldes, das den Wiederaufbau Eroenyas zeigen sollte, unterhielt, tauchte Amelias auf.

      Er war der vertrauenswürdigste und auch jüngste Heerführer des Königs und so wie er nun vor seinem Herrn stand, machte er einen überaus guten Eindruck. Der glänzende Brustharnisch, der das Zeichen des Königreiches Eroenya trug, und die beiden am Rücken gekreuzten Schwerter unterstrichen die Stärke seines jugendlichen Körpers, der so viel Kraft und Willen ausstrahlte.

      Amelias beugte seinen Kopf zur Begrüßung des Königs.

      „Amelias! Wie weit seid Ihr bereits?“, wollte der Herrscher gleich wissen.

      „Mein König, wie Ihr befohlen habt, habe ich die Bewachung an den Grenzen und Türmen verdreifacht. Ebenso sind für alle Fälle die schlafenden Kalkans zur Pflicht gerufen. Ich werde morgen mit hundert von ihnen an der Grenze, vor dem Tor Marlakas, auf Murakan, den Marndronenkönig, warten. So kann ich ihn und sein Gefolge sicher nach Eroenya geleiten.“ Der König nickte seinem Heerführer beipflichtend zu und fühlte sich bei dessen Ausführungen gleich ein wenig sicherer.

       „Sehr gut, Amelias! Vergesst nicht, wir dürfen uns keinen Fehler erlauben. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Die letzten Vorbereitungen müssen bis morgen getroffen sein.“

      Es kam nicht oft vor, dass die Kalkans zur Pflicht gerufen wurden, nur bei den wichtigsten Einsätzen berief sich der König auf die bestens ausgebildete Truppe, deren Kämpfer bereits seit frühester Kindheit unter strengster Geheimhaltung in die Lehre genommen wurden.

      Dabei wurden aus allen Waisenkindern des Königreichs, die allesamt in der Nähe des Palastes untergebracht und erzogen wurden, die körperlich und geistig Geeignetsten ausgewählt, um in die strenge Ausbildung der Kalkankrieger einzutreten. Für sie gab es nur das Beste und sie erhielten eine umfassende Ausbildung in allen Bereichen der Wissenschaft, aber das Erlernen der unterschiedlichsten Kampfkünste stand im Vordergrund.

      Schließlich war es ihre Aufgabe, das Königreich auch in schlimmsten Auseinandersetzungen verteidigen zu können. Angst gab es im Leben der Kalkans nicht, ihr höchstes Ziel war es, sich und ihr Leben dem König zu widmen. Wenn sich das Reich in keinem Krieg befand und ihre Kampfeskünste nicht vonnöten waren, lebten sie inmitten der Bevölkerung, gingen ihren Berufen nach, immer jedoch unter strengster Geheimhaltung ihrer eigentlichen Berufung.

      Als Amelias dem König Bericht erstattet hatte, zog er sich zurück und verließ den Palast, nicht ohne vorher noch auf der Außenbalustrade innezuhalten und den Anblick des Sonnenuntergangs über Eroenya zu genießen. Die Stadt selbst lag bereits in der Dämmerung und die Lichter in den Häusern verbreiteten eine märchenhafte Stimmung. Amelias genoss diesen Augenblick der Ruhe, der ihm in der Zeit der Vorbereitungen verwehrt geblieben war. Auch jetzt fühlte er eine innere Anspannung und insgeheim fragte er sich, ob er für das Treffen wirklich alles ihm Mögliche in die Wege geleitet hatte.

      Als die Sonne am Horizont endgültig verschwunden war, fingen die Wasserfälle hoch auf dem Berg zu leuchten an, türkisfarben schillernd stürzte das