Elias Crown

Harkael


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dieses Wassers war eine Quelle mit Phosphorsteinen, daher nannten die Menschen dieses Naturschauspiel Perlenlicht.

      Amelias trennte sich nur schwer von diesem Ort der Ruhe, doch seine Verpflichtungen waren noch nicht beendet. Er machte sich auf den Weg zu den Stallungen, wo die Knechte noch mit der Versorgung der Tiere beschäftigt waren.

      „Hat Kaplan sein Futter gefressen?“, erkundigte sich Amelias. Die Knechte mochten den Heerführer, der sich trotz seiner hohen Position ihnen gegenüber immer freundlich benahm.

      „Nein, mein Herr, er ist ein bisschen unruhig und ich habe es nicht gewagt, mich ihm zu nähern“, antwortete der Stallknecht ehrlich.

      Amelias wusste, dass Kaplan den Knechten gehörigen Respekt einflößte und wenn er dazu auch noch unruhig war, konnte man dem Burschen keinen Vorwurf machen, deshalb antwortete er knapp:

       „Ich mache das schon, danke.“

      Amelias ging mit langsamen Schritten zu dem Tier, um es zu beruhigen. Kaplan war eine Mischung aus weiß-grauem Säbelzahntiger und Dacharos, von dem er den gefährlichen Stachelschwanz hatte. Dieses außergewöhnliche Lebewesen war ein unglaubliches Kraftpaket und es war nicht unbegründet, dass sich nur Wenige in seine Nähe getrauten. Amelias hatte den Moment, als er Kaplan gefunden hatte, noch gut vor Augen.

      Als er ein kleiner Junge war, wimmerte das Tier ängstlich vor dem Bauernhof seiner Eltern hoch in den Bergen und hatte damit den Jungen geweckt. Als er zum Fenster sah, um dem Geräusch nachzugehen, entdeckte er im Schnee zwei blaue Punkte, die sich bewegten. Sofort lief er neugierig hinaus und näherte sich mit vorsichtigen Schritten dem kleinen Lebewesen. Da im Schnee sah er Kaplan zum ersten Mal. Verschreckt und schwach saß das weiß-grau gestreifte Tier vor ihm, seine unschuldigen, blitzblauen Augen erzählten vom Leid, das er durchmachen musste. Es war der erste Augenblick einer außergewöhnlichen Freundschaft. Kaplan zitterte vor Kälte, sein Fell bot ihm noch nicht ausreichend Schutz und Amelias nahm das Tier auf, um es ins warme Haus zu bringen. Dort wickelte er Kaplan in eine Decke und versteckte ihn, aus Angst, seine Eltern könnte ihm das seltene Lebewesen wegnehmen, unter dem Bett. Das ging eine Weile gut, der Junge fütterte seinen neuen Freund mit Essensresten, baute ihm einen Schlafplatz unter seinem Bett und ließ ihn in der Nacht, wenn alle anderen aus der Familie bereits schliefen, in sein Bett kommen, wo sie sich aneinander kuschelten, bis auch sie in ihre Träume versanken.

      Amelias hatte sich so sehr an das Tier gewöhnt, dass er unvorsichtig wurde und beim Spielen die Schritte des Vaters zu spät hörte. Zwar versuchte er noch den Kleinen in sein Versteck zu schieben, aber der Vater stand schon mitten im Zimmer und starrte das Tier an. Kaplan spürte Amelias‘ Anspannung und wollte ihm instinktiv zu Hilfe kommen. Er sträubte sein Fell und in der Aufregung fuhr er zum ersten Mal die Stacheln seines Schwanzes aus. Sein Pfauchen glich noch mehr einem Quietschen, aber es ließ unmissverständlich erkennen, zu welch gefährlichem Raubtier sich Kaplan schon bald entwickeln würde.

      Erstaunlich schnell erlangte Amelias‘ Vater seine Fassung zurück und als naturverbundener Mensch siegte die Neugierde in ihm. Noch nie zuvor hatte er solch ein Tier gesehen und staunend fragte er seinen Sohn:

       „Amelias, woher hast du dieses Tier?“

      Der Junge bemerkte, dass sein Vater ernsthaft an Kaplan interessiert war und erzählte, wie er ihn gefunden hatte. Aufmerksam hörte der Vater seinem Sohn zu und meinte ruhig:

       „Seine Mutter wird ihn suchen! Stell‘ dir vor, was mit uns und unseren Tieren passiert, wenn sie hierher kommt! Du musst ihn wegbringen und freilassen!“

      Amelias merkte, wie Hitze in ihm emporstieg und sein Herz zu rasen begann. Laut kamen die Worte über seine Lippen und schon konnte er heiße Tränen in seinen Augen spüren.

       „Nein! Nein! Ich habe Kaplan schon ein paar Tage und nichts ist passiert. Seine Mutter wird nicht kommen, sie ist sicher tot und dann hat er niemanden, der ihn beschützt und er wird selbst sterben!“

      Jetzt flossen die Tränen über seine Wangen und sein Herz zog sich bei dem Gedanken, seinen neuen Freund wieder verlassen zu müssen, zusammen. Nein, er konnte und wollte seinen Schützling nicht einfach so hergeben. Der Vater konnte selbst beim Anblick seines verzweifelten Sohnes nur schwer die Tränen zurückhalten und er musste zugeben, das Tier war faszinierend. Er vermutete selbst, dass die Mutter nicht mehr am Leben war, aber das alleine nur anzunehmen, war zu unsicher, damit würde er seine Familie und seinen Hof einer gewaltigen Gefahr aussetzen.

      Der Vater versprach, erst dann eine Entscheidung über das Tier zu fällen, wenn sichergestellt war, dass seine Mutter nicht mehr am Leben war. Amelias beruhigte sich vorerst, denn er wusste, dass sein Vater eine gerechte Entscheidung treffen würde und er sah auch in dessen Augen, dass er selbst von Kaplan gefesselt war.

      Und so blieb Kaplan bei Amelias, denn der Vater konnte auf seinen Erkundungsgängen keine Spur der Mutter entdecken und die Beziehung zwischen dem Jungen und dem Säbelzahnmischling wurde von Tag zu Tag inniger. Schon bald war Kaplan zu einem richtigen Familienmitglied geworden.

      Diese Bilder der Vergangenheit hatte Amelias im Kopf, als er bei diesem kraftvollen Tier im Stall stand und bemerkte, wie Kaplan unter seinem sanften Streicheln ruhiger wurde. Er band ihn los und stieg vorsichtig auf, um mit ihm aus dem Stall zu reiten.

      „Jetzt besuchen wir einen alten Freund“, flüsterte Amelias dem Tier zu.

      Beide froh, sich endlich frei bewegen zu können, rasten mit Kaplans raumgreifenden Sprüngen durch die dunkle Nacht. Schnell lag die Stadt hinter ihnen, vorbei an Olivenfeldern erreichten sie bald den Fuß des Berges. Dort lebte Baalan, ein weiser Meister und Freund von Amelias, der die Einsamkeit liebte und sie der Gesellschaft vorzog. Er war ein vertrauenswürdiger und bescheidener Mann von imposanter Gestalt und mit langem, schwarzem Bart, der sich in der Mitte bereits weiß färbte. Amelias schätzte ihn sehr und besuchte ihn gerne. Der Meister spürte, dass sich jemand seinem Heim näherte und trat in den Garten. Als er seinen Besucher erkannte, zeichnete sich ein erfreutes Lächeln auf seinem Gesicht ab.

      „Herzlich willkommen, Amelias. Schön, dass ihr beiden mich wieder einmal besucht“, empfing er sie mit seiner tiefen, angenehmen Stimme.

      Amelias stieg von Kaplan ab und erwiderte strahlend die Begrüßung des Meisters. Herzlich umarmten sich die beiden Freunde. Amelias kannte Balaan bereits seit längerer Zeit, dieser hatte ihm das Leben gerettet, als er nach einem Unfall schwer verletzt im Wald lag. Und seither besuchte er den Meister immer, wenn es seine Aufgaben zuließen. Anfangs aus Dankbarkeit für die Hilfe, doch sehr bald aus tiefempfundener Freundschaft. Auch Kaplan mochte den Meister und er begrüßte ihn stets auf seine ganz eigene, ungewöhnliche Art. Der Tiger verneigte sich vor Baalan und legte sich auf den Boden, um sich streicheln zu lassen. Balaan kam diesem Wunsch immer sehr gerne nach, denn es war auch für ihn ein Vergnügen, dieses weiche, glänzende Fell zu berühren.

      „Komm, Amelias, betritt mein Heim und lass uns über Neuigkeiten reden“, lud Balaan seinen Freund ein.

      Wie gewöhnlich bereitete der Meister ein wohlschmeckendes Getränk aus Wasser vom Perlenlicht und nur ihm bekannten Kräutern und füllte es in schwere Krüge. Hier fand Amelias immer sofort zu einer vollständigen Ruhe und er genoss es, auf den alten Holzstühlen zu sitzen, in das flackernde Kaminfeuer zu schauen und sich in das Gespräch mit Balaan zu vertiefen.

       „Morgen ist ein wichtiger Tag, Meister. Wir werden mit dem Königreich Marndron Frieden schließen, denn dieser nicht endenwollende Krieg hat beiden Völkern außer Leid und Schmerz nichts gebracht.“

       „Du hast Recht, Amelias, die Menschen haben viel gelitten und doch vergessen sie rasch. Es braucht viel Geduld und weise Führung, um den Frieden beizubehalten, doch nur ein kleiner Funke genügt, um wieder alles zu zerstören und den Unfrieden neu anzufachen. Menschenleben dürfen nicht wertlos sein, Amelias, hoffentlich bist du dir dessen bewusst. Und der König ist es hoffentlich auch.“

      Der Meister hielt kurz inne und betrachtete Amelias, bevor er weitersprach.

       „Auch in