Frank Sommer

Im Sturzflug nach Merkwürdistan


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ebenfalls: Auch in der belebten Straße draußen vor dem Hotel war weit und breit kein Herrenausstatter zu finden. Also blieb nur eins: Ich sprang in ein Taxi. Hinterm Steuer saß ein absolutes Kölner Original: Ein korpulenter Herr in den besten Jahren mit einer tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze fragte mich: „Na, Jung, wo sollet hinjäähn?“ Ich gab schnell eine Kurzfassung meiner Notlage zum Besten und forderte ihn auf, zum nächsten Bekleidungsgeschäft zu rasen, sofort. Weder erhielt ich eine Antwort noch schien sich das Taxi zu bewegen. Nach einer Weile raunzte er: „Jung, wie soll isch datt maachen, wo sollnwer jätzt nä Krawaatte herbekomme? Et ies halb neun morgens, da hat doch geen Jeschäft auf!“ – „ALTER, sabbel nich, gib Gas!“, lautete meine knappe Ansage und da bewegten wir uns auch endlich... von einem geschlossenen Herrenausstatter zum nächsten. In meiner Verzweiflung, es war bereits T minus 20, bat ich den Wollmützenkalli, zum Hauptbahnhof zu fahren – vielleicht würde ich dort in einem Souvenirshop eine Krawatte bekommen. Mittlerweile wäre mir auch egal gewesen, ob sie neongelb, mit einem Bild des Kölner Doms geschmückt oder von einem großen FCK - Logo geziert gewesen wäre. Aber der Hauptbahnhof war von unserem aktuellen Ort zu weit weg, die Lage aussichtslos. „Waart ma Jung, äch will da ma watt probiere“, sagte der Fahrer plötzlich, fummelte sein Handy aus der Tasche und rief offenkundig seine Frau an. Als er sie fragte, ob sie wisse, wo „seine Krawatte sei“, brach – auch ohne Telefonlautsprecher deutlich hörbar – eine wilde Schimpforgie über den Armen herein. Die Tatsache, dass er vermutlich das erste Mal seit 40 Jahren nach „seiner Krawatte“ verlangte, verleitete seine Frau wohl zu der Vermutung, dass er sich auf einen Anlass schleichen wolle, den er ihr verschwiegen hätte. Es dauerte eine Weile, bis er sie mit seiner kölschen Gelassenheit beruhigen und über den wahren Hintergrund aufklären konnte. Es war T minus 10, als wir beim Taxifahrer zu Hause vorfuhren und er mal eben nach oben marschierte. Nach kurzer Zeit kam er zurück. Er drückte mir nur kurz eine Tüte in die Hand, sprang hinters Steuer und raste zurück zum Hotel. Ich holte die Krawatte aus der Tüte und - meine Güte - was war DAS? Was sich mir offenbarte, war eine schwarze Krawatte im schmalen Schnitt der 1950er Jahre. An ihrer breitesten Stelle war sie allenfalls zwei Finger breit und man sah ihr die Erfahrung unzähliger Beerdigungen und sonstiger Anlässe, die sie schon auf dem Buckel gehabt haben musste, unmittelbar an. Selbst nicht der Schlanksten einer, sah ich mit dem Teil aus wie ein Auftragskiller von Al Capone oder der Leibkellner der Blues Brothers. Na ja, was soll’s, ich sah zwar echt ätzend aus mit dem Ding, aber irgendwie hatte ich den Wettlauf gegen die Uhr knapp gewonnen und war einigermaßen zufrieden. Mein Kunde brach übrigens in spontanes Lachen aus, als er mich mit dem Teil sah und auch die weiteren Gesprächspartner im Laufe des Tages guckten mich während der Geschäftstermine ungläubig an. Aber vielleicht hatten sie auch einfach nur eine Rechnung mit Al Capone offen und bekamen es nun bei meinem Anblick mit der Angst zu tun...

      Nach dem Genuss dieser beiden kleinen Vorspeisen lade ich Sie herzlich ein auf meine Reise. Willkommen an Bord, nehmen Sie Platz, machen Sie es sich bequem, schnallen Sie sich an. Während unseres Fluges wird man sich erstklassig um Sie kümmern, lehnen Sie sich zurück und genießen Sie den Blick über die Wolken. Auch in kulinarischer Hinsicht werden Sie begeistert sein! Es gibt Fisch...

      Nur noch ein letzter technischer Hinweis, bevor es losgeht: Am Ende einiger Geschichten befinden sich Hyperlinks zu Fotoalben und auch zu einigen kurzen Internetfilmen, die mit den jeweiligen Geschehnissen im Zusammenhang stehen. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Fotoalben und Filme zu öffnen: Entweder Sie installieren auf Ihrem Smartphone oder Tablet PC einen kostenlosen QR Code Scanner. Mit diesem können Sie die quadratischen Codes scannen und haben so in Sekundenschnelle Fotos und Filme vor sich. Alternativ können Sie, statt einen QR Code Scanner zu nutzen, einfach die angegebenen Internetadressen in Ihren Browser eingeben. Gerade denjenigen, die lieber lesen als Bilder anzugucken, empfehle ich, wenigstens nach der Lektüre der Geschichte „Reisen skurril: die kleinen Besonderheiten“ einen Blick in die zugehörigen Fotoalben zu werfen. Sie würden etwas verpassen, wenn Sie dies ausließen.

      Probieren Sie es aus! Hier finden Sie Fotos zum ersten Fischhappen „Ohne Pass kein Spaß“:

       http://www.facebook.com/media/set/?set=a.107293879427378.13045.100004402989835&type=3&l=61454734fd

       Früh übt sich: den Zivildienst zum Flugticket gemacht

      Als sich das Ende der Schulzeit näherte, war mir noch nicht ganz klar, wie ich meine Begeisterung für Reisen und Fliegerei langfristig in einem erfüllten Berufsleben umsetzen könnte. Ich setzte zunächst auf ein Studium in der Hoffnung, dass mich währenddessen der Blitz der Erleuchtung treffen möge. Zunächst stand aber die Wehrpflicht an. Ich hatte mal gehört, dass man am Flughafen seinen Zivildienst verrichten könne, was für mich natürlich mehr als verlockend war. Meine Bewerbung war erfolgreich und so lagen nun 13 Monate täglicher Kerosinduft auf dem Flughafen vor mir. 90 Prozent meiner dortigen Tätigkeit machte die Beförderung gehbehinderter Fluggäste vom Check-In bis ins Flugzeug und umgekehrt aus, so dass stets ein hautnaher Umgang mit Flugzeugen gewährleistet war. Natürlich wäre diese Geschichte ohne einen richtigen Bad Guy zu einfach und zu schön gewesen. Diesen fanden wir in Form unserer Vorgesetzten, der altgedienten Schwester Marie. Sie kombinierte die äußere Erscheinung von Miss Marple mit den Charakterzügen eines Diktators und dem Charme von Dr. Evil. Für eine passende Ausbildung ihrer Schutzbefohlenen sorgte sie hingegen nicht. Die eigentliche Hauptaufgabe von uns Zivis war nämlich nicht das Schieben und Tragen von Fluggästen. In Ermangelung eines diensthabenden Arztes waren wir insbesondere auch als Ersthelfer vor Ort verantwortlich für die Erstversorgung bis zum Erscheinen des Notarztes. So mancher Zivi hatte im Laufe seiner kurzen Amtszeit mindestens einen Todesfall zu beklagen, wo seine Erste-Hilfe-Maßnahmen ohne Erfolg blieben. Dieser Kelch ging zum Glück an mir vorbei, denn statt der erforderlichen Ersthelferausbildung schickte man mich auf ein zweiwöchiges Altenpflegeseminar. So desinfizierte ich dutzenden Verletzten die offenen Wunden mit Sagrotan Spray und wunderte mich jedes Mal, warum sie nach meiner Behandlung noch größere Schmerzen hatten als vorher. Irgendwann informierte mich dann ein Patient, dass man dieses Zeug eher zum Desinfizieren von Toiletten verwendet, nicht aber für Wunden. Statt mir eine vernünftige Ausbildung angedeihen zu lassen, kleidete man mich wenigstens so, dass ich aussah wie ein Notarzt. Einige Zivis hatten dieses Outfit erhalten, das „gute Outfit“ genannt, während andere sich mit einer merkwürdig geschnittenen Jacke in Leuchtorange begnügen mussten, das „miese Outfit“ genannt. Gemeinsam mit meinem Zivi-Kollegen Henry, welcher vermutlich als „mieser Zivi“ eingestuft wurde und daher nur das miese Outfit erhielt, ging ich einmal eine Flugzeugtreppe hinauf und als letzte Gäste des soeben gelandeten Fluges kamen uns noch ein Vater und sein kleiner Sohn entgegen: „Du Papa, was wollen denn der Arzt und der Müllmann im Flugzeug?“, fragte der Kleine und brachte die Uniform-Problematik damit zu meiner großen Erheiterung auf einen Nenner. Das Hauptbestreben von uns Zivildienstleistenden war - neben der Verrichtung unserer Trage-und-Schiebe-Arbeit - das Erreichen eines ausgeglichenen Karmas und möglichst viel Erholung von all dem Stress, wobei wir auch den besonderen Touch Luftfahrt bei alledem genießen wollten. Entsprechend ergaben sich während der Dienstzeit zwei Haupterholungzentren, in denen wir uns vor allzu viel Arbeit und vor allem dem stets gefürchteten Zugriff von Miss Marple, alias Dr. Evil, entziehen konnten: Der erste Ort war die alte und schon lange verschlossene Erste-Hilfe-Wache in den Kellergewölben eines alten, längst stillgelegten Gebäudes. Ältere Zivi-Generationen hatten mutig die Verantwortung für unser Wohlbefinden übernommen und die „verlorenen“ Zugangsschlüssel für das Gebäude und die Wache an uns vererbt. In der alten Wache ergab sich die Erholung zwangsläufig, denn hier funktionierten unsere Funkgeräte nicht und Dr. Evil konnte nach uns krähen, wie sie wollte, wir hörten sie einfach nicht – verdammte Technik. Im Sommer bot sich hingegen die „Vorfeld Beachclub“ -Variante an. Hierbei stellt man den Kleinbus quasi direkt zwischen den rollenden Flugzeugen auf dem Vorfeld ab, unmittelbar neben der Landebahn. Beim Einparken ist zu beachten, dass das Heck in Richtung Sonnenuntergang auszurichten ist. Dieses wird dann hydraulisch herabgelassen