Frank Sommer

Im Sturzflug nach Merkwürdistan


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der Piloten aus den in zehn, 15 Metern vorbeirollenden Flugzeugen werde ich wohl nie vergessen. Wenn uns nicht nach Erholung zumute war, so bot das Vorfeld stets auch touristische Highlights, wie etwa die Kanzlermaschine Boeing 707 „Konrad Adenauer“, welche einmal vor Ort zu Gast war. Noch am Anfang meiner Zivi-Laufbahn, konnte ich es kaum erwarten, mir diesen Flieger von innen anzuschauen. Ich parkte unseren Bulli an der Gangway und hastete heraus. Mein erfahrener Zivi-Kollege rief mir noch laut hinterher: „Aber sag‘ denen um Gottes willen nicht, dass du…“ und schon war ich weg. Oben an der Flugzeugtür sagte ich dem wachhabenden Soldaten: „Hallo, ich bin hier Zivi und würde mir total gern mal euer Flugzeug anschauen, darf ich?“ „Hm, ein Wehrdienstverweigerer also, ja?“, entgegnete mir der Mann und plötzlich verstand ich, welchen Rat mir mein Kollege noch mit auf den Weg geben wollte. „Na ja, na gut, du darfst trotzdem mal reingucken“, frotzelte der Herr nach erstaunlich langem Nachdenken und ließ mich doch noch eintreten. Es ist aber nicht so, dass wir nicht auch mal gearbeitet hätten. Richtig ins Zeug haben wir uns für unsere Kunden so manches Mal gelegt, etwas zu sehr zuweilen. Einmal sollte ich eine alte Dame von einem landenden Flugzeug abholen und zu ihrem Anschlussflug bringen. Bei diesem handelte es sich um die Island-Maschine, die nur einmal täglich flog. Als ich die Umsteigezeit der Dame sah, traute ich meinen Augen nicht. Vom Aufsetzen ihres ankommenden Fluges bis zum Abheben ihres Anschlussfluges nach Island hatte sie gerade einmal 20 Minuten Zeit, in der sie von der Pass- bis zur Sicherheitskontrolle alles durchlaufen musste. Dieses Timing war selbst für einen Athleten kaum zu schaffen. Aber versuchen wollte ich es wenigstens. Natürlich waren die Parkpositionen beider Flugzeuge maximal weit auseinander an exakt den entgegen gesetzten Fluggastbrücken. Ich holte die Dame ab, drückte sie in den Rollstuhl und rannte so mit ihr über den Flughafen, als gäb’s keinen Morgen mehr. Alle halfen mit und unsere Chancen standen vielleicht gar nicht so schlecht. Schließlich kamen wir am Gate ihres Anschlussfluges an und alle warteten nur noch auf uns. Ich rannte die Fluggastbrücke zum Flieger herunter und an der offenen Flugzeugtür warteten schon die Flugbegleiter auf uns. Zeit zu bremsen. Leider verschärfte sich aber genau im Moment dieser Erkenntnis der Abwärts-Winkel der Fluggastbrücke und trotz einer starken Bremsung verlor die Dame vor mir im Rollstuhl kaum an Geschwindigkeit. Die dann folgende Vollbremsung entglitt jedoch leider meiner Kontrolle. Der Stuhl bremste nun, doch ich verlor bei dem Manöver die Bodenhaftung und… hob ab. In einem sauberen Bogen flog ich über den Rollstuhl, welcher zeitgleich die alte Dame wie ein Schildkrötenpanzer unter sich begrub. Nach unsanfter Landung bremste ich mit dem Kinn und kam schließlich zehn Zentimeter vor der Flugzeugtür zum Stillstand. Mit einem Video von diesem Stunt hätten die Dame und ich Luftfahrtgeschichte geschrieben, aber leider war die Videoüberwachung damals noch nicht soweit. Stille erfüllte den Raum, bis einer der Flughafenmitarbeiter anfing, böseste Schimpftiraden über mich zu ergießen, dass er mich verklagen wolle und anzeigen und überhaupt und sowieso. Der älteren Dame ging es zum Glück gut und genauso wie die Flugbegleiter war sie trotz des kleinen Malheurs überglücklich, dass sie doch noch am selben Tag nach Island weiter reisen konnte.

       Henry als Drogenkurier – die Urkatastrophe

      Die erste Reisekatastrophe, mit der ich in Berührung kam, traf noch nicht mich, sondern meinen Freund Henry – den ehemaligen Zivi-Kollegen in Müllmann-Uniform. Wenn ich geahnt hätte, dass sich dieses Blatt bald und dauerhaft wenden sollte, wäre ich mit unterschwelliger Häme damals vielleicht lieber etwas sparsamer gewesen.

      Das Wetter auf der Karibikinsel Curacao ist herrlich und fördert fast 365 Tage im Jahr das allgemeine Wohlbefinden. Die Menschen sind gelassen, freundlich und sehr liebenswert. Hinzu kommt eine tolle Fauna mit Iguanas und Papageien ebenso wie den buntesten Lebewesen unter Wasser. Man muss kein Taucher sein, sondern kann beim einfachen Schnorcheln an fast jeder Stelle im Meer Barrakudas, Moränen, Seeigel und dicke Papageienfische bestaunen, die nicht nur phantastisch aussehen, sondern frisch gegrillt mit etwas Knoblauch, Salz und Pfeffer auch ganz hervorragend schmecken. Für mich war Curacao ein toller Anlaufpunkt, um einen Urlaub an einem exotischen Ort zu verbringen. Da dort gute Freunde von mir leben, konnte ich mit einem Urlaub das Angenehme mit dem Angenehmen verbinden. So fragte ich einmal auch meinen Freund Henry, ob er mich nicht für einen gemeinsamen Urlaub dorthin begleiten wolle. Henry war ein richtiger Globetrotter und reiste genau wie ich sehr gerne. Die Möglichkeit, mit mir gemeinsam ein paar Tage in der Sonne zu verbringen, hat bei Henry sofort spontane Begeisterung hervorgerufen. Während ich etwas länger auf der Insel blieb, wollte er nur für eine Woche bleiben. Sein Jurastudium neigte sich dem Ende entgegen und die Prüfungsvorbereitung ließ ihm leider nicht mehr Zeit für einen längeren Urlaub. Zusammen verlebten wir eine ausgelassene Woche und genossen die Insel, die Strände und den Pool in vollen Zügen. Wir experimentierten viel mit Cuba Libre und entwickelten am Pool ausgefeilte Sprung- und Arschbombentechniken. Besonders den letzten Tag verbrachten wir fast vollständig im Schwimmbecken – bei karibischen Temperaturen natürlich kein Problem. Eines Abends war es leider auch schon wieder soweit. Eine Woche Urlaub vergeht ja sowieso viel zu schnell und gerade nach dem letzten Tag im Pool war der Abschied für Henry besonders hart. Andererseits hatte sich der Streber ja dafür entschieden, in seinem kleinen Kämmerchen Jura zu pauken, statt mit mir noch eine schöne Woche am Kokosstrand zu verbringen. Also brachte ich Henry zu seinem Rückflug. Am späten Abend sollte der Nachtflug nach Europa starten. Ich setzte Henry ab, verabschiedete mich und fuhr zurück. Eine gute Stunde später klingelte plötzlich mein Telefon und mit schriller Stimme bat Henry, vor Aufregung noch ganz schnappatmig, darum, dass ich ihn wieder vom Flughafen abholen möge: „Die sind nicht ganz dicht! Nach der Sicherheitskontrolle haben mich Vertreter der Fluggesellschaft in einen Raum für Sonderuntersuchungen gezogen, mir kurz in die Augen geguckt und auf die Zunge. Dann haben sie behauptet, meine Augen seien rot, daher habe ich vermutlich Drogen genommen und sei deshalb vermutlich ein Drogenschmuggler! Die haben mich einfach aus dem Flughafen geworfen ohne Telefongeld und mein Gepäck, die wollten mich nicht mal bei dir anrufen lassen!“ Die holländische Fluggesellschaft wollte ihn nicht mitnehmen, weil sie ihn als Drogenkurier verdächtigte? Henry? Das personifizierte Gute und angehender Jurist mit Jobwunsch Richter als vermeintlicher Drogenkurier? Und wenn jemand als Drogenkurier verdächtigt wird, schickt man ihn neuerdings einfach nach Hause, anstatt die Polizei zu alarmieren? Was ist das denn für ein Blödsinn? Das klang verdammt „lustig“, wenn auch die Folgen dieser falschen Verdächtigung wohl nicht ganz so lustig waren, zumindest aus Henrys Perspektive. Ich entsprach also seinem Wunsch und holte ihn wieder vom Flughafen ab.

      Ein trauriges Bild gab er ab, allein mit seinem Köfferchen und fassungsloser Mine um Mitternacht am karibischen Flughafen. Was Henry dann berichtete, sollte später zu seinem ersten beruflichen Erfolg werden. Er erzählte, wie das mit der „Sonderuntersuchung“ seiner Person genau gelaufen war. Jemand, der ganz offensichtlich Mitarbeiter eines kommerziellen Sicherheitsdienstes und keinesfalls Vertreter einer staatlichen Autorität war, „untersuchte“ Henry dort binnen weniger Sekunden. Der Vorwurf, dass Henrys vom Pool-Wasser gerötete Augen darauf hindeuteten, dass er in seinem Magen kleine Kügelchen mit Kokain schmuggeln wollte, war natürlich völlig absurd. Wäre solch ein Vorwurf nur ansatzweise fundiert beziehungsweise qualifiziert und käme er von einer adäquaten staatlichen Autorität, anstatt vom Sicherheitsdienst der Fluggesellschaft, dann wäre die natürliche Folge wohl eine Festsetzung des Verdächtigen und mindestens ein Drogentest gewesen. Da dies aber nicht der Fall war, verweigerte man Henry lediglich das Boarding seines Fluges und warf ihn aus dem Terminal. Das Problem war, dass der betroffene Flug überbucht war und die Fluggesellschaft ein unmittelbares finanzielles Interesse daran hatte, die Anzahl ihrer Fluggäste an diesem Abend auf die Anzahl der im Flugzeug vorhandenen Sitzplätze zu reduzieren. Auch seinem legitimen Wunsch, wenigstens noch einmal telefonieren zu dürfen, damit ich ihn abholen könnte, entsprach die Fluggesellschaft nicht. Stattdessen sagte man ihm, dass er „frühestens in drei Tagen wieder versuchen dürfe, mit seiner Fluggesellschaft nach Europa zu fliegen“, davor würde man ihn nicht mitnehmen. Um die Sache rund zu machen, verweigerte man Henry zu guter Letzt noch die Herausgabe seines Gepäcks. Dies sei irgendwo im System und er könne es sich am nächsten Tag vom Flughafen abholen. Beeindruckt von dieser Art „Kundenservice“ und noch immer völlig ungläubig, dass er nicht auf dem Weg nach Europa, sondern wieder auf der Terrasse in seinem Urlaubsort war, blickte Henry zunehmend sorgenvoll drein. Seine Zurückweisung vom gebuchten Flug aus nicht nachvollziehbaren