Yule Dackelpfötchen

der freche Papagei Muppel und die Reise zum Zauberbaum


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dem Bett und rannte auf den Gang. Unterwegs kollidierte er, wie so oft gerade dann, wenn er keine Schuhe anhatte, mit einer der Getränkekisten im Flur. Vor Schmerz auf einem Bein hüpfend und wild vor sich hin fluchend und trotzdem froh, der seinem Traum entronnen zu sein, kam er schließlich beim Telefon an. RING – RING – RI... „B U R G U S!“ brüllte er, leicht verärgert über die Hartnäckigkeit des Anrufers in den Hörer.

      „Schrei mich bitte nicht an...“, sagte, oder besser, lallte die männliche Stimme am anderen Ende, es war Peter.

      „Hallo Peter, was rufst Du denn in meinem Büro an, schon wieder meine Privatnummer verloren?“ fragte Bernie.

      „Privathummer geschoren? Bist Du betrunken oder was, ... hicks?“ antwortete Peter mit einer Stimme, die Bernie sofort verriet was los war.

      Offensichtlich hatte Peter doch Probleme gehabt, die Erlebnisse der letzten Stunden zu verkraften und hatte zu seinem favorisierten Allheilmittel gegriffen.

      „Oh Peter, hast Du schon wieder Deinen Weinvorrat dezimiert?“ fragte Bernie.

      Betretenes Schweigen am anderen Leitungsende.

      „Hast du wieder etwas angestellt?“

      „Ich? Nie! Du kennst mich doch Bernie, Du kennst mich doch ...“, kam es Glaubwürdigkeit heischend aus dem Hörer.

      „Eben deshalb. Was ist passiert? Ich wollte eigentlich erst in einer Stunde bei Dir drüben sein, soll ich lieber gleich vorbeikommen?“

      „Besser wär’s vielleicht. Mir ist da was Dummes passiert..., hicks“. Peters Stimme klang beschämt. „Okay, ich bin in zehn Minuten bei Dir drüben, mach bis dahin keine weiteren Dummheiten!“ schwörte Bernie seinen Freund ein. Doch der regte sich auf: „Dummheiten? Ich? Ich bin doch kein kleines Kind! Ich mach niemals Dummheiten. Nie!“ – „Bis gleich Peter“, lachte Bernie und legte den Hörer auf.

      Nach den üblichen Fehlzündungen sprang sein liebevoll gepflegter Oldtimer an und Bernie bog auf die Landstraße die zu dem Ort führte, in dem Peter wohnte.

      Unterwegs erinnerte er sich an das letzte Mißgeschick seines Freundes. Peter hatte von irgend einem Verwandten, der ihn anscheinend entweder nicht besonders gut kannte, oder vielleicht auch nicht besonders gut leiden konnte, ein ferngesteuertes Flugzeug geschenkt bekommen. Das Flugzeug, eigentlich eher klein und harmlos, war erst durch den am Bug angebrachten, Kerosin getriebenen Motor zur potentiellen Gefahr in Peters ungeschickten Händen geworden. Irgendwie jedenfalls, vielleicht lag es daran, das er nicht ganz nüchtern gewesen war, hatte dieser es geschafft, damit einen friedlich vorbei schwebenden Fesselballon anzubohren und zur Notlandung zu zwingen.

      Natürlich war der Fahrer des Ballons ganz schön angefressen gewesen. Bernie, der kurz nach der Polizei am Ort des Geschehens eingetroffen war, hatte damals alles für seinen erschrockenen Freund geregelt, was diesem im Nachhinein gar nicht so sonderlich gepaßt hatte, da er es seiner Vorstellung nach war, der umgekehrt dem armen Bernie in väterlicher Manier durchs Leben helfen mußte. Er ließ den gutmütigen Dicken gerne in diesem Glauben.

      Aber heute war Peter daheim, das beruhigte Bernie. „Das heißt, es hat diesmal wenigstens seine eigenen Sachen erwischt.“

      Als er seinen Oldtimer auf dem Parkplatz vor Peters antikem Haus abgestellt hatte, fiel ihm ein, dass er seinen Freund schon lange mal fragen wollte, in welchem Jahr das Haus überhaupt erbaut war. Dem Aussehen der massigen Mauern, mit den unregelmäßig geformten, hier und dort teilweise daraus herausragenden dunklen Steinblöcken zu schließen, war es jedenfalls uralt. Bernie ging an Peters verbeultem Auto vorbei die schmale Holztreppe hoch und klingelte. Immerhin, Elektrizität gab es in dem alten Gemäuer. „Komm rein, Tür ist auf“, hörte er seinen Freund von drinnen mit etwas jämmerlich klingender Stimme rufen. Während er in die Wohnung trat, hoffte Bernie, das sein Freund trotz dessen offensichtlichen Alkoholkonsums, wenigstens noch ansprechbar genug war, um mit ihm über ihre gemeinsamen Märchenwaldbegegnungen zu sprechen.

      Doch als er die Küchentür öffnete, bot sich ihm ein altbekanntes Bild, eine Dreierkonstellation der Art: kaputter Gegenstand / Arsenal leerer Weinflaschen / verdatterter Peter.

      Leider war der kaputte „Gegenstand“ blau-grün, hatte einen krummen, roten Schnabel, zerzauste Federn und ziemlich glasige Augen. Es war Muppel, Peters frecher Papagei.

      Der sturzbetrunkene, gefiederte Kerl lag mit geöffneten, kleinen, vom Suff geröteten Äuglein Richtung Käfigdecke starrend, auf seinem Papageienbuckel und streckte Bernie die winzige Zunge raus. Peter sah sehr schuldbewußt drein. Seine riesigen Hände hatte er artig über seinem durch stetigen Weingenuß auf ansehnliche Größe gewachsenem Bauch verschränkt.

      „Er hat mich so lieb angesehen mit seinen kleinen Äuglein Bernie, da hab ich mir gedacht,

      so’ n bißchen Wein wird dem Kerlchen doch sicher gut tun und da hab ich sein Schüsselchen genommen und ...“, gestand er gesenkten Hauptes „... den armen Vogel zum Säufer gemacht!“ beendete Bernie das Geständnis streng.

      „Aber Bernie, ich wollte doch nur, äh, ich meine ich konnte doch nicht, äh, der arme Kleine sollte doch nicht denken das ...“, tottelte Peter. „Denken Peter. Denken! Das ist das Stichwort.“ Bernie versuchte den Papagei auf eine Stange zu setzen. Vergebens. Der sah ihn nur delirisiert an, um sofort wieder vom Stengel herabzufallen.

      Jetzt guckte Peter wirklich schuldbewußt. „Der Piepmatz verkraftet das doch, oder Bernie?“.

      Bernie überlegte kurz, ob eine Anwendung der Schocktherapie vielleicht doch mal sinnvoll bei seinem Freund wäre, aber er brachte es nicht übers Herz, weil er wußte, das Peter selbst immer sehr unter dem litt, was er anrichtete, besonders wenn davon Mitmenschen oder Mitlebewesen betroffen waren.

      „Mach dir keine Gedanken um den Vogel, Peter. Der schläft jetzt seinen Rausch aus und morgen Abend weis er außerdem, wie sich so ein richtiger Kater anfühlt. Besser ein Kater im Papagei als umgekehrt...“, lachte er und klopfte Peter beruhigend auf den Rücken. „Aber Du solltest ernsthaft mal erwägen, mir mal eine Zeit lang den Schlüssel zu Deinem Weinrefugium zu geben“, sagte er mit gespieltem Ernst. Er wußte, wenn es Eines gab, an dem Peter besonders hing, dann war es sein Weinkeller inklusive der darin lagernden, in buntem Glas aufbewahrten flüssigen Kostbarkeiten. „Du bist wohl mit der Muffe gepufft?“ Peter schnappte nach Luft. „Dann schenke ich sie lieber direkt unserem Pfarrer, der weis sie wenigstens zu schätzen ...“, prustete er.

      Bernie hatte mittlerweile den Wein in dem kleinen Trinkschüsselchen des Papageis gegen Wasser ausgetauscht und den Käfig mit einem dezent beigen Tuch abgedeckt.

      „Der fährt jetzt Papageien- Karussell“, grinste Bernie und ging zu Peters Küchentisch.

      Er wollte sich gerade auf die Eckbank dahinter zwängen, als Peter auch schon angesprintet kam, einen der beiden Stühle am Tisch herauszog und ihm diesen Platz anbot.

      Da war irgend etwas faul. Oberfaul! Peter war zwar hilfsbereit, manchmal bemutterte und bevaterte er Bernie gleichzeitig, aber sich so willfährig zum Lakaien zu machen, das paßte nicht zu ihm.

      „Was ist los, Peter? Willst Du dich etwa auf die Eckbank zwängen?“ fragte Bernie schelmisch lächelnd, obwohl er genau wußte, dass dies, wenn es nur nach rein physikalischen Gesetzen ginge, gänzlich unmöglich war.

      „Öh, nä Bernie, ich will nur grad` n bißchen für Ordnung sorgen“, antwortete dieser, kleine Schweißperlen auf der Stirn, nahm die dicke Tageszeitung vom Tisch und beugte sich, mit dieser in der Hand hinunter zur Eckbank, die Hand geschickt verdeckt durch Tisch und Zeitung. Doch Bernie war schneller. Er kannte den Trick mit der vorgehaltenen Zeitung. Dahinter konnte man ideal etwas Kleineres, einem selbst vielleicht Unangenehmes, verschwinden lassen.

      „Na was haben wir denn da?“ – Bernie legte das Buch, das aufgeschlagen auf der Eckbank gelegen hatte auf den Tisch und klappte es zu, so dass der Titel zu sehen war.

      Es war „der kleine Muck“! Er hatte das Märchen von Wilhelm Hauff selbst auch schon gelesen. Allerdings im Alter von Sieben Jahren. Die Differenz zwischen der