Tiny von Wedel

Für immer bis zum nächsten Mal


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direkt auf den perfekten Weg. Und so würde auch dieses Mal wieder alles Tanz und Sonnenschein werden.

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      2

      Das Beste, womit man harte Zeiten überwindet, ist harte Arbeit. Das leuchtete Valerie mittlerweile ein, und es war auch unter den Top-Fünf ihrer Zitatenschilder, mit denen ihre Blankenstern Ltd. nebenbei einen mehr oder weniger schwungvollen Handel betrieb. Neben ihrer momentanen Haupttätigkeit als freie Autorin. In letzter Zeit sehr zu Valeries Leidwesen und sogar für ihren Geschmack ein wenig zu frei. Aber ein neues Projekt würde schon wieder rechtzeitig am Horizont auftauchen. Und da es für Pessimismus bereits zu spät war, konnte jetzt ohnehin nur noch sonnigster Optimismus weiterhelfen. Alles, was man bräuchte war ein wenig Nervenstärke und „It´s silly not to hope. It´s a sin.“ (The old man and the sea, Nr. 27 der Zitatenschilder). Und schließlich war sie selbstständig, unabhängig, frei und ungebunden, kompromisslos und fest in ihre Zukunft vertrauend. Deswegen würde sie auch morgen als Erstes einen Termin machen. Bei Madame Primrose, der zur Zeit vielversprechendsten Wahrsagerin der Metropole.

      Jetzt würde erst einmal ein Morgenlauf die Welt in einem freundlicheren Licht erscheinen lassen, denn Valerie hatte gerade ihre Laufphase. Sie war ein großer Befürworter des Phasen-Prinzips, wobei eine Laufphase bei ihr ohne Weiteres von einer Cocktail-Phase abgelöst werden konnte, die dann wieder von einer längeren Schlaf-Phase abgelöst werden konnte, die dann wieder in eine Schlaf-Phase überging unter Umgehung der Wachphase. Und sich treiben zu lassen war dann auch eine ihrer bevorzugten Disziplinen. Auf dem Rückweg machte sie einen kurzen Stopp bei ihrem Lieblings Organic Deli „Fresh and wild“- der Firmennamen sprach sie persönlich an - und fühlte sich nach zwei Gläsern des besonders scheußlich schmeckenden Triple-Anti-Aging Weizengrass-Safts ausreichend legitimiert für einen kurzen zweiten Stopp im gegenüberliegenden Tabakgeschäft um zwei Packungen American Spirit mitzunehmen - organische Zigaretten (nur nicht rauchen war noch gesünder). Nicht ganz so "fresh" aber dafür wild und mindestens genauso scheußlich schmeckend. Valerie rauchte zur Zeit nicht aber man konnte schließlich nie wissen, wie lange diese Phase anhielt.

      Und kaum war sie zu Hause angekommen und der Puls und die morgendliche Aufregung waren weitestgehend entschleunigt, klingelte auch schon wieder das Telefon, und es war Bernhard, ihr erster Ehemann. Es war anscheinend ein Tag der Verantwortungen und der Stimmen der Vergangenheit und sie würde die Würfel heute nehmen, wie sie fielen.

      „Valerie, Darling-Love, ewig nichts gehört, oder mindestens nicht mehr seit Livias Party." Die war gerade fünf Wochen her. "Bei dir alles in bester Ordnung, wie ich hoffe. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“

      Der anhaltende Kontakt hatte bei allen ehemals Ehebeteiligten zu einem recht zwanglosen Umgangston untereinander geführt.

      „Bernhard, danke. Die Nachrichten über meinen Tod waren übertrieben. Was macht das Leben bei dir? Die kleinen Goldfasane und sonstige Familie wohlauf, wie ich hoffe.“

      „Danke, alles bestens. Und das Wetter bei dir im Königreich, sonnenverwöhnt wie immer?“

      „Absolut, es wurden heute Sonnenbrillen ausgegeben an die Bevölkerung. Hunny, was ist der Grund deines Anrufes?“

      „Die Sehnsucht nach dir lenkt meine Schritte....“

      „Ich weiß, ich weiß. In die entgegengesetzte Richtung. Gibt es eigentlich einen „Valerie-Gedächtnistag“ in eurer Familie? Hätte ich dich damals nicht verlassen, hätte dieses Familienglück...“

      „Valerie, was hat deinen Frohsinn getrübt? Ich kenne dich doch. Was macht der Zitaten-Handel und die Kunst?“

      „Die Realwelt ist ein momentanes Desaster, aber ein Schiff wird kommen. Ich bin ein wenig eilig Sweatheart, also nennen Sie Grund und Zeit Ihres Anrufes...“

      „Mein geliebter apokalyptischer Reiter...“

      „Bernhard...“

      „Wir kommen Ende des Monats nach London...“

      „Und ich soll auf die Kinder aufpassen.“

      „Das würden wir natürlich nicht einmal unseren ärgsten Feinden empfehlen.“

      „Danke.“

      „Bist du ein Schatz und schickst mir deine „All-favorite-London-List“, dann kann Frau Fischbacher die Reservierungen und das Programm für uns machen.“ Frau Fischbacher war Bernhard Anheims langjährige Assistentin und einige behaupteten, sie wäre auch schon sein Kindermädchen gewesen.

      „Frau Fischbacher gibt es immer noch? Die Frau, die es am längsten mit dir ausgehalten hat, ha! War ein Scherz. Liebe Grüße von mir und ich schicke sie dir heute noch raus. Oder die Tage. Sag mir Bescheid, wann Ihr genau kommt, vielleicht können wir uns sehen. Ich meine - solltest du vielleicht früher kommen ...?“

      „Das wäre natürlich fabelhaft, aber ich kann es dir noch nicht genau sagen. Wir werden diesmal wahrscheinlich alle zusammen ankommen und du kennst Esther und ihre Reaktion wenn ich deinen Namen...“

      „Fein. Ich bin auf dem Sprung. Wenn es klappt, dann klappt es sonst, bleib mir gewogen.“ Die Leitung klang plötzlich ein wenig frostig.

      „Das weißt du doch genau. Big kiss, danke dir und pass gut auf dich...“ Die Leitung wurde jetzt plötzlich unterbrochen, da Valerie versehentlich aufgelegt zu haben schien. Bernhard war sicherlich unter den Top-Drei ihrer Ex-Ehemänner aber die Kommunikation war manchmal eine Zerreißprobe. Lieb, lieb, lieb! Zu allen. Und „Esther“, allein der Name reichte für die erste American Spirit dieses Tages. Sicherlich, sie hatte ihn damals verlassen, aber Esther musste es nun wirklich nicht sein. Aber es war, wie es nun einmal war und sie freute sich, wenn es allen gut ging. Und außerdem: Ende des Monats. Das war in zwei Wochen. Soweit hatte sie in ihrem Leben noch nie vorausgeplant. Platz für Neues. Platz für eine sonnige Zukunft. Platz für Madame Primrose.

      ✩

      3

      Sie bekam einen Termin am nächsten Tag um siebzehn Uhr – normalerweise dauerten die Wartezeiten bis zu drei Monaten – und auch nur weil „Mrs. Hurley“ ihren Termin abgesagt hatte. Sie wird gewusst haben warum. Bevor Valerie zu einem Wahrsager gegangen wäre, hätte sich normalerweise eher eine Katze eine Zehnerkarte für das Freibad gekauft. Aber es war nicht normalerweise. „In this business either you sink or you swim or you don´t.“ (Zitatenschild Nr.17) und sie wusste augenblicklich weder welches Geschäft noch die eigentliche Frage. Alle von Valeries 500 besten Freundinnen hatten Madame Primrose ausdrücklich empfohlen und ihr Name wurde wie der eines Schweizer Nummernkontos in den guten alten Zeiten weitergegeben. Und so hatte Valerie pünktlich um kurz vor fünf an diesem sonnigen Londoner Nachmittag, ihren 72er Mini Innocenti in einem der dunkleren Stadtteile der Stadt geparkt und machte sich auf die Suche nach dem Tor zur Zukunft.

      Bei einem kaum zu findenden Haus führte dann auch vorbildlich von einer wackeligen Glühbirne flackernd beleuchtet, eine Treppe zu einem Souterrain-Apartment hinunter. An der Wand vor der Eingangstür lehnte ein altmodisches, schon ziemlich verrostetes schwarzes Damen-Fahrrad, ähnlich dem von Miss Gulch - der bösen Hexe des Westens in der "Wizard of Oz" - mit dem sie Dorothes Hund "Toto" entführt hatte. Inklusive vorderem Fahrradkorb, in dem sogar etwas lag, das wie eine kleine karierte Hundeleine aussah. Bis dahin also ein ganz ausgezeichnetes "Set-Design", wie man diesen Kulissenbau beim Film genannt hätte.

      Das magische Einlasstor war in einem übernatürlichen Apfelgrün gestrichen und ein etwas modriger Souterrain-Geruch gemischt mit den Essensgerüchen der Freunde einer deftigen englischen Küche - die in dem hiesigen Wohnblock eine große Anhängerschaft zu haben schien - begrüßten den Suchenden. Auf das mehrfache Klingeln öffnete schließlich: eine enttäuschend normal aussehende Frau mittleren Alters, mittlerer Statur und mittlerer Tonlage, die Valerie Willkommen und eintreten hieß. Das war Doris Berman, die Empfangsdame.

      In der Diele hing dann tatsächlich auch noch eines der Top-5 Zitatenschilder der Blankenstern