Tiny von Wedel

Für immer bis zum nächsten Mal


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Honorarforderung der Weltseherin war dann auch nur noch eine Formalie und schon der erste Blick in die Sterne. Madame Primrose selber war von derart insignifikantem Äußeren, dass Valerie - bei einer etwaigen nachfolgenden Polizeibefragung - sogar von der Vorzimmerdame eine präzisere Personenbeschreibung hätte abgeben können. Einzig die dicken grauen Nebelschwaden, die im Zimmer standen und der übervolle Aschenbecher auf dem mit grünen Filz ausgeschlagenen Kartentisch, verliehen der Situation ein wenig Pathos und Poesie.

      Als Valerie eineinhalb Stunden später den Ort der weisen Vorsehung wieder verließ, wusste sie vor allem, was sie schon vorher recht genau wusste: ihre Vergangenheit. Ohne Frage recht beeindruckend aber 300 britische Pfund beeindruckend? Sie wusste außerdem, dass die kettenrauchende Madame Primrose eine Schwäche für lila-pink-und-mauve-farbene Einrichtung hatte, Plastikblumen ihr Trost und Zuflucht waren, die rauchgraue Katze auf der hinteren lila Chintz-Monstrosität entweder schon ausgestopft oder erst kürzlich verstorben war und dass sie es auch in Bälde sein würde, wenn sie nicht umgehend an die frische Luft und unter eine Dusche kommen würde.

      Eine der goldenen Wahrsager-Regeln lautet: Sage entweder ein Datum oder ein Ereignis voraus. Niemals beides zusammen. Daran hatte sich dann auch diese Säule ihrer Zunft eisern gehalten. Ein paar Allgemeinplätze, einige vage Andeutungen, ein paar vage Warnungen und noch vagere Aussichten. Es war naturgemäß Valeries gesamtes Lebenspersonal in den Karten vorhanden - ein immer wieder beeindruckender äußerst vertrauensaufbauender Schachzug dieses Berufszweiges - und Reisen, ein eventueller Ortswechsel und ein dunkelhaariger Mann. Nicht aus dieser Stadt. Die Finanzen, nicht ganz klar erkenntlich - wem sagte sie das - und Veränderungen. Das reichte Valerie. Da wahrscheinlich jeder der das Verlangen hatte in die Zukunft sehen zu wollen, auf Veränderungen hoffte, war auch hier wieder ein weiterer zufriedener Kunde.

      Und wäre die Verabschiedung nicht gewesen, wäre Valerie auch nur an Britischem Sterling ärmer aber an Lebensmut wieder ausreichend gestärkt ihres Weges gezogen. An der Türschwelle angekommen nahm jedoch Madame Primrose, Valeries rechte Hand zum Abschied in ihre beiden primrose-gelben Hände und wünschte ihr mit der letzten Zigarette im Mundwinkel: „Für die weitere nächste Zukunft viel Zuversicht und Kraft und viel, viel Glück!“ Es hatte nur noch der aufmunternde Zusatz von Churchill gefehlt „And never,never,never give up.“ (Zitatentafel Nr. 26). Eine schwächere Persönlichkeit als Valerie Blankenstern hätte nun sicherlich überlegt, sich gleich vor den nächsten Bus zu werfen, um die Sache abzukürzen. Valerie aber sagte sich, dies sei jetzt endlich die Chance zum Beweis ihrer Theorie, dass jeder seine Lebensgeschichte selber schreibe. Sie hatte sich plötzlich für die „Selfmade-Theorie“ entschieden. Allerdings erst nachdem sie im Pub nebenan zwei Wodka auf Eis, ohne Eis, auf den Weg getrunken hatte.

      ✩

      4

      Der nächste Morgen brachte dann auch schon gleich den ersten Schritt, hinaus aus dem nebelumwaberten Tal, in das Valerie sich von dem Primrose-Auftritt vorübergehend gestoßen sah. Die Musikanlage spielte in lebensbejahender Lautstärke „Quando,quando,quando?“, als sie in ihrer Küche, bei einem Morgentee und unter ihren zwei Küchenzitaten „Only dull people are bright at breakfast“ (Zitatenschild Nr.7) und „Never sit at a table when you can stand on a bar.“ (Nr. 3 der Top-5 der Zitatenschilder) auf ihrem Laptop die letzten Nachrichten und die Bestellungen der Blankenstern Ltd. überflog. Und da war sie auch schon, die helfende Hand des Zufalls, oder eben doch des Schicksals. Ihr Verlag suchte einen freien Autor für ein Buchprojekt und fragte an, ob sie Zeit hätte für: ein Buch über Au Pairs. Na, großartig! Da diese Spezies bekanntermaßen bevorzugt in kinderreichen Familien auftritt, waren ihre momentane Lebenssituation und der dahin führende bisherige Lebensweg ja geradezu ideal. Die Teilchenphysik und vielleicht noch das „Münzwesen zu Zeiten des Trojanischen Krieges“ waren im Moment die beiden Gebiete, die ihr einfielen, auf denen ihr Wissensstand ähnlich wasserfest gewesen wäre.

      Bevor sie noch Zeit hatte sich der Projektbeschreibung eingehender zu widmen, klingelte es an der Tür. Fanny ihr Mädchen für alles - „Assistentin-Sekretärin-Londoner-Buschtrommel-und-Freundin-Hybrid“ - war mal wieder zu spät und Valerie noch in ihrer türkisbestickten marokkanischen Morgen-Tunika, aber Robert Redford würde es schon nicht sein.

      Adrian stand im Türrahmen und seine umwölkte hohe Stirn verhieß nichts Gutes. Das in die Augen fallende volle, noch immer im Stil der auslaufenden 70er getragene schon leicht ergraute Haupthaar und der hochgeschlagene Jackettkragen trugen das übrige zum düsteren Gesamteindruck des Besuchers bei. Er war nicht nur für sein Alter ein attraktiver Mann, und seine stets lässig-elegante Erscheinung strahlte auch nicht nur für Menschen die ihn nicht kannten Respekt und eine gewisse überhebliche Würde aus. Nach den fast zwanzig Jahren, die Valerie und er sich jetzt kannten, gab es zwischen ihnen immer noch eine für alle Anwesenden erkennbare gegenseitige Attraktion. Auch ohne Anwesende.

      „Ich sag, Adrian, was machst du denn hier?“

      „Valerie, du Albtraum meiner schlaflosen Nächte, darf ich kurz reinkommen?“

      „Wo du schon einmal hier bist, wäre es ja wirklich blöd wenn nicht. Ich dachte du wärst in Lugano...“

      Adrian verfügte über genügend Mittel um die Notwendigkeit von Arbeit zu vermeiden und pendelte in der Regel zwischen seinen Haupt-Wohnsitzen Lugano, New York und London hin und her. In seiner freien Zeit war er Anwalt des Rechts und verteilte auch dies recht gleichmäßig über Welt.

      „Wie du siehst, bin ich hier. Gestern angekommen.“

      „Welch Freude und Überraschung. Du weißt, wie sehr ich Überraschungen liebe. Möchtest du einen Tee?“

      „Hast du vielleicht einen Kaffee? Fabelhaft siehst du übrigens aus. Das macht wahrscheinlich deine neuerdings so fürsorgliche Art.“

      „Du auch Liebling! Das macht wahrscheinlich deine neuerdings so wahllose Art.“

      „Wärst du geneigt mir kurz zu erklären, was die Vorstellung vorgestern am Telefon sollte? Es ist ja nicht so, das ich diese Art verheiratet nicht kenne, nur unverheiratet ist sie mir relativ neu, oder ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen.“ Adrian ließ sich auf einen der herumstehenden Riesensessel in ihrem Salon fallen, nachdem er die ungefähr fünfzehn Kissen und einige Bücher die darauf lagen, auf die umstehenden Sitzmöbel und den Boden verteilt hatte. Dann warf er noch ein Buch in seinem Rücken - "Yogi Ninja" - das Er übersehen hatte, auf den neben ihm am Boden liegenden Stapel großformatiger Fotobücher, der schon Beistelltisch-Höhe erreicht hatte.

      „Was sammelst du immer noch alles für Dinge, Himmel! Das wird ja immer mehr. Wie schön, dass jetzt noch ein paar Kissen und Teppiche dazugekommen sind. Die konnten die Medina für einige Tage schließen, nachdem du da warst, wie es aussieht.“ Dann fuhr er sich mit beiden Händen gleichzeitig an den Seiten durch die Haare und verschränkte danach die Hände hinter seinem Kopf. Gäbe es eine typische Handbewegung bei Adrian, die wäre es gewesen. Dann schaute er zu Valerie hoch die gerade die Notwendigkeit entdeckt hatte, den vor ihm auf dem Sofatisch stehenden Riesenstrauß Freiland-Rosen, den sie sich am Wochenende vom Land mitgebracht hatte, in eine unerwartet neue Farbstellung umzuordnen.

      Der Zweifel war einfach eine Hydra. Schlug man ihm einen Kopf ab, wuchsen zwei neue nach. Valerie musste an ein Interview mit Elvis Presley denken, dass Freunde Adrian einmal als besonders bezeichnend zum Geburtstag aufgenommen hatten:

      Frage des Reporters: "Elvis, what´s your idea about the ideal girl?"

      Antwort: "Female, Sir!"

      Er war damals natürlich noch jünger. Elvis.

      „Also, ich warte. Was hast du zu Deiner Verteidigung oder wenigstens zu meinem Verständnis beizutragen?“, fragte Adrian.

      „Sweatheart, let the dead past bury its dead. Let bygones be bygones oder dergleichen mehr, wie die Einheimischen hier so treffend sagen. Ich verstehe nur nicht...“

      „Was gibt es nicht zu verstehen, wenn ich völlig belanglos mit einer Bekannten