Tiny von Wedel

Für immer bis zum nächsten Mal


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ist doch jetzt wirklich der Hammer!", kam von einem, im Schneidersitz auf einem Blass-Rosé-Sessel sitzenden Talk-Gast von gegenüber, "Wir reden hier von Aktions-Hungern! Ich bin im Widerstand. Das ist auch wichtig." Das Gespräch begann allmählich einen Zusammenhang zu bekommen und all das war wirklich hochinteressant. Zumindest für einen konzentrierten Zuhörer in Verfolgung seiner eigenen Geistesschulung, und Valerie kehrte daher auch nur zögerlich auf den Weg des realen zurück.

       In einer ihrer früheren Stimmungstief-Phasen während der Studienzeit hatte Valerie sich vorübergehend darauf verlegt, die Todesanzeigen zu studieren und aus rein sprachlichem Interesse die gesammelt, die sie in ihrer Ausdruckskraft und inhaltlichen Relevanz besonders beeindruckten. Die hieraus geplante Hausarbeit war jedoch nie entstanden. Und aus dieser Zeit war ihr auf der Suche nach einigen anderen Unterlagen gerade eine in die Hände gefallen, die „überlebt“ hatte: "Im hohen Alter von 99 Jahren und nach langer qualvoller Krankheit, starb plötzlich und unerwartet unsere geliebte Mutter, Großmutter und Urgrossmutter. Warum?" Valerie hatte die Worte „plötzlich und unerwartet“ seither nie wieder mit denselben Augen sehen können. In ihrer heutigen weltzugewandten Gemütsverfassung war sie dann auch kurzfristig „vergnügt wie ein Schwein im Schlamm“ - wie ihre Großmutter gesagt hätte - über den wiedergefundenen Schatz. Und nur die noch recht unbefriedigende Materiallage zu ihrem Buchthema konnte eine kurze Wolke auf die ansonsten sonnige seelische Großwetterlage werfen.

      "Das ist doch eine ausgesprochen isolierte Sichtweise", wurde im Fernsehen von einem weiteren Fachmann klar gestellt.

      "Nichts gegen Ihr Lebensmodell, aber das ist eine Tatsache, Herr - ich habe Ihren Namen vergessen."

      "Das ist doch alles Unsinn. Die eigentliche Frage, die sich hier stellt ist doch: Kann jeder selber entscheiden, was er wichtig findet? " Hier wurden der Fernseher und die Gesprächsrunde für den anspruchsvollen Geist wieder in den verdienten Ruhezustand versetzt.

      Fanny bearbeitete gerade die Zitatenschilder-Bestellungen der letzten Wochen und die ließen ein kommendes Buchprojekt als zusätzliche Einnahmequelle doch als recht wünschenswert erscheinen. Die Zitatenschilder gab es in verschiedenen Ausführungen und auf Wunsch auch in Marmor, was allerdings ein wenig an einen Grabstein erinnerte und was daher bisher auch keinen allzu großen Anklang gefunden hatte. Nachdem Valerie unter Tränen die wiedergefundene Todesanzeige vorgelesen hatte, erinnerte sich Fanny aber an die eine Bestellung, die dann doch tatsächlich einmal diesem Zweck gedient hatte: „Life is just one damned thing after the other.“ (Zitatenschild Nr. 29). Der Besteller war ein - allem Anschein nach recht progressives - Mitglied des englischen Landadels aus einer abgelegenen südlichen Grafschaft Britanniens gewesen, vermutlich noch vor seinem Ableben. Der Onkel irgendeiner Mutter irgendeiner Freundin von Valerie. Das war aber auch die einzige Bestellung dieser Art bis heute geblieben. Keiner konnte sich noch genau daran erinnern, wie diese vielversprechende Geschäftsidee mit den Zitaten ursprünglich ihren Anfang genommen hatte, aber sie belieferten mittlerweile immerhin einige der führenden Inneneinrichter der Stadt. Einige. Aber hauptsächlich schmückten Valeries Zitaten-Schilder ihr eigenes Haus und die Häuser ihrer Freunde.

      Und in diese lustigen Grabgespräche fiel Fanny dann plötzlich ein:

      „Betty sagte übrigens, sie hätte Amelie getroffen und die habe ihr erzählt, sie und Adrian würden jeden Tag telefonieren.“

      Valerie wollte sich gerade einen Löffel in die Haare stecken. Das ließ sie jetzt bleiben.

      „So“, war die kurze Antwort. Sie wusste, wie man Fanny „verhungern“ ließ. Eine solche Information verdiente keine sofortige Antwort. Aber dann stand sie lange genug im Raum.

      „Grundgütiger, Fanny. Was für eine Sensation. Ihr Zugang zur „eleganten Welt“, ha! Lassen wir ihr dies Türchen doch offen.“

      „Aber ich meinte doch nur, dass du das wissen solltest.“

      „Auch äußerst verbunden. Ich danke dir!“

      „Ist doch kein Grund gleich so schnippisch zu werden.“

      „Schnippisch?“

      „Ja, schnippisch. Es kann dir doch eigentlich völlig egal sein. Ihr beiden seid ewig geschieden. Du hast ihn verlassen und ...", Fanny überlegte kurz, aber eine Information war nun einmal eine Information, "...und außerdem soll sie einen IQ von160 haben, sagt Tobi." Die Kobold-DNA war heute wieder stärker.

      "Haha!160 wovon? 1000?"

      "Ach Val, Amelie hat noch dazu eine der besten Galerien in Chelsea." Es war manchmal schwer zu sagen, was Fanny mehr Freude bereitete. Informationen zu sammeln oder Informationen weiterzugeben. "Für moderne Kunst ist das momentan einer der Hot Spots der Stadt. Es hätte wirklich schlimmer ...“

       Auch eine Blankenstern konnte nur so viel ertragen wie sie ertragen konnte.

      „Fanny, meine liebe Fanny, apropos. Irgendein schlauer Mensch hat einmal gesagt: Können ohne Fantasie verdanken wir so praktische Dinge wie Picknick-Weidenkörbe, und Fantasie ohne Können verdanken wir die moderne Kunst. Und einer absoluten Abwesenheit von beidem, unter zusätzlicher Auslassung von Stil, verdanken wir Lebensformen wie Amelie Petrowski, möchte ich noch hinzufügen.“ Ein wenig atemlos und ohne weitere überflüssige Herstellung eines Zusammenhangs schob sie noch hinterher:

      „Ich gehe jetzt zu „Fresh and wild“ ein Huhn holen, soll ich dir auch etwas mitbringen?“

      „Danke nein Val. Aber es regnet doch in Wasserfällen und du hast noch ein Huhn im.....“ Da war die Tür bereits für alle im Haus vernehmlich in das Schloss gefallen."...Kühlschrank."

      ✩

      3

      Valerie hatte die Angewohnheit, in Situationen emotionaler Angespanntheit, Brathühner zu kaufen. Diese wurden dann mit Rosmarin vollgestopft in den Ofen verbracht und das kurz darauf aus diesem entweichende Aroma schien eine beruhigende Wirkung auf Valeries Nervensystem auszuüben. Das darauf folgende Schicksal des Geflügels war jedoch meistens ungewiss. Sollten sich nicht zufällig einige Freunde und Bekannte aus den umliegenden Straßen und Stadtgebieten, angelockt vom Brathuhn-Duft zum Essen einfinden, so fristeten die meisten dieser „Frust-Hühner“ ein recht abgeschiedenes Dasein bis zu ihrer Entsorgung. Fanny meinte dann auch des Öfteren, ein „Rosmarinhuhn-Spray“ sei doch die erheblich ökonomischere Variante.

      Wenn Valerie aber tatsächlich einmal in der Küche stand, um Nahrungsmittel nicht allein aus olfaktorischen Gründen zuzubereiten, dann gab es meistens ihren Spezial Ceasar´s Salad. Mit diesem feierte sie über die Jahre weltweite Erfolge. Was an diesem so spezial war konnte eigentlich niemand so genau erklären, nur die begeisterten „Encore“-Rufe, die über alle Flure hallten, taten davon Kunde, und vor allem die sonst eher Salat-abgeneigten Männer schienen verrückt danach zu sein. In der momentanen Ermangelung einer großen Haushaltsführung – aber auch schon zu Zeiten der Notwendigkeit derselben – wurde Valeries Ceasar´s Salad als formelles Abendessen, als informelles Abendessen, als Lunch, als late Lunch, als spätes Frühstück, als noch späteres Mitternachtsessen oder einfach zwischendurch serviert. In Südafrika, in Californien, in Nordafrika, am Mittelmeer, in Norddeutschland, im Tessin und im Englischen Königreich und in den kaum erforschten Gebieten dieser Erde. Und diese Woche wollte Fanny das unfehlbare Rezept ausprobieren. Sie erwartete Paul, einen „guten Freund“ den sie „ganz in Ordnung“ fand, und sie versprach sich einen Erfolg von dem bewährten Essen. Es war mittlerweile wieder nachmittägliche Ruhe in ihrem Battersea Hauptquartier eingetreten. Der Duft von Rosmarin-Huhn lag in allen Zimmern während der melodische Regen beruhigend an die Fenster prasselte und Valerie schrieb im Wohnzimmer zwischen Kissen, Rosen und Büchern die Zutaten auf:

      Valeries Spezial Ceasar´s Salad

      Für die Sauce:

      Balsamico Essig

      Frisch gemahlenen Pfeffer

      Frische gemahlenes rosa Himalaya Salz (oder jedes andere)