Peter H. Brendt

Eisen und Magie: Auf der Flucht


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hastiger Blick zurück. Ihr Anführer Vonhagen verstand sein Handwerk. Drei seiner Soldaten mussten auf seinen Befehl ihre schwere Kettenrüstung ausziehen. Das Eis war zu dünn für voll ausgerüstete Reiter. Aber es trug einen Novizen in Mönchskutte und einem Rucksack. Dann sollte es auch Krieger zu Fuß mit einem Schwert tragen können. Bald würden sie ihn über den Fluss verfolgen. Sein Vorsprung reichte aus, es bis zum Ufer zu schaffen. Doch dort blieb ihm gegen ausgebildete Schwertkämpfer keine Chance.

       Tschok!

      Ein Sprung nach rechts. Daneben.

      Zur Flussmitte war es nicht weit. Hier lag die größte Gefahr nicht in dem Schützen, sondern in der immer dünneren Eisdecke. Es knirschte verdächtig unter seinen Füßen. Bei jedem Schritt bildeten sich feine Linien und Risse. Seine Kraftreserven hielten nicht mehr lange vor, doch um nicht einzubrechen, musste er schneller werden.

      Tschok!

      Nach links. Glück gehabt!

      Dann trat das Befürchtete ein. Das Netz von Sprüngen in der dünnen Eisfläche verbreitete sich schlagartig. Das knisternde Geräusch warnte Sheen rechtzeitig. Er ließ sich in der Hocke nach vorne gleiten, breitete Arme und Beine aus und glitt bäuchlings weiter. So verteilte er sein Gewicht auf die brüchige Oberfläche.

      Er hielt einen Moment den Atem an. Wartete, ob sein Manöver erfolgreich verlaufen war.

       Tschok!

      Es durfte nicht brechen. Brach er ein, brauchten ihn seine Verfolger nicht mehr zu töten. Die Strömung im Wasser würde seinen Körper flussabwärts unter die Eisdecke drücken und ertränken. Er hatte Glück. Es knirschte zwar beängstigend, jedoch wenn er die nächsten Meter auf dem Bauch weiterglitt, sollte er die kritische Stelle überwinden. Danach konnte er sich aufrichten und weiterlaufen.

      In diesem Moment schlug der Bolzen ein.

      Zentimeter neben seinem Kopf bohrte sich die Bolzenspitze in die Oberfläche. Sofort bildeten sich um die Einschlagstelle neue dünne Linien. Wanderten, vereinigten sich mit Rissen um seinen Körper, erweiterten das brüchige Netz. Doch es hielt.

      Nur weg.

      Die drei Verfolger über das Eis sollten ihn bald erreichen.

      Er nahm alle Kraft zusammen. Er rannte, stolperte und fiel. Längst kümmerte Sheen das Abschussgeräusch der Armbrust nicht mehr. Die Entfernung zum Schützen war mittlerweile zu groß für einen sicheren Schuss. Aus seinen ausweichenden Haken wurden Kurven und der Einschlag des Geschosses klang jedes Mal weiter entfernt.

      Endlich gelangte er ans Ufer. Zeit und Deckung genug, einen Blick zurückzuwerfen. Atem schöpfen.

      Die Verfolger erreichten gerade die kritische Stelle in der Flussmitte. Der Novize erkannte den Armbrustbolzen, der knapp neben seinem Kopf eingeschlagen war. Die Soldaten ahmten sein Manöver nach und glitten langsam auf dem Bauch über die brüchige Oberfläche. Sie brauchten nur noch einige Meter zu überwinden, um festeren Boden zu finden und seine Flucht fände ihr Ende. Er besaß keine Kraftreserven mehr. Auch seine neu erworbenen Fähigkeiten als Feuermagier reichten im Kampf gegen drei Gegner nicht aus.

      Sheen schloss die Augen. Er stellte sich das Abbild des Bolzens vor, wie er in seiner Erinnerung in der Eisdecke steckte. Konzentriert zog er das rissige Netzwerk nach, das sich um die Einschlagstelle gebildet hatte.

      An diese Stelle schickte er seine Flamme.

      Das Feuer gab dem brüchigen Eis den Rest. Alte und neue Linien vereinigten sich zu Rissen, Risse verwandelten sich in Spalten und Spalten in Löcher. Die Oberfläche in der Flussmitte brach ein, die von der starren Decke befreite Strömung drückte die Verfolger unter die Eisfläche und tötete sie. Ihr Todeskampf dauerte nicht lange.

      Müde lehnte sich Sheen zurück.

      Auf der anderen Flussseite drohte ihm Vonhagen mit der Faust. Der Armbrustschütze feuerte. Doch die Entfernung war zu groß für einen erfolgreichen Schuss. Kraftlos fielen die Bolzen weit entfernt zu Boden.

      Die nächste Brücke lag drei Tagesritte im Norden. Die gleiche Anzahl an Tagen, bis seine Verfolger von da aus diese Stelle am Ufer erreichten. Das bedeutete, mehr als eine Woche Vorsprung, wenn er in Richtung Süden flüchtete.

      Das würde knapp werden. Zu knapp!

      ***

      Ausgerechnet Wölfe! Meister Kahlm verfluchte sein Pech.

      Auf einer Reise traf ein Kaufmann immer wieder unangenehme Zeitgenossen. Er kannte sie alle. Sklavenhändler, Straßenräuber oder Soldaten, die Wochen zuvor ihren letzten Sold erhalten hatten. Gut, wenn man nicht alleine reiste. Am Besten im Schutz einer Gemeinschaft gleichgesinnter Händler.

      Doch der Winter war dieses Jahr spät gegangen, so dass die schneebedeckten Straßen für Packtiere noch Probleme bereiteten. Die erfahrenen Reisenden warteten daher, bis die Sonne mehr Kraft besaß. Trotz ihrer Bedenken entschied Meister Kahlm, dieses Frühjahr als Erster aufzubrechen. Schaffte er es, vor den übrigen Kaufleuten die Fähre des alten Benjamin am Grenzfluss zu erreichen, verschaffte ihm der frühe Aufbruch einen großen Vorsprung. Und Vorsprung bedeutete in diesem Fall einen höheren Gewinn.

      Gerade weil er so zeitig aufbrach, rechnete er nicht mit Wegelagerern. Auch die lauerten seiner Meinung nach auf besseres Wetter.

      Aber mit Wölfen hatte er nicht gerechnet.

      ***

      Sheen war hungrig. Nach dem langen Winter fand er nur wenig zu essen. Immerhin konnte er seine Fähigkeiten als Feuermagier an flinken Kaninchen erproben. Doch er musste seinem toten Lehrer Echzel Recht geben. Das Fleisch der kleinen Tiere besaß einen geringen Nährwert. Aber wenigstens füllten sie seinen Magen.

      Sein Vorsprung dürfte nicht mehr groß sein. Ein oder zwei Tage, schätzte er, dann würden seine Verfolger ihn eingeholt haben. Es gab lediglich einen Zufluchtsort: die Fähre des alten Benjamin am Grenzfluss. Der Limat bildete die Grenze zur benachbarten Grafschaft. Dort hoffte er Schutz vor Vonhagens Männer zu finden.

      Eine andere Gelegenheit, das Land zu verlassen, existierte nicht. Der für seine gefährliche Strömung berüchtigte Fluss verbreitete sich auf seinem Weg zum Meer. Jede Meile gewann er an Kraft und Heimtücke. Nur wenige Furten ermöglichten einen Übergang, doch Reisende konnten die seichten Stellen erst spät im Frühjahr wieder benutzen. Die seltenen Brücken lagen zu viele Tagesreisen entfernt. Bis er sie erreichte, hatten die Häscher Sheen längst eingeholt. Die Fähre war sein einzig denkbares Ziel. Vermutlich wussten das auch seine Verfolger.

      Schaffte er es, vor ihnen die Grenze zu überqueren, mussten die Soldaten sich entscheiden. Drei Straßen führten von da aus jeweils nach Süden, Westen oder Osten. Entschied Vonhagen sich für die Falsche, gewann der junge Mönch einen wertvollen Vorsprung.

      Der Kriegermönch beschleunigte seine Schritte. Er wollte noch bis Anbruch der Nacht in den Schutz der Bäume gelangen. Auf dieser Strecke sollte es Wölfe und zweibeinige Wegelagerer geben.

      ***

      Meister Kahlm wusste: Mit zweibeinigen Räubern konnte man verhandeln. Sie verglichen Risiko und Gewinn, der zu erreichen war. Nicht selten ließen sie sich sogar auf einen Tribut, eine Abgabe oder Wegezoll herunterhandeln. Aber ein Wolfsrudel besaß zwar einen Anführer, jedoch kein Interesse an Verhandlungen.

      Dieses lahme Maultier hatte die Raubtiere angelockt. Ihr untrüglicher Scharfsinn für die Schwachen in einer Herde führte die Wölfe direkt zu ihm. Meister Kahlm überlegte kurz, die Kisten auf die beiden anderen Lasttiere umzupacken. Er würde das kranke Tier als leichte Beute zurücklassen und fliehen können. So hielt sich sein Verlust in Grenzen. Doch es war zu spät. Das Rudel hatte sie bereits umzingelt.

      ***

      Wolfsheulen. Sheens erster Gedanke galt der Flucht. Aber zu Fuß besaß er keine