Peter H. Brendt

Eisen und Magie: Auf der Flucht


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ihrer Zähne kam. Nah genug, um hochzuklettern, bevor die Raubtiere ihn erwischten.

      Doch in die Jagdrufe der Wölfe mischten sich menschliche Laute. "Kommt her, ihr Bastarde. Dieses Schwert aus Lukorstahl ist zwar von geringer Qualität, jedoch hinreichend scharf für euch verlaustes Pack."

      Kein Zweifel. Dort kämpfte ein Mensch um sein Leben.

      ***

      Die vernarbte Wölfin führte die Meute an. Bevor ihn die Raubtiere attackierten, war es dem Kaufmann gelungen, seine Maultiere in ein winziges Dorndickicht zu führen. Ihre dornigen Zweige boten ein wenig Schutz gegen Angriffe in seinen Rücken. Immer wieder stieß die Anführerin zu, Scheinangriff folgte auf Scheinangriff. Bisher zeigte sie ausreichend Respekt vor seinem Schwert. Offenbar kannte das Tier eine solche Waffe. Gut möglich, dass geschmiedetes Eisen einen Teil ihrer Narben verursacht hatte.

      Jetzt wich die Wölfin zurück, doch ein anderer Räuber übernahm ihre Aufgabe. Der Händler erkannte ihre Taktik. Irgendwann würde sein Schwertarm ermüden, seine Kräfte nachlassen. Die Raubtiere konnten sich jedoch abwechseln. Sein Ende war nur eine Frage der Zeit.

      Wieder wechselte der Gegner. Immer langsamer kamen die Abwehrbewegungen. Die Anführerin ahnte offenbar seine Schwäche. Mit einem kurzen Knurren verjagte sie den Wolf, der die Rolle eines Angreifers übernommen hatte. Ihr stand es zu, die Beute zu töten. Meister Kahlm nahm noch einmal alle Kräfte zusammen. Jetzt hatte sich der Kampf in ein Duell zwischen ihm und der Rudelführerin verwandelt. Die Entscheidung stand unmittelbar bevor.

      Zwei Scheinangriffe, ein Dritter folgte. Doch diesmal schnappte die Wölfin zu. Es gelang ihr an seinem müde gewordenen Schwertarm vorbei zu kommen. Ihre Zähne verbissen sich in ein Hosenbein, ließen nicht mehr los. Ihr Kopf zuckte zurück, dann stürzte der Händler rücklings zu Boden. Ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Er durfte seine Waffe jetzt nicht loslassen.

      Schnell biss der nächste Wolf zu. Er bekam eine Schulter des Kaufmanns zu fassen. Seine kräftigen Kiefern schüttelten seinen Fang, wie einen Hirsch oder ein anderes Beutetier. Die Schmerzen wurden unerträglich, Meister Kahlm schloss die Augen. Warum sich weiter gegen das Unvermeidliche wehren? Müde ließ er das Schwert fallen. Es war vorbei.

      Die Wölfin ließ ihr Opfer los. Ihr Gegner besaß keine Waffe mehr, aus seiner Wunde sickerte Blut in den Schnee. Als Anführerin gehörte es zu ihren Aufgaben, am Ende für das Rudel zu töten. Sie verjagte das Rudelmitglied, das sich immer noch in die Schulter des Menschen verbissen hatte. Ihr stand der letzte Biss zu.

      ***

      Meister Kahlm rechnete nicht damit, beim Wechseln in eine andere Welt vor einer Feuerwolke zu stehen. Er ehrte seit seiner Jugend die Gebote der Göttin Mebera. Ihr widmete er seine Gebete, jede zehnte Münze opferte er ihrem Tempel. Dafür erwartete er genug Gewinn zum Leben und ein sanftes Erwachen nach dem Tod. Die Priester hielten sich bei der Beschreibung des Vorgangs zurück. Aber in seiner Vorstellung begleitete der Übergang stets Musik, zusammen mit behaglicher Wärme.

      Stattdessen verspürte er Schmerzen in der Schulter. Feuchte Wärme sickerte aus seiner Wunde, der Arm schmerzte, pochte. Nicht die freundlichen Blicke der Göttin begrüßten ihn, sondern er starrte in die verdutzten Augen einer hungrigen Wölfin, ihr Fell am Kopf verbrannt. Der Geruch von glimmenden Haaren stach in der Nase, wo er Weihrauch oder Parfüm erwartet hatte. Und keine ruhige Erleuchtung erfüllte seinen Geist, er konnte seine Todesangst immer noch riechen.

      Eine zweite Feuerwolke umhüllte die Schnauze des Wolfes, der sich in seine Schulter verbissen hatte. Der Verstand der Raubtiere brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass aus dem Nichts beißende Flammen entstanden. Schmerzende, stinkende Wolken. Einen kurzen Moment rangen die Urangst der wilden Tiere vor Feuer und ihr Hunger miteinander. Dann floh das Rudel in den Wald.

      Langsam entdeckte Meister Kahlm, dass er überlebt hatte. Zwar mit Blessuren, aber er war am Leben. Hinter einem Gebüsch erhob sich ein junger Mann in der Kleidung eines Kriegermönchs. Waffenlos, bis auf ein Messer an seinem Gürtel. Über seiner Schulter hing ein Beutel, ein Bücherbeutel, wie er erkannte.

      "Mein Name ist Sheen“, begrüßte ihn der Mönch. "Gut, dass ich in der Nähe war."

      "Ihr ward das? Wo kamen diese Feuerwolken her?"

      "Ich beherrsche diese Kunst noch nicht lange. Seien wir froh, dass es funktioniert hat."

      "Ihr hättet diese Teufelsbrut verbrennen sollen. Seht, was sie mit meiner Schulter gemacht haben." Ächzend versuchte der Händler, sich trotz seiner Verletzung zu erheben.

      Der Mönch blieb ruhig. Vorsichtig zog er ihn am unverletzten Arm hoch. "Teufeln bin ich vor kurzem begegnet. Glaubt mir, die würden jetzt noch brennen. Das waren nur hungrige Tiere. Nach diesem Erlebnis wird die Wölfin die Nähe von Menschen meiden. Gleich wie groß ihr Hunger ist."

      Zunächst versorgte Sheen die Wunden des Kaufmanns. Der Wolf hatte sein Opfer so geschüttelt, dass er die Schulter ausgekugelt hatte. Kleine Blessuren, sogar Brüche kamen in der einsamen Welt, in der der Novize bisher gelebt hatte, regelmäßig wieder vor. Daher verstand er sich darauf, eine solche Verletzung zu behandeln. Ein kurzer, wenn auch schmerzhafter Ruck, löste dieses Problem.

      Die Versorgung der Bisswunden bereitete mehr Probleme. Abt Echzel betonte immer, wie wichtig, die Reinigung tiefer Wunden war. Ein Biss von einem wilden Tier musste sorgfältig gesäubert werden. Dazu verschwendete er, wie Meister Kahlm meinte, einen zu reichliche Menge seines Branntweins, den er in den Kisten mitführte. Nach der schmerzvollen Säuberung galt es die offenen Stellen sauber zu verbinden. Nach kurzem Überlegen griff Sheen in seinen Bücherbeutel und holte einen kleinen Tiegel hervor, den er aus dem Kloster gerettet hatte.

      "Die Salbe hier schmiere ich vorsichtig auf deine Schulter. Es handelt sich um Bücherleim. Sie verklebt die Verletzungen und sorgt dafür, dass kein Dreck hineingelangt."

      "Bücherleim. Bist du irre."

      "Keine Sorge. Er wird bald fest und bildet eine dichte Kruste. Unter ihr wachsen deine Wunden zu. Am Ende fällt der Leim von selber ab. Wir haben Glück, dass die Bisse nicht bis zu den Knochen reichen."

      "Und das hilft?"

      "Wir machen das im Kloster immer so. Es brennt etwas. Später wird es jucken. Das ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass es darunter heilt."

      "Und wenn es nicht juckt?"

      "Dann hat der Wolf gewonnen."

      "Also gut. Was habe ich zu verlieren. Bücherleim. Noch nie gehört!"

      Anschließend kümmerten sie sich um die Maultiere. Dann war es Zeit für das Abendessen.

      Sheen genoss die Abwechslung. Keine Kaninchen, diesmal gab es einen herzhaften Eintopf. Er beschloss, Meister Kahlm die Geschichte seiner Flucht und der Ermordung seine Mitbrüder zu erzählen. Die Erlebnisse belasteten den jungen Mann. Es tat gut, sich jemandem anzuvertrauen.

      "Lord Sagenbredt. Ich habe von ihm gehört“, meinte der Kaufmann. "Er ist ein Anhänger des Grafen Tyhr. Beim Volk heißt er Tyhr, der Schöne."

      "Was ist das für ein Mensch?"

      "Tyhr steht im Moment an dritter Stelle in der Thronfolge des Reichs. Davor sind da seine Vettern Hergo und Thanbert. Beide noch unverheiratet. Doch jeder männliche Nachkomme drückt ihn eine Stufe runter. Und da ist noch seine Schwester, die Ansprüche auf seinen Platz in der Grafschaft besitzt. Eigentlich soll ihr der Grafentitel gehören. Man sagt, er habe Lust, weiter nach oben zu klettern."

      "Wenn ich nur wüsste, was es mit diesem Pergament auf sich hat. Meine Freunde mussten dafür sterben."

      "Vermutlich werden wir es nie erfahren. Lasst uns schlafen. War ein langer Tag."

      Für den Fall, dass die Wölfe zurückkehren würden, wachten beide abwechselnd in der Nacht. Aber ihre Ruhe blieb ungestört. Nach einem kurzen Frühstück, verteilte Meister Kahlm seine Kisten auf die Maultiere.