Elke Bulenda

Lausige Zeiten


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ist meine verdammte Armbanduhr?«, fragte sie in die dunkle Nacht. Nun sah sie sich vor eine unerwartete Situation gestellt. Eigentlich müsste Esther bei ihr sein. Nur war die kleine Vampirin bisher noch nicht angekommen. »Verdammt, ihr würde ich es zutrauen, die falsche Abbiegung genommen zu haben, aber das ist nicht möglich!«, sprach sich Molly ein wenig Mut zu. Sie verharrte noch eine Weile, in der Hoffnung, Esther müsse in kürzester Zeit erscheinen. Doch als Molly sich umblickte, war nirgendwo ein Portal, geschweige denn, eine Esther zu sehen. Stattdessen eine Verwüstung, nahezu apokalyptischem Ausmaßes. Die junge Frau näherte sich dem Krater. Um sie herum knisterten brennende Zweige, die ihr auf den Kopf zu stürzen drohten. »Ragnor?«, fragte sie leise, horchte und hoffte, - doch nichts und niemand erwiderte ihre Frage. Molly kletterte über einen umgefallenen Baum und begann vorsichtig den Abstieg in den Krater. »Jessas, das sieht aus, als hätte er eine verflixt harte Landung gehabt. Hoffentlich ist der Kerl nicht verglüht!« Und während sie sich im Krater aufhielt, schlichen sich zwei dunkle Schatten an sie heran.

      »Hvem er det? Hei, jente! Hva gjør du her?«, fragte eine Stimme über ihr.

      »Was für ein Ding?«, keifte Molly nach oben. »Wer spricht da? Los, zeig dich, ich bin bewaffnet und gefährlich!«, trug sie ein wenig zu dick auf. Als Antwort erklang unverschämtes Gelächter im Duett.

      »Du bist nicht nur unverschämt, sondern auch noch Engländerin, wie? So einen komischen Dialekt hörte ich noch nie!«, lachte der eine Kerl und schaute über den Kraterrand. Sein Haar war blond wie Stroh, der Bart hingegen rötlich. »Und vom Himmel bist du auch noch gefallen! Wir sahen einen Kometen. Wenn du das widerlegen willst, musst du uns schon dein Boot zeigen, mit dem du hierher kamst, Sternenmädchen!«

      »Ich bin keine Engländerin, sondern habe irische Wurzeln!«, stellte sie klar. »Auch noch Forderungen stellen, oder was? Komm runter, und ich werde dir zeigen, wie du Sterne siehst!«, ging Molly weiter in die Defensive. Genau, Defensive - nur dass sie eher offensiv anmutete. Auf so eine Konfrontation war das Gothic-Girl nicht vorbereitet. Ihr und Esthers eigentlicher Plan sah vor, zuerst die Gegend zu sondieren, Ragnor zu finden und ihn wieder zurückzuholen. Dass sie auf ungepflegte, bärtige Waldschrate treffen würde, überforderte, ja verängstige Molly ein bisschen. Sie hörte schon viel über diese Art von Menschenschlag, und beabsichtigte nicht mit ihm in näheren Kontakt zu treten. Es befiel sie eine schreckliche Angst, doch diese kanalisierte sich in Wut. Wut, weil sie sich so schrecklich wehrlos fühlte. Doch sie wollte sich keineswegs in die Opferrolle fügen. Das sagte ihre psychologische Weitsicht. Zeige niemandem deine Angst. Wehre dich!

      Ein zweiter, ebenso mit Haaren Zugewachsener, zeigte sich am Kraterrand. Der obligatorische, zweite Mitlacher. Vor ihm gruselte es Molly mehr, als vor seinem Begleiter. Seine Behaarung war eher brünett, schäferhundfarben, schoss es ihr durch den Kopf. Seine Visage zierte eine Narbe, die von der Stirn schräg über das restliche, untere Gesicht verlief. Seine verschlagenen, hellblauen Augen funkelten amüsiert. Sie beunruhigten Molly mehr als die fürchterliche Narbe, und ihre Nerven schlugen Alarm.

      »Dich hat wohl der Jarl geschickt, um zu spionieren?«, fragte der Brünette, mit drohendem Unterton.

      »Wer? Ich kenne niemanden mit Namen Jarl, nur Jarlsberg, aber das ist ein Käse!«, pampte Molly zurück.

      Der Narbige quittierte diese Aussage mit einem verdutzten Gesicht, besann sich jedoch schnell wieder darauf, weiterhin den unerschockenen Schurken zu spielen. »Mich juckt´s im Schritt! Was meinst du Hjálmarr, ob sie zwischen den Beinen genauso heiß ist, wie ihr Temperament es vorgibt?«, fragte Narbengesicht. Der blonde Zottel zuckte lediglich mit den Achseln. »Wenn es dich juckt, sind das deine Filzläuse. Wenn du meinst, ihr nahe treten zu müssen, probiere es einfach aus; aber ich an deiner Stelle, würde bei dieser Hexe sehr vorsichtig sein, Stígandr!« Stígandr umkreiste den Krater, kletterte geschickt über einen umgefallenen Baum und begab sich in die Schneise. So versperrte er Molly den Fluchtweg. Allerdings dachte Molly nicht an Flucht. Sie wollte die Kraterwand nicht empor klettern, weil sie dabei den Kerl im Rücken hätte. Niemand sollte der Gefahr den Rücken zukehren. Sie balancierte sich aus und stemmte die Beine in den Boden, damit sie einen festen Stand bekam. Der Haarige mit Namen Stígandr, rückte immer näher. Und es grauste Molly, als er hämisch grinste. »Komm mein kleines Vögelchen! Wenn du nett zu mir bist, passiert dir nichts!«, schmeichelte er mit klebriger Stimme. Der jungen Frau drehte sich beinahe der Magen um. Je näher er kam, desto größer und bedrohlicher erschien der Kerl.

      Molly ließ ihn fast auf Armeslänge herankommen. Daraufhin bewegte sie blitzschnell ihre Hand. Etwas blitzte auf.

      »Ahhhh!... Ha, ha, ha!«, lachte ihr Peiniger. »Hjálmarr! Guck dir das an! Das Biest hat mir ein Messer ins Bein gerammt!«

      »Ahahaha! Ich sagte doch, du sollst bei ihr vorsichtig sein. Wahahaha!«, grölte Hjálmarr lachend vom Kraterrand herunter und klopfte sich dabei auf die Schenkel.

      »Wie seid ihr denn drauf?«, fauchte Molly. »Ich ramme dir ein Messer ins Bein, und du lachst auch noch darüber?«

      »Klar, weil du dumme Gans, das Messer stecken lassen hast! Womit willst du dich jetzt wehren?«, fragte der Narbige, zog das Messer aus seinem Bein, wischte die Klinge an seiner Hose ab und verstaute das Schneidwerkzeug hinten in seinem Gürtel.

      Molly überlegte. Das war in der Tat eine ausgesprochen interessante Frage.

      »Probier´ es doch aus! Vielleicht habe ich ein zweites Messer! Komm ruhig näher, ich schneide dir deinen kleinen Schwanz ab!«, knurrte sie gereizt.

      »Los, Hjálmarr! Lach nicht so dämlich, sondern hilf mir!«, rief er zu seinem Kumpel empor. Der schien es nicht eilig zu haben, kletterte über den gefällten Baum und trottete gemütlich zu Stígandr hinunter. »Ehrlich, Mann! Du brauchst meine Hilfe, um sie zu nehmen? Schlag den Tryggvason! Das darfst du echt niemandem weitererzählen!«, kicherte er kopfschüttelnd. »Was soll ich tun?«, fragte er sachlich.

      »Halt diese Wildkatze einfach nur fest, klar?«, erklärte Stígandr genervt. Recht sorglos ging Hjálmarr auf Molly zu, um sie von hinten zu packen und festzuhalten. Nur kam er nicht dorthin. Stattdessen traf ihn ihr Stiefel in die empfindlichen Teile.

      »So! Das hast du jetzt davon. Das war mein Stiefel, Freundchen! Der hat Stahlkappen«, erklärte Molly befriedigt. »Diesen Trick habe ich von meiner Freundin Trixie! Da soll noch jemand behaupten, es sei unnütz, wenn Frauen über Schuhe reden.«

      Der Blonde ging stöhnend in die Knie und verdrehte dabei die Augen. Er war nicht mehr in der Lage, einen weiteren Ton von sich zu geben. Die Stille dehnte sich aus, nur Hjálmarrs Atem, der in Stößen ging, durchschnitt sie. Dann sagte er gepresst: »Wir sollten die Furie lieber ins Dorf bringen... Es ist ohnehin besser, denn du blutest wie eine angestochene Sau und mir ist ebenfalls die Lust vergangen... Wir sollten das Sternenmädchen als Preis ausloben, du weißt schon, für den Wettkampf. Soll sich jemand anderes mit diesem Weib herumärgern! Wer sie gewinnt, kann sie behalten und zur Frau nehmen, oder als Sklavin verkaufen.«

      »Da gebe ich dir recht! Schau ihre zierlichen Hände. Ich wette, damit hat sie niemals wirklich hart gearbeitet. Mit solch kleinen Händen kommt sie prima beim Putzen in die Ecken!«, lachte Stígandr.

      »Einspruch! Ich gehöre schon zu jemanden! Und noch etwas: Hände betrachten bringt Streit«, bemängelte Molly, der die Aussicht keineswegs zusagte, an einen verlausten Macker weitergereicht zu werden.

      »Hör mal, Mädchen!«, widersprach Hjálmarr, der sich mühsam wieder auf die Beine rappelte. »Du trägst keine Haube, also bist du noch nicht vermählt! Klar? Und wenn, wäre es uns auch egal!«

      »Was für eine Haube?«, fragte sie barsch.

      Ihre Frage wurde jedoch ignoriert. »Schweig still!«, keifte der Brünette stattdessen angepisst. »Oder, wir opfern dich den Göttern!«

      Blondie wandte sich an seinen blutenden Kumpel: »Stíggi? Du tar til høyre. Jeg tar til venstre!«

      »Jetzt redet doch nicht schon wieder so ein Kauderwelsch! Ich verstehe nichts!«, beschwerte sie sich bitterlich. Doch ehe Molly einen weiteren Ton von sich geben konnte, packte der Brünette sie unter dem rechten Arm, der Blonde sie links;