Elke Bulenda

Lausige Zeiten


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er Annie Ferguson zum ersten Mal sah. Vorher kannte er das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch gar nicht. Dieser Magier ist ein seltsamer Mensch. Meistens hochkonzentriert und bei der Sache. Nur in Annies Anwesenheit bemerkte er eine gewisse Unsicherheit, was ihn wiederum noch mehr verunsicherte. »Annie, ich schenke dir lieber gleich reinen Wein ein. Die Verhandlung ist geplatzt. Der Mörder deiner Tochter wurde von einem Dämonen angegriffen und ist seitdem verschwunden. Und glaube mir, ich hege nicht die geringste Hoffnung, ihn jemals wieder auftauchen zu sehen. Daraufhin flog Ragnor zurück in unsere Zentrale«, endete er, und damit auch der Teil des reinen Weins. Er wollte ihr nichts von Ragnors Verschwinden erzählen, Annie und die Kinder mussten in letzter Zeit eine Menge durchmachen. Dr. Dr. Amanda Ferguson, Annies Adoptivtochter, wurde während ihrer Ferien auf der Insel Høy Øya bei einem Bankraub erschossen. Das soll nicht heißen, sie hätte eine Bank ausgeraubt. Nein, sie war zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort und fiel dabei dem hektisch-dilettanten Räuber zum Opfer.

      »Bist du dir sicher, dass es wirklich ein Dämon war und kein 2,05m großer Vampir, mit jeder Menge Wut im Bauch?«, hakte Annie nach.

      »Selbstverständlich kam mir das in den Sinn, aber ausnahmsweise ist er daran unbeteiligt. Er ist über jeden Verdacht erhaben, hat ein hieb- und stichfestes Alibi. Cornelius war mit ihm zusammen und etwas später, befand sich Ragnor in Polizeigewahrsam. Weil er etwas über den Durst trank und randalierte. Und sollte es sich um einen Auftragsmord handeln, heißt es in diesem Falle ›in dubio pro reo‹, bis alles eindeutig widerlegt werden kann. Wir haben, um den Dämonenvorfall genauer zu untersuchen, ein Team vor Ort entsandt, jedoch bisher noch keine stichhaltige Ergebnisse«, erklärte Pistillum stoisch.

      »Das sind wieder einmal ganz entzückende Neuigkeiten! Selbst wenn man ihn nicht aus den Augen lässt, macht er Unfug! Was ist nur wieder in ihn gefahren? Nun, das erklärt längst nicht, wieso er sich bei mir und den Kindern nicht meldet. Woher sollen wir wissen, wann er ankommt und ihn vom Flughafen abholen sollen?«, diagnostizierte Annie.

      Krampfhaft überlegte Ambrosius, welche Ausrede er Annie präsentieren könnte. Zu dumm! Jetzt muss ich schon für Ragnor lügen! Groll stieg in ihm hoch. »Annie, bei uns geht es mal wieder drunter und drüber. Wir sind momentan ziemlich unterbesetzt, du weißt, Urlaubszeit und so...«

      Schweigen in der Leitung. Pistillum lauschte gebannt und hörte, wie Annie tief Luft schnappte, um zum Gegenschlag auszuholen: »Du willst doch nicht damit andeuten, du hättest Ragnor auf eine Mission geschickt?«, keifte sie stocksauer.

      Pistillum vernahm erleichtert, dass Annie ihm die beste Ausflucht lieferte, auf die er selbst nicht so schnell gekommen wäre. Jetzt hatte er einen Grund zur Dankbarkeit.

      »Annie? Beruhige dich! Er bekommt die Tage gutgeschrieben und hintenan gehängt. Und du musst nicht befürchten, es könnte etwas Gefährliches sein. Nur eine Observation. Du weißt doch, während einer Operation dürfen keine Kontakte nach außen gehen. Also gedulde dich noch etwas. In ein paar Tagen ist er wieder bei euch!«, wiegelte Ambrosius ab.

      »Toll, wirklich toll! Er hätte wenigstens Bescheid sagen können. Ihr großen Jungs nehmt euch immer viel zu wichtig! Und der Schwarze Peter wird mir wieder untergeschoben, weil ich es den Kindern schonend beibringen muss. Sie werden sehr enttäuscht sein! Gut, dann habe ich wenigstens noch ein paar Tage meine Ruhe, ehe Herr Sauertopf wieder auftaucht!«, fauchte Annie ungehalten und beendete das Gespräch.

      Ambrosius stierte noch immer in sein Handy, schaltete es gänzlich ab und ging mit sich ins Gericht, ob er weiterhin riskieren sollte, mit dem Feuer zu spielen. Die Antwort blieb er sich schuldig. Stattdessen griff er zum Telefonhörer: »Ägidia? Bitte keine Anrufe mehr durchstellen!«

      »Hätte ich sowieso nicht getan!«, keifte die Orkfrau zurück. »Ich habe nämlich schon längst Feierabend!«

      *

      Ein Kopf ohne Gedächtnis ist eine Festung ohne Besatzung.

      (Napoleon Bonaparte)

      Der Morgen graute, - und mir vor ihm. Mein Kopf schmerzte fürchterlich! Ich sollte endlich mal mit der elendigen Sauferei aufhören! Mein Schädel bestand offenbar aus Brei und meine Knochen lösten sich auf; zu allem Übel nahm ich, - als wollten die Götter mich verspotten - Tannenduft wahr. Ist denn schon wieder Weihnachten?, schoss es mir durch die Synapsen. Ich fühlte mich, als sei eine ganze Kompanie auf mir herum marschiert. Da war doch was... Ach, ja... Meine Mission!

      »Ich sollte nicht hier sein!«, krächzte ich. »Das fühlt sich nicht richtig an!«

      … Meine Fresse! Ich sprach schon mit mir selbst! Folglich musste ich verrückt sein...

      Diese Mission... Mission... tja... Nur wollte mir ums Verrecken nicht einfallen, was das für eine dringliche Aufgabe war. Die Windungen meines Hirns waren so glatt, wie der Hintern eines Neugeborenen. Und anscheinend hatte ich nicht nur gesoffen, sondern obendrein Strip-Poker gespielt. Verdammt! Und verloren! Mein Körper juckte grauenvoll, Tannennadeln stachen mir ins Fleisch. Was war nur mit mir geschehen? Schon häufig erlebte ich Blackouts, aber dieser hier, war ziemlich heftig. Mit der Zunge fuhr ich über meine Zähne und schmatzte.

      »Ausgeschlossen, ich habe nichts getrunken! Außerdem trüge ich jetzt doppelt so viel Kleidung, ich pokere ausgezeichnet, glaube ich jedenfalls. Nein, es muss eine andere Erklärung dafür geben. Jemand hat mich ausgeraubt! Ja, so wird´s gewesen sein. Hi, hi! Gut, dass wir mal darüber gesprochen haben!«, kicherte ich in mich hinein.

      In der Tat, ja, ausgeraubt, denn ich hatte rein gar nichts mehr bei mir. Nicht einmal Stiefel hatten diese gemeinen Strauchdiebe mir gelassen. Sichtlich verwirrt, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen.

      Wer war dieser seltsame einäugige Kerl, mit dem blauen Schlapphut, der lachend und kopfschüttelnd über mich hinweg stieg? Offensichtlich eine Halluzination, oder der hiesige genius loci.

      Gezeter, daran glaubte ich mich genaustens zu erinnern. Nur war ich mir nicht sicher, ob das ein bleischwerer Traum, oder Realität war. Die Stimme kam mir jedoch entfernt bekannt vor. Zumindest erinnerte sich mein Schmerzgedächtnis an sie. Die Stimme gehörte einem Mädchen, einem sehr hübschen dazu, dessen Name mir nichtsdestotrotz entfallen war. Schlimm, mein Namensgedächtnis ist lausig! Wenn jemand etwas über meine Mission wusste, dann diese junge Frau. Klarer Fall, ich sollte ihr folgen! Zuerst musste ich von diesem elendigen und äußerst anhänglichen Baum loskommen.

      Mühsam drückte ich die Kiefer zur Seite und kroch drunter hervor. Etwas Warmes rann über meine rechte Schläfe. Als ich das warme Nass abwischte, benetzte Blut meine Fingerkuppen. Kopfwunden bluten fürchterlich.

      Schnell machte ich mir eine geistige Notiz: Bei Sturm niemals nackt und besoffen durch den Wald laufen!

      Gewissermaßen sah dieser Flecken Erde nach dem Ergebnis eines Unwetters aus. Neben mir ein Krater, der wohl von einem Blitzeinschlag herrührte; überall drumherum, umgestürzte und angebrannte Bäume. Ich versuchte mir selbst einen Reim darauf machen und vermutete, dass etwas ziemlich Schweres während dieses Ereignisses auf meinen Kopf gestürzt sein musste. Dabei war ich mir nicht einmal sicher, ob es nur ein Baum, oder die Keule des Räubers gewesen war. Mein gesamter Körper war schmutzig, geschunden, obendrein mit Schnitt- und Schürfwunden übersät.

      »Mens sana in corpore sano! Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper? Das dürfte in diesem Falle wohl nicht zutreffen!«, kicherte ich vor mich hin. »Woher weiß ich das eigentlich so genau?«, bemerkte ich dazu.

      Auf einem Ast saßen ein paar Raben, die mich spottend mit ihrem Krächzen ärgerten.

      »Ach, haltet eure verdammten Schnäbel!«, keifte ich und warf einen Stein, traf jedoch nichts und niemanden. Das Wurfgeschoss verfehlte die schwarzen Punkte und plumpste irgendwo ungeschickt in die Pampa. Die Raben lachten, - es war genaugenommen lächerlich. Mein Wurf erinnerte an den eines kleinen Kindes, das so etwas zum ersten Mal ausprobierte. Wie gesagt, ein sehr kleines Kind.

      Taumelnd kam ich gänzlich auf die Beine und wankte vorwärts. Neugierig, meinen Blick fokussierend, - denn ich sah immer noch sehr unscharf - versuchte ich das ganze Ausmaß der Verwüstung zu erfassen.