Birgit Rüsch-Neuhaus

Eine mörderisch gute Schule


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bei uns blicken lassen. Seitdem er damals Knall auf Fall ausgezogen war (ich höre ihn immer noch die Tür zuschlagen!), kamen nur noch seine monatlichen Schecks aus Heimberg: einer für Mum und mich und neuerdings einer für Omis sauteures Altenheim in Hamburg; zu meinem Geburtstag schickte er jedes Jahr pünktlich eine Mail.

      Also riss ich mich zusammen. Ich holte tief Luft und rief angestrengt fröhlich zurück: „Alles klar, hab alles! Und Omi vergess‘ ich nicht!“

      (Mein Pausenbrot hatte ich natürlich zu Hause gelassen, aber das musste Mum ja nicht wissen. Und an Omi würde ich erst am späten Nachmittag wieder denken, wenn ich in der Bahn saß und mich auf meinen Auftritt im Altenheim vorbereitete.)

      Damit war ich endlich weg!

      Der weiße Puderzucker ließ die Reifen meines Rades leise knirschen, aber rundherum hatte er alles sonst so hässlich Laute wie in weiche Watte gepackt. Ich genoss die frische, kühle Luft dieser weißen Winterwelt und atmete sie tief bis in meinen Mittelpunkt ein.

      Als der kleine Supermarkt an der Ecke zur Schulstraße in mein Blickfeld rückte, war Schluss mit Idylle: Wie jeden Morgen hing eine dunkle, rumorende Traube von Schülern vor dem Eingangsbereich - wie ein Bienenschwarm vor dem Stock. Schon von Weitem erkannte ich Celine: Ihre Igelfrisur in Pink, perfekt gegelt wie immer, stach grell aus dem Schwarz der Schülerklamotten hervor. Gleich darauf wusste ich, dass es Celine nicht gut ging: Ihre Augen waren rot und verquollen. Das konnten auch die Gläser ihrer teuren Designer-Brille nicht verschleiern. „Wegen Bjarne?“

      Celine nickte und schluchzte. „Der hat ’was mit dieser Neuen aus der b, dieser dürren Giraffe.“

      „Oh“, antwortete ich möglichst mitfühlend und rollte vielsagend mit den Augen. Vertiefen wollte ich das Problem so kurz vor Unterrichtsbeginn lieber nicht: keine Chance auf Lösung so schnell! Erst am Wochenende hatte Celines Bjarne bei Pepe Tapas gegessen - in Begleitung einer Anderen: langhaarig und mit Gazellen-Beinen.

      „Franzbrötchen!“, schlug ich vor. Die süßen Dinger helfen nämlich todsicher gegen Liebeskummer. Ich schob Celine in Richtung Eingang und spähte in den Laden: Das halbe Gym war schon drin, raffte hektisch den Proviant für einen langen, öden Schultag zusammen.

      In der Luftschleuse mussten wir an ein paar Mädchen aus unserer Klasse vorbei. Die standen da wie aufgebrezelte Krähen in ihren neuesten Designer-Klamotten, bibbernd vor Kälte; denn schön geht nun mal vor praktisch. Jede war scheinbar in ihr Smartphone vertieft. Aber natürlich beobachteten sie uns; wahrscheinlich hatte ihr Chat gerade eben uns beide zum Thema. In ihren silbernen Astro-High-Heels, gestuften Miniröcken aus schwarzer Spitze, voluminösen Fallschirmspringerjacken aus hauchdünnem Silberlamee nahmen sie den neuesten Trend der NY Fashion Week vorweg und zeigten uns beiden, dass wir bestimmt nicht dazugehörten.

      Margaux, die Hyäne, gab sich alle Mühe, dass Celine sehr wohl mitkriegte, dass man mal wieder über sie herzog: Ganz deutlich war ein höhnisches „Porky“ zu verstehen.

      Dann kassierten wir einen Pfeilhagel giftiger Blicke. Celine zog den Kopf ein und hielt sich in meinem Windschatten. Ich aber segelte hocherhobenen Hauptes direkt an Margaux vorbei. Ich grinste schadenfroh; denn schließlich hatte ich gestern Mittag dafür gesorgt, dass sie zur Abwechslung mal hatte leiden müssen. (Ich hatte ihre Spaghetti Bolognese in der Mensa kurzerhand im Vorbeigehen mit einer gehörigen Portion Tabasco aufgepeppt. Puterrot war sie angelaufen, geheult hatte sie - und gejapst wie ein Fisch auf dem Trocknen!) Leider legt so eine Aktion eine Giftspritze wie Margaux höchstens für ein paar Stunden lahm! So eine erholt sich schnell! Margaux war bekannt dafür, dass sie keine Gelegenheit ausließ, Leute fertig zu machen: Mich nannte sie die „Möchtegern-Milano“ - wegen meiner Vorliebe für italienische Schuhe und Lenny mit der Stupsnase, dessen Vater mit Öko-Häusern für das Ferienzentrum in Olpenitz einen Flop gelandet hatte, nur verächtlich „den Greench“ - und das sogar, wenn Rektor Wiegand direkt daneben stand.

      Während Celine im Back-Shop einkaufte, blieb ich in der Luftschleuse stehen. In der Kassenschlange entdeckte ich zwei Jungs aus unserer Klasse.

      (Der Laden ist altmodisch, musst du wissen. Er hat keine Terminals zum Selber-Einscannen der Ware, sondern noch Omis an allen Verkaufstresen und an der einzigen Kasse: alle in gebügelten schweinchenrosa Kitteln mit Rüschen! Und die haben einfach alles! Und wenn ich mir vorstelle, dass meine Omi hier morgens an der Kasse säße - bei dem Gedanken muss ich jedes Mal schlucken.) Aidan aus unserer Klasse - unübersehbar mit seinem Kreuz wie ein Wrestler - wahrscheinlich hatte er wieder die halbe Nacht im Fitness-Club gepumpt, kam eben dran: Da rülpste er ungeniert und unüberhörbar, danach rollte er drei Dosen mit Power-Drink in Richtung Kassiererin. Die Omi zuckte so entsetzt zusammen, dass ihre rosa Rüschen zitterten. Hinter Aidan drängelte sich Marvin in die Schlange. Er wedelte auffällig und breit grinsend mit einer Flasche Ketchup: „...für die Pausen-Pommes...!“

      Die Omi merkte nicht, dass Marvin gleichzeitig mit routiniertem Griff einen Flachmann in seiner Jackentasche verschwinden ließ.

      Plötzlich rasten zwei E-Bikes von draußen an mir vorbei, schlitterten über die von Schneematsch nassen Fliesen. Kinder schrien, Bremsen quietschten. Ein Rad knallte scheppernd auf die Fliesen. Schriller Schmerz fuhr durch meine Zähne.

      Ein strampelndes Etwas mit knallrotem Helm landete zu Celines Füßen, umklammerte ihre Beine. Der zweite Junge fuhr die beiden fast über den Haufen. Er stieg nicht vom Rad. Er nahm den Helm nicht ab.

      „Kevin, du Opfer!“, zischte er bloß. Dann war er schon fast wieder raus aus dem Laden.

      Ich packte ihn an der Jacke, versuchte ihn zu halten - vergeblich! Er riss sich los, jagte über meine sauteuren italienischen Stiefel und entschwand in der unschuldig weißen Winterwelt. Der zweite kalte Schauer dieses Morgens durchfuhr mich wie ein kalt glänzender, violetter Pfeil.

      Celine und ihren kleinen Bruder im Schlepptau, schob ich mein Rad die letzten Meter zur Schule. Celine heulte, diesmal nicht wegen Bjarne, sondern wegen der Brille: Die war schrottreif. Kevin, das Gesicht puterrot vor Wut und Scham, brütete dumpf vor sich hin. Dann stellten wir die Räder ab und teilten unsere Franzbrötchen auf - warm und weich und mit Schokofüllung!

      Vor dem Haupteingang war Stau: Mindestens fünfhundert Schüler wollten ’rein ins Gym, aber keiner durfte. Irgendwas war in der Pausenhalle los! Graues Gemurmel, immer lauter! Kleine Jungs schubsten und pöbelten. Die älteren hielten lässig ihre Fotohandys hoch: unverhoffte Schnäppchen für „TouTube“!

      Ein beißender Geruch drang aus dem grauen Klotz in die kühle, klare Winterluft. Ich stieg auf meinen Rucksack und reckte den Hals.

      „Der Baum brennt!“, rief jemand.

      Drinnen war unser Hausmeister voll im Einsatz, ein Bär von einem Mann. Ein anderer hätte es in unserem Chaotenladen auch nicht ausgehalten! In voller Brandschutzmontur schwenkte er jetzt einen roten Schaumlöscher und brüllte zwischendurch neugierige Schüler zurück.

      Schulfrei?!, schoss es mir durch den Kopf. Verschiebung des Testes?

      Fehlanzeige! Als es gleich darauf zur ersten Stunde klingelte, dirigierte der Hausmeister ganz cool die gesamte Schülerschaft durch die Halle.

      Vorbei an einem verkohlten Wrack von Nordmanntanne, die irgendjemand bestimmt absichtlich in Brand gesetzt hatte, schlichen wir alle irgendwie beklommen zu den Unterrichtsräumen. Celine presste sich ein Papiertaschentuch auf Nase und Mund. Ich hielt auf dem unteren Flur des Altbaus einfach die Luft an. Oben war es leider nicht besser: Der beißende Gestank nach verkokeltem Tannengrün und zusammengeschmolzenem Plastik-Baumschmuck war schneller als der Schülerstrom bis in den letzten Winkel des alten Gemäuers gezogen.

      Wenigstens wurde oben im ersten Stock gleich die Tür zum Bio-Raum geöffnet. Als sie aufschwang, sprang mir dennoch für einen Moment das Graffito ins Auge: grottenschlecht, aus giftgrüner und roter Lackfarbe, boshaftes Abschiedsgeschenk des Schülers, der vor einer Woche geflogen war! Das Wort über seinem blutroten Tag sagte alles: „Grrr!“

      „He, Julia!“ Fabian stupste mir ein wenig zu übermütig in die Seite. „Du kannst