Birgit Rüsch-Neuhaus

Eine mörderisch gute Schule


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unverblümt fest; es klang beinahe verärgert. „Du musst schleunigst raus aus dem Laden, darüber sind wir uns doch wohl hoffentlich einig?!“

      Ich überlegte: Wenn er mit „dem Laden“ die Schule meinte, hatte er vermutlich Recht und ich war auch nicht dagegen.

      Aber als er weiterredete, musste ich schlucken.

      „...diese Leute sind Gift für dich. Am besten, du gehst gar nicht erst wieder zu deiner Mutter zurück“, schlug er vor. „Die hat schon genug mit ihren diversen Hobbys zu tun.“

      (Ja, so kann das gehen: Kaum machst du eine kapitale Dummheit, da tritt nach geschlagenen drei Jahren der Funkstille plötzlich dein Erzeuger wieder auf den Plan und macht deiner Mutter aus Sorge um das halbwüchsige Kind die Hölle heiß!)

      „Ihr Studium?“

      „Wenn’s nur das wäre“, brummte er. „Sie ist ja wohl dabei, die Familie zu vergrößern, einen passenden... äh... Lover hat sie ja schon... “

      „Jedenfalls ziehst du bis zum Sommer zu mir!“, sagte mein Vater energisch. „Danach geht’s auf ein Internat in der Schweiz - Abi machen.“

      „Mich nimmt kein Internat, ich schaff den Schnitt für die Oberstufe gar nicht“, winkte ich ab.

      „Wenn du erst den Crashkurs an der ,Heimberg School’ hinter dir hast, dann klappt das schon mit dem Schnitt“, hielt er dagegen.

      „’Heimberg School’?“

      Er legte zwei knallbunte Flyer auf meine Bettdecke: „Heimberg, die neue blühende Metropole Europas“ und „’Heimberg School’ - mit Sicherheit zum Schulerfolg“.

      ***

      Gleich nach Ostern zog ich um nach Heimberg, in die brandneue Großstadt südlich der Elbe, junge Schwesterstadt der traditionsreichen Freien und Hansestadt Hamburg.

      Mein Vater hatte alles Notwendige für mich arrangiert. Noch flügellahm wie ich war, durfte ich mich quasi ins gemachte Nest setzen: Die Tage des Phönix waren gekommen!

      Ein Silberstreif am Horizont

      Heimberg hatte keine Traditionen zu bieten, wohl aber Attraktionen: Innerhalb von nur fünf Jahren war diese Stadt von Milliarden schweren Investoren aus dem Boden der Lüneburger Heide gestampft worden wie im 20. Jahrhundert Brasilia aus der Pampa Südamerikas. Heimbergs Skyline war längst beeindruckender als die von Manhattan. Heimberg war des alten Europas neugeborene Stadt der Superlative! Geschäftsleute aus aller Welt zog es hierher - mitsamt dem ganzen Tross ihrer Dienstleister. Mein Vater war nur einer von ihnen - eine gut verdienende Ameise in einem pulsierenden Hügel so hoch wie der Mount Everest!

      Und wie es sich für solch eine Stadt gehörte, bot diese den kostbaren Nachkommen dieser Weltbürger inzwischen flächendeckend eine hochkarätige Erziehung und Bildung: Heimbergs Superschulen waren perfekt: supersicher vor Amokläufen, superschön in ihrer Architektur, wohltuend, was die Lernatmosphäre betraf, superverlässlich in der Vermittlung soliden Abiturwissens.

      Mein Dad war unglaublich stolz, dass er mir, seinem einzigen Kind, ab heute sowas würde bieten können.

      Heimberg hatte was, das erfuhr ich gleich bei meinem ersten Bummel in der City! Wir waren per Helikopter vom Flugplatz Uetersen aus eingeflogen - über Hamburg, die Elbe, die Heide - bis direkt auf die Dachterrasse des „Heimberg View“, dem ersten Sieben-Sterne-Hotel Europas.

      Ein gläserner Lift düste mit uns hinab in die Straßenschlucht voller Attraktionen. Daddy grinste; ich hielt beeindruckt die Luft an.

      Diese City war ein echter Hot Spot! Im Wesentlichen bestand sie aus einer großzügigen Shopping Mall - aber was für einer! Davon hatte ich in unserem Kaff nur träumen können. Kilometer lang reihten sich zu beiden Seiten die exklusivsten Geschäfte, 3D-Kinos und Theater, ultramoderne Snackbars wie das „Horizon“ und exotische Spezialitäten-Restaurants aneinander. Auch Tapas-Bars - aber ganz andere als Pepes schmuddeliges Mini-Reich!

      Alles war blitzsauber und supergepflegt - sogar die bunt bepflanzten Grünanlagen mit ihren Fontänen und Wasserspielen - hier hießen sie „Chill Areas“ - , die in regelmäßigen Abständen die Geschäftszeile der Mall unterbrachen. Am oberen Ende schloss sich die „Isle of Art“ inmitten eines künstlichen Sees mit Museen, Galerien und einem postmodernen Skulpturengarten an.

      „Den Skulpturengarten mit den Platanen“, erklärte Daddy mit einer weit schweifenden Handbewegung voller Stolz, „hab ich mit meinen Jungs von ,Garten der Zukunft’ angelegt. Sieht doch gut aus oder?!“

      Andere, aus meiner Stadt wohlvertrauten, Dinge suchten meine verwunderten Augen vergeblich. Es gab hier keine überquellenden Mülleimer neben mit Graffitti besprühten Parkbänken, keine Penner, die mit ihren Hunden an den Ecken der Spielhallen auf dem Pflaster hockten und um Kleingeld bettelten!

      Keine hupenden Taxis, keine überfüllten Busse!

      Zum Glück sahen wenigstens die Leute vertraut für mich aus: Es war beileibe nicht so, dass nur top gestylte Typen herumliefen; nein, die meisten wirkten eher lässig. Viele Frauen trugen Jeans und T-Shirts, nur in der Umgebung der Banken eher Kostüme und Hosenanzüge.

      Aber kein Mann ohne Krawatte! Das musste wohl sein. Und Hut! Kein erwachsener Mann, keine erwachsene Frau ohne Hut! Eine Mode von vor 70 Jahren lebte hier im Stadtbild Heimbergs wieder auf!

      „Hier ist alles entspannend und sehr individuell“, erklärte mein Vater, immer noch grinsend. „Deshalb lebe ich so gerne hier.“ Er selber trug einen Designer-Anzug - natürlich mit Krawatte und dazu natürlich einen passenden eleganten Hut - italienisches Modell. So was hatte ich früher nie an ihm gesehen.

      Nun schob Dad mich zu einer Schautafel am Straßenrand: ein gewöhnlicher Plan der City, wie ich annahm.

      „Leg deine rechte Handfläche auf das Sichtfenster am rechten Rand, den Daumen deiner linken auf die Stelle, die unserem jetzigen Standort entspricht! Für minderjährige Schüler dieser Stadt wie dich ist die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos - und für ihre erwachsenen Begleitpersonen ebenfalls.“ Ich stutzte, überlegte kurz und wollte vor allem protestieren gegen das Attribut „minderjährig“. Selbst wenn er Recht hatte, passte mir das Wort nicht. Aber dann zuckte ich doch nur mit den Schultern und tat, was er verlangte. Zumindest bewahrte es mich davor, hier und heute einen Hut tragen zu müssen.

      Es vergingen keine zwei Minuten, da glitt völlig geräuschlos eines dieser windschnittigen silberfarbenen Luftkissen-Taxis heran, die hier überall durch die Straßen flitzten. „Superleicht, aus GFK, mit Solar-Antrieb“, hatte mir Dad erklärt. „Herkömmliche Wagen mit Benzinmotor wurden hier gar nicht erst zugelassen. Hier ist alles ein bisschen futuristischer als auf dem Land. Du solltest die City erst mal bei Nacht sehen!“

      Das Teil schwebte eine Hand breit über dem Boden, bot innen Platz für zwei Fahrgäste und die Bequemlichkeit der teuersten Fernsehsessel mit integrierter Massage-Funktion.

      Kopfhörer lieferten dazu den Beat, den der Gast wünschte. Ich wählte natürlich „Paradise“ von „Lord Future“, kuschelte mich tief in die Polster und genoss.

      Viel zu schnell war diese Wellness-Tour zu Ende. In affenartiger Geschwindigkeit hatte uns das silberne Teil hinaus aus der City getragen. Es war der Trasse der „Schnellbahn NDS“ in Richtung Norden gefolgt, hatte dann die unsichtbare Grenze zu Hamburg passiert und stoppte nun direkt vor unserer Haustür. Mir war es vorgekommen, als seien wir nur so durch die Straßen geflogen und über die Wasserflächen (die Elbe hat schließlich zahllose Nebenarme!) mühelos hinweggeschwebt.

      Hier, an einem der exponiertesten Punkte von „Steinwerder“, wohnte mein Vater neuerdings - genau gegenüber vom neuen Opernhaus, der Hamburger Elbphilharmonie! Hier, am Südufer der Norderelbe, erstreckte sich zwischen „Reiherstieg“ und „Moldauhafen“ die neue „HafenCity Heimberg“! Eine Insel-Lage wie die von Neuwerk, bloß mit umgekehrten Vorzeichen!

      Das Quartier