Ursula Tintelnot

Faith und Richard


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gelehriger Schüler gewesen. Er war ein hervorragender Reiter und einer der besten Schützen geworden, die Nathan je unterrichtet hatte.

      Richard hatte geglaubt, dass Nathan alles wüsste, aber auch er konnte ihm keine Auskunft über die Anzahl der Räume geben.

      Die hohen Wohntürme waren bevölkert von allen Wesen der Schattenwelt, die seinem Vater dienten. Wie in einem Bienenstock war es niemals still hier.

      Fackeltragende ungeschlachte Trolle eilten durch die langen nachtschwarzen Flure. Sie sorgten dafür, dass die Kreaturen, die nicht wie die Dunkelalben mit Katzenaugen geboren worden waren, ihren Weg durch diese Düsternis finden konnten.

      Es gab Zwerge und Kobolde.

      Es waren nicht die Zwerge der Lichten Welt, die unter der Erde nach leuchtenden Edelsteinen gruben. Hier waren sie Diener der Hexen und Feen, wie auch die Kobolde und Trolle. Mit ihren spitzen behaarten Ohren, den runden wimpernlosen Augen und den stark ausgeprägten O-Beinen, die in pelzigen Füßen mit Krallen endeten, sahen die Kobolde aus wie seltsame Tiere.

      Es gab sogar einige der sich ewig drehenden Derwische. In ihren schneeweißen Gesichtern, kohlschwarze Augen ohne Pupillen

      Sein Vater konnte die Kerle nicht leiden, aber für die Übermittlung von Nachrichten und geheimen Dokumenten eigneten sie sich gut. Solche Aufgaben erledigten sie zuverlässig und mit ihren unaufhaltsamen Drehungen bewegten sie sich schneller vorwärts als jeder Troll oder Kobold.

      Es waren die weißen Derwische, deren größter Wunsch es war, wieder an einem Fürstenhof dienen zu dürfen. Derwische waren nirgendwo in der Anderswelt beliebt. Sie mochten Intrigen und hintertückische Angriffe ohne Sinn und Verstand.

      Sie drehten sich in ihren weißen Gewändern unentwegt um sich selbst und die Glöckchen an den Säumen bimmelten bei jeder Bewegung. Der helle Ton war irritierend und brachte einen fast um den Verstand. Aber dieser Ton wies auch zu jeder Zeit darauf hin, wo sich diese unangenehmen Kerle aufhielten.

      Vor Jahrhunderten waren sie verdammt worden, im ewigen Eis zu leben, nachdem sie den Versuch unternommen hatten, die damaligen Herrscher zu stürzen. Die Wenigen, die bei der Eisschmelze nicht ertrunken waren, hatte Leathan aufgenommen.

      Vermutlich waren die Derwische noch unbeliebter als die Hexen, die der schwarzen Magie huldigten, in deren Küchen es brodelte und dampfte.

      Die Hexen konnten ihr Aussehen ganz nach ihren Wünschen verändern.

      Im Auge des Betrachters wirkten sie so wie sie es wollten. Verführerisch anmutig, oder abstoßend hässlich. Dann glühten ihre Augen, die Haare wanden sich in wildem Gewirr wie Schlangen im Nest.

      Keiner der Bewohner der Schattenwelt mochte sich mit ihnen anlegen. Innerhalb von Sekunden konnte man sich als Frosch in einem stinkenden Tümpel wiederfinden. Sie trugen Schichten von wallenden Stoffen und man wusste nie, was sie daraus hervorzaubern würden.

      Die Dunkelalben, die seinem Vater dienten, mit ihm auf die Jagd gingen, mit ihm tranken und an den Spieltischen die Nächte verbrachten, konnten alle, wie Leathan und auch Richard, ohne Licht sehen. Es waren raue, immer in Schwarz gekleidete Gesellen, gut ausgebildete Elfen, die sich ohne Skrupel nahmen, was sie begehrten.

      Und es gab die Feen.

      Sie waren schön, verführerisch, intrigant und verwöhnt. Köstliche Belohnung für die Männer, die nach der Jagd oder während der durchzechten Nächte Entspannung suchten.

      Die Schönste unter ihnen war Aglaia.

      Milchweiße Haut, das dichte glatte Haar glänzend schwarz wie Rabenflügel. Die verschiedenfarbigen Augen schienen ihr Gegenüber niemals richtig wahrzunehmen. Sie ging nicht, sie schwebte und sie schwieg fast immer. Sinnlich und undurchschaubar war sie. Und sie gestattete keinem der dunklen Elfen, außer Leathan, sich ihr zu nähern.

      Richards Gedanken wanderten zurück zu der Nacht, in der er Faith zur Flucht verholfen hatte. Zu der Nacht, in der Leathan ihn gedemütigt und sogar gezüchtigt hatte.

      Es war auch die Nacht, in der er in die Schattenwelt tief unter der Erde verbannt worden war, in der er den größten Teil seiner Kindheit verbracht hatte. Eine schreckliche Strafe, nachdem er die Welt der Sterblichen kennengelernt hatte und jederzeit die Lichte Welt Magalies hatte aufsuchen können.

      Magalie war die Fürstin der Lichten Welt, die Frau, die sein Vater begehrte, Faith‘ Mutter. Zauberhaft und wunderschön.

      Richard liebte die Sonne, die Helligkeit und die Farben, die es in der Schattenwelt nicht gab.

      Nathan und Maia hatten ihn in die Verbannung begleitet.

      An Maias Hand hatte er Laufen gelernt. Maia hatte ihm die Windeln gewechselt und seine ersten Worte gehört. Sie war eine Frau, die selten Emotionen zeigte, aber wenn sie Richard ansah, wurden ihre herben Züge weich.

      Sie war die höchste Instanz in Leathans riesigem Haushalt. Niemals hatte Richard erlebt, dass jemand Maia widersprochen hätte. Nicht einmal Leathan, dachte Richard und ein Lächeln glitt über sein Gesicht.

      Er hatte lange gebraucht, bis er begriffen hatte, wer Maia wirklich war.

      Maia war, so lange Richard denken konnte, für ihn da gewesen. Sie war eine der Töchter des alten Herrschers der Schattenwelt. Die Mutter Leathans und Richards Großmutter.

      Hatte Faith Leathan entkommen können?

      Richard sah noch das feuerrote gleißende Licht, das seinen Vater gebannt hatte. Keiner Bewegung fähig hatte Leathan zusehen müssen, wie Faith auf Richards Stute Corone davonpreschte.

      Faith, dachte Richard voller Sehnsucht. Mit wehenden roten Haaren war seine Freundin auf Corone, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, in der Dunkelheit verschwunden.

      Den kostbarsten magischen Gegenstand der Anderswelt hatte sie mitgenommen.

      Zum ersten Mal, seitdem es sich nicht mehr in den Händen der alten Herrscher der Lichten Welt befand, hatte sich das Medaillon geöffnet. Zum ersten Mal hatte das blutrote Herz in seinem Inneren wieder geleuchtet und sich gegen den Fürsten der Schattenwelt gewandt.

      In den Händen eines Mädchens, das wie Richard selbst seine Wurzeln zur Hälfte in der Welt der Sterblichen hatte, war das Medaillon zum Leben erwacht.

      Richard kam wieder zu sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf das, was im Labyrinth vor der Burg geschah.

      Das Labyrinth war ein sich ständig verändernder Irrgarten, der alles Leben verschlang sobald es dunkel wurde. Wer hier hineingeriet, kam nicht lebend wieder heraus.

      Grüne Hecken verschoben sich zu unüberwindlichen Mauern. Immer neue Wege taten sich auf. Giftige Pflanzen säumten die Pfade und in den Hecken verbargen sich Schlingpflanzen, die Flüchtende in ihre tödlichen Umarmungen nahmen.

      Tausende der abstoßenden Klapperer warteten in den Büschen, um sich auf ihre Opfer zu stürzen. Sie krochen beständig klappernd in die Ohren ihrer Opfer, um ihnen das Gehirn auszusaugen.

      Seelendiebe besorgten den Rest. Diese geheimnisvollen furchterregenden Kreaturen erschienen grässlich stöhnend und umarmten im Schutz der Finsternis ihre Beute, die in ihren Armen zu seelenlosem Staub zerfiel.

      ~~~~~

      Leathan

      Die Macht verloren.

      Eingeschlossen in der riesigen Muschel, die nur ein Gesetz kannte: Sich zu öffnen, aufzunehmen in ihren feuchten weichen Schoß, wieder zu entlassen, auszustoßen, was sich in ihrem Innern befand.

      Ein ständiges Auf und Nieder, Öffnen und Schließen. Unbewusst und gefühllos folgte sie ihrer Bestimmung.

      Auch ihn würde sie ausstoßen, irgendwann.

      Leathan sah die Algenwälder, durch die er schwebte, sah die Korallenriffe, die auch Faith gesehen hatte. Das Mädchen war ihm in der Muschel entkommen. Für Faith war sie ein Schutz gewesen. Für ihn war die Molluske ein Gefängnis.

      Leathan erkannte die Chimären, deren weiche Lippen