Ursula Tintelnot

Faith und Richard


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lachte ihr mitreißendes Lachen, wurde aber sofort wieder ernst. Hatte das denn nie ein Ende? Musste alles, was Leathan berührte oder ansah, sterben?

      „Du suchst jemanden?“ Odine fragte es ganz beiläufig.

      „Ja?“ Erwartungsvoll wandte sich Elsabe ihr zu.

      „Versprich mir erst, dass du über unser Problem mit der Fürstin sprichst. Ihr müsst uns helfen, Leathan loszuwerden.“

      „Natürlich helfen wir euch, wenn wir können. Ich spreche mit Magalie.“

      „Gestern habe ich einen kaum wahrnehmbaren grünen Schleier über den Nachthimmel geistern sehen. Er war schneller als ein Augenzwinkern wieder verschwunden. Er flog dorthin.“

      Elsabes Blick folgte dem ausgestreckten Arm der Nixe.

      „In die Schattenwelt?“ Sie hielt den Atem an. Oskar, dieser dumme kleine Kerl. Das konnte nur er gewesen sein. Sie konnte sich vorstellen, was ihn dorthin trieb.

      Die Schattenwelt war ein Ort, den, wenn es möglich war, sogar die Hexen der Lichten Welt mieden. Oskar glaubte, dass sie Lilly in der Schattenwelt nicht suchen würden. Dass sie dort unten sicher wäre. Dunkel war es dort, kalt und unwirtlich und die Kreaturen, die sich dort sammelten, waren giftig oder böse. Oft auch beides, dachte Elsabe. Lilly und Oskar waren jung und unerfahren. Sie waren in der Welt Leathans weitaus gefährdeter, als sie es in der Lichten Welt je sein konnten.

      ~~~~~

      Zurück in Waldeck

      Als Schwester Dagmar völlig aufgelöst ohne anzuklopfen die Tür aufriss, schrak Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky so heftig zusammen, dass ihr die Kanne mit dem frisch aufgebrühten heißen Kaffee fast aus der Hand geglitten wäre.

      Das freundliche runde Gesicht der Krankenschwester war gerötet und sie atmete schwer.

      „Faith! Sie ist wieder da. Dr. Schrader ist schon auf dem Weg. Ich habe angerufen und ihn gebeten sofort herzukommen.“

      Langsam kam Schwester Dagmar wieder zu Atem.

      “Er muss sie sich ansehen. Noch schläft das Kind.“ Jedes Mal, wenn sie sich Sorgen um einen ihrer Schützlinge machte, wurde er in ihren Augen wieder zum Kind.

      „Ich weiß nicht, was mich geweckt hat. Es war so, als zöge mich etwas ins Krankenzimmer. Es war unheimlich.“

      Die Schwester war noch ganz aufgeregt und redete ohne Punkt und Komma.

      Die Direktorin wischte hektisch an den Kaffeeflecken auf ihrer Bluse herum, bis sie erkannte, wie sinnlos ihre Aktion war. Ihr Puls raste und sie hatte das Gefühl, gleich selbst einen Arzt zu benötigen.

      Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky war eine sehr beherrschte Frau, die normalerweise nichts so schnell aus der Fassung bringen konnte. Aber nach den Vorfällen der letzten Monate waren ihre Nerven noch sehr angegriffen.

      „Kommen sie.“ Resolut schob sie Schwester Dagmar hinaus auf den Flur und bemühte sich, Ruhe zu bewahren.

      Zusammen mit ihr schritt sie den langen Gang unter den kitschigen Stuckengelchen entlang.

      Endlich war nun das Letzte ihrer verlorengegangenen Schafe wieder zurück.

      Einige der Schüler des Internats, dessen Leiterin sie war, waren über Wochen verschwunden gewesen. Sie hatte sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es außer ihrer festgefügten realen Welt noch eine zweite, nicht für jeden wahrnehmbare, gab.

      Es gab eine andere Dimension. Eine Spiegelwelt, Parallelwelt oder Anderswelt, wie immer man sie nennen wollte.

      In diese Anderswelt waren Faith und einige ihrer Freunde gegangen, nachdem Faith’ Vater Robert in der Silvesternacht entführt worden war. Um ihn zu suchen, hatten sich die Schüler auf ein gefährliches Abenteuer eingelassen. Jetzt waren sie alle wieder zurück, nur Robert war noch, oder besser gesagt wieder, bei den Feen.

      Und Richard? Richard hatte sich bei ihr abgemeldet, um in die Welt, aus der er gekommen war, heimzukehren. Anders als Faith war er in der Anderswelt aufgewachsen.

      Er war der Sohn des Dunklen Fürsten der Schattenwelt und einer Sterblichen, Agnes.

      Wie Faith hatte er seine Wurzeln in beiden Welten.

      Noch einen kurzen Moment lang weilten ihre Gedanken bei dem geheimnisvollen Jungen, der so kurz nur ihr Schüler gewesen war.

      Ein gut aussehender schlaksiger Junge mit einer ganz besonderen Ausstrahlung, der sich niemand so leicht entzog.

      Leicht getönte Haut, helle Augen, dichtes dunkles Haar.

      Ja, dachte die Direktorin, ein sehr anziehender Junge, in den sich Faith verliebt hatte.

      Als Faith die Augen aufschlug, sah sie in zwei besorgte Gesichter.

      Zu Hause.

      Die Direktorin und Schwester Dagmar waren ihr so vertraut. Am liebsten hätte sie beide umarmt und geküsst. Stattdessen setzte sie ein strahlendes Lächeln auf.

      „Wie bin ich …“ Sie stockte und verschluckte die Frage. Keine der beiden Frauen vor ihr konnte wissen, wie sie hierhergekommen war. Sie erinnerte sich an das Gefühl zu fliegen. Dann war alles um sie herum versunken.

      Magalie musste sie hierhergebracht haben.

      „Robert?“ Unbewusst hatte sie den Namen ihres Vaters laut ausgesprochen.

      „Er wird wiederkommen. Sei ganz unbesorgt.“

      Dr. Dr. Schrader war eingetreten. Er war der Hausarzt des Internats. Er hatte sowohl in Allgemeinmedizin als auch in Psychologie promoviert.

      Die Direktorin verschluckte sich fast. Überrascht sah sie zu dem grauhaarigen, etwas fülligen Arzt auf.

      Robert war, als sie ihn zuletzt gesprochen hatte, verzweifelt gewesen. Soweit sie von ihm selbst wusste, war er dem Tode näher als dem Leben.

      ~~~~~

      Das Labyrinth

      Oskar sah die Ansammlung von Wohntürmen, die mit dem Fels verschmolzen.

      Sah Säulen direkt aus dem Gestein gehauen. Rostfarben und gewaltig. Er sah unendliche Reihen von hohen schmalen Fensteröffnungen. Wie tote Augen in dunkler Nacht starrten sie auf ihn herab, drohend und unheimlich. Nur wenige dieser schmalen Schlitze in den meterdicken Mauern waren erleuchtet.

      Er hatte das Oval eines Gesichts entdeckt, das ihm bekannt vorkam. Unbeweglich verharrte das Gesicht in einem dieser spärlich erleuchteten Fenster.

      Oskar spürte den Blick wie eine Flamme. Seine spitzen Ohren bewegten sich unruhig hin und her. Seine Augen wurden ganz schmal.

      „Was ist?“ Wisperte Lilly neben ihm. Sie folgte dem Blick ihres Gefährten.

      „Oh, das ist der Junge, den Leathan geschlagen hat. Ich habe gehört, wie er ihn in die Schattenwelt verbannt hat.“

      „Richard.“ Oskar verschlug es die Sprache. Was machte Richard hier? „Er ist Faith’ Freund und der Sohn Leathans.“

      Entsetzt sah Lilly Oskar an.„Das hat mir Faith verschwiegen.“

      „Richard ist nicht schlecht wie sein Vater. Er liebt Faith. Wir sollten ihn um Hilfe bitten.“

      „Wobei sollte er uns helfen?“

      Oskar antwortete Lilly nicht. Vor den beiden tat sich ein dunkles Labyrinth auf. Meter um Meter zog es sich bis zur Burg hin. Je weiter sie den Wegen folgten, desto unübersichtlicher wurde es. Immer neue Pfade taten sich vor ihnen auf.

      Lilly sah zurück und bemerkte entgeistert, dass sich die hohen Hecken hinter ihnen schlossen. Geräuschlos und langsam schoben sich die akkurat beschnittenen Büsche zu dichten Mauern zusammen. Dunkles undurchsichtiges Grün.

      Als sie sich zu Oskar umwandte, war der kleine Elf verschwunden. „Oskar?“

      Sie hörte den schrillen Ton der Klapperer.