Ursula Tintelnot

Faith und Richard


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Wut ließ ihn rasend werden. Sein schönes männliches Gesicht mit den violetten zornig funkelnden Augen verzerrte sich, wurde im Zorn fast hässlich.

      Für den Moment war er besiegt. Hass auf Annabelle, seine Zwillingsschwester, stieg in ihm hoch.

      Faith, Magalies rothaarige Tochter, hatte sie beide überlistet. Kaum hatte sich die Muschel, in der sie Schutz gefunden hatte, geöffnet, hatte sie mit Hilfe ihres Mondsteinringes ihn und seine Zwillingsschwester erstarren lassen.

      Der Zauberring mit dem Mondstein war ein Geschenk Magalies an ihre Tochter. Mit ihm konnte sie ihr Gegenüber für kurze Zeit außer Gefecht setzen.

      Annabelle war Sekunden vor Leathan aus dieser Erstarrung erwacht.

      Sie hatte die Situation ausgenutzt. Kaum war die Starre, in der sie und er selbst sich befunden hatten, von Annabelle gewichen, hatte sie ihn vom Felsen in das geöffnete Riesenmaul der stacheligen Molluske gestoßen.

      Er hörte noch Annabelles gellendes Gelächter.

      Während er stürzte, sah er das Mädchen mit dem roten Haar. Magalies Tochter in den Krallen, entschwebten die Adler, die Magalie gesandt hatte, über ihm, während das Molluskenmaul sich unerbittlich um ihn schloss.

      Ein Mädchen, Leathan schäumte. Wieder hatte ihn ein weibliches Wesen besiegt. Auch ihre schöne Mutter hatte ihn, damals als er das Zeichen der Macht gestohlen hatte, vertrieben und besiegt.

      Und jetzt auch noch seine Zwillingsschwester.

      Sogar die sanfte Agnes, die Mutter seines Sohnes Richard, hatte ihn überlistet und war gegangen.

      Agnes, eine Sterbliche.

      Niemals würde er diese Demütigungen vergessen oder verzeihen. Die Stunde der Abrechnung würde kommen.

      “Sie sollten vor ihm zittern.”

      ~~~~~

      Flug der Adler

      Der zweifach schrille Schrei der Weißkopfadler riss Magalie aus ihrer Verzweiflung.

      Sanft entließ der riesige Vogel Faith aus den Krallen. Magalie hatte ihre Tochter wieder.

      Endlich hatte die Muschel sich geöffnet.

      Die Magie des Medaillons hatte Magalie die Gegenwart gezeigt und ihr erlaubt, die Zukunft zu beeinflussen. In dem rotglühenden Herzen des Medaillons hatte sie gesehen, dass die Muschel ihre Tochter entlassen würde. Die Fürstin hatte die Adler ausgesandt, um Faith zu ihr zurückzubringen.

      Magalies Hoffnung war es gewesen, Vater und Tochter gemeinsam zurückschicken zu können in die Welt der Sterblichen.

      Aber Robert befand sich noch immer in der Höhle hinter dem Wasserfall. Wenn er nicht den Mut fand, durch die Säule aus brodelnd blauem Feuer zu gehen, die dort in die Höhe schoss, würde er sterben, sobald er in seine Welt zurückkehrte. Seit Tagen saß Magalie vor der Feuerhöhle, die sich hinter dem Wasserfall verbarg. Sie bat und flehte, versuchte ihm Kraft ihrer Gedanken Mut zu geben. Sie hoffte, dass er ihre Gegenwart spürte.

      Jetzt wandte sie sich ihrer Tochter zu, es gab so viel erklären.

      Entsetzt hörte Faith ihrer Mutter zu:

      „Dein Vater ist zu lange in der Anderswelt geblieben. Er war länger als neunzig Tage hier. Und es gibt nur eine Möglichkeit ihn von dem Fluch zu erlösen. Er kann sein Leben zurückbekommen, aber er muss durch das Feuer gehen.“

      „Warum hast du ihn nicht rechtzeitig nach Waldeck gebracht? Du weißt doch, dass er für immer hier bleiben muss oder in unserer Welt stirbt, wenn er nicht rechtzeitig zurückkehrt. In der Feenwelt zu überleben ist für einen Sterblichen ohne magische Fähigkeiten fast unmöglich. Deine Welt ist schön und erbarmungslos zugleich. Wir können hier nicht bleiben.“

      Von der Angst um ihren Vater überwältigt, wurde Faith sehr laut. Sie wollte Magalies Antwort gar nicht hören.

      Nachdem Robert ihr offenbart hatte, dass ihre Mutter eine Fee sei, konnte sie ihm zunächst nicht glauben. Aber die Ereignisse der nächsten Tage und Wochen waren so verwirrend und unheimlich gewesen, dass sie ihm glauben musste.

      Alles hatte mit Roberts Entführung durch Leathan begonnen. In der Silvesternacht, in der sie mit ihren Freunden ihren siebzehnten Geburtstag gefeiert hatte.

      Faith war ihrem Vater in die Anderswelt gefolgt, um ihn zu suchen.

      Und um die Prophezeiung zu erfüllen, nach der sie, die Tochter einer Fee und eines Sterblichen, die Feenwelt vor Leathan retten sollte.

      Sie sollte diese Welt retten, indem sie den kostbarsten magischen Gegenstand fand, den diese besaß.

      Ausgerechnet Leathan, der Zerstörer aller Schönheit mit einem Machthunger, der ihn über Leichen gehen ließ, hatte dieses zauberhaft schöne Schmuckstück besessen. Faith fuhr aus ihren Gedanken, als sie Annabelles Namen hörte.

      „Sie hat versucht, Robert zu sich zurückzuholen. Es hat viel Zeit gekostet, Annabelle zu vertreiben.“

      Magalie schwieg und sah ihre Tochter abwartend an.

      „Mit Robert in ihrer Gewalt“, ergänzte sie, „hätte sie dich erpressen können, das Zeichen der Macht nicht mir, sondern ihr zu überlassen.

      „Macht, Macht, immer geht es hier um Macht. Ich kann es nicht mehr hören.“ Faith starrte ihre Mutter zornig und enttäuscht an.

      Annabelle, die Zwillingsschwester Leathans, besaß wie er diese irritierenden violetten Augen. Das silbern glänzende Haar umfloss lang und glatt ihr betörend schönes Gesicht, mit einem Mund, der hinreißend lächeln konnte, wenn er wollte.

      Aber ihr Aussehen täuschte.

      Genauso machthungrig wie er ging auch sie über Leichen, um zu bekommen, was sie wollte.

      Anders als Leathan allerdings war sie eine besessene Bewahrerin der Schönheit.

      Krankhaft war ihre Gier danach und natürlich wünschte sie sich nichts sehnlicher als das Zeichen der Macht. Das geheimnisvolle Medaillon, dessen Schönheit nur Wenige wahrnehmen konnten.

      Annabelle konnte seine zauberhafte Schönheit nicht erkennen, wollte es dennoch besitzen. Faith riss sich aus ihren Gedanken.

      „Du hast ihn nicht beschützt.“ Sie konnte sich nicht zurückhalten. So voller Furcht musste sie jemandem die Schuld geben. Was lag näher, als ihrer Mutter diese Vorwürfe zu machen.

      „Faith, bitte.“ Magalie streckte die Hand nach ihrer Tochter aus.

      „Nein, lass mich. Hol Robert aus der Feuerhöhle, wozu hab ich dir das Medaillon gebracht?“ Gereizt fuhr sie herum, um ihre Tränen zu verbergen.

      „Das kann ich nicht, mein Kind. Es würde nichts nützen, er würde den Tod in sich tragen, wenn er in seine Welt zurückkehrt. Dein Vater muss es ohne meine Hilfe schaffen. “

      „Wie lange soll er sich noch quälen?“ Faith fühlte sich hilflos und allein. „Wäre ich nie geboren. Dann stünde ich jetzt nicht hier und Robert würde ein normales Leben führen können. Du hast es gewusst. Du hast die Prophezeiung gekannt. Niemals hättest du mit einem Sterblichen ein Kind haben dürfen.“

      Faith holte tief Luft, ließ aber Magalie nicht zu Wort kommen. „Du hast in Kauf genommen, dass ich diese verdammte Prophezeiung erfüllen muss. Allein, ohne deine Hilfe. Was bist du nur für eine Mutter?“

      Fassungslos hörte Magalie ihre Tochter toben. Alles, was sie sagte, stimmte und war doch nicht richtig. Sie hatte Faith immer begleitet, ohne dass sie es bemerkte, und geholfen, wo es möglich war. Aber für das Mädchen musste es so ausgesehen haben, ja. In den Augen ihrer Tochter hatte sie versagt.

      „Du weißt, wie sehr ich deinen Vater liebe. Gefühle sind nicht zu steuern.“

      „Rede du nicht von Gefühlen. Hilf ihm.“ Faith wandte sich wieder ihrer Mutter zu. Sie konnte und wollte nicht begreifen, warum Magalie das Medaillon nicht einsetzte, um Robert zu retten.