auf die Fürstin los.
Die Adler saßen reglos in der Sonne. Mit ihren weißumrandeten Pupillen beäugten sie das Geschehen.
Magalie legte beide Arme um das tobende Mädchen, hielt ihre Tochter ganz fest.
Eine blaue Wolke hüllte Magalie und Faith ein, erhob sich und brachte sie zurück in die Welt der Sterblichen.
Das Sonnenmal auf Magalies Stirn verblasste. Sie sah auf Faith hinab, die bleich und reglos auf einem Bett der Krankenstation des Internats lag. Hier würde sich Schwester Dagmar um ihre Tochter kümmern.
Kein Wunder, dieser Nervenzusammenbruch musste kommen. Wenn Faith erwachte, würde sie vieles nicht mehr wissen. Sie hätte vergessen, dass sie ihre Mutter angegriffen hatte, und die Gewissheit spüren Robert wiederzusehen. Das Vergessen erleichterte ihr die Gegenwart.
Magalie hauchte einen Kuss auf die Stirn ihrer Tochter. „Du wirst deinen Vater wiedersehen, ich verspreche es dir.“ Leise schloss die Fürstin die Tür.
~~~~~
Robert hinter dem Wasserfall
Robert sah an sich hinunter, betrachtete seine Hände und spürte weder die Schmerzen, die in der Nähe der Feuersäule unerträglich geworden waren, noch sah er Brandwunden. Er war durch die Flammen gegangen. In der Höhle, in der er sich befunden hatte, war es heiß und trocken gewesen. So trocken, dass seine Lippen aufgeplatzt waren, seine Haut sich gerötet und gelöst hatte. Sein Atem ging noch immer schwer und er kämpfte mit den Tränen, Tränen der Erleichterung.
„Komm zurück zu mir.“
Er hatte Magalies verzweifelte Bitten, ihre herzzerreißenden Rufe, ihr Locken und auch ihre Drohungen tief im Inneren gespürt.
Robert wusste nicht, wie lange er in der Feuerhöhle gewesen war.
Er würde leben, obwohl er zu lange in der Anderswelt geblieben war. Den Kampf mit sich selbst, den Kampf gegen die Angst hatte er aus Liebe gewonnen.
Jetzt stand er hinter dem Wasserfall, der die Feuerhöhle verbarg, und beobachtete die beiden Frauen, die er mehr als sein Leben liebte. Das ohrenbetäubende Tosen der stürzenden Wassermassen vor ihm verhinderte, dass er hörte, was Faith und Magalie sprachen. Er sah verständnislos zu, wie Faith versuchte, auf Magalie einzuschlagen.
Bevor er sich bemerkbar machen konnte, hatte Magalie ihre völlig aufgelöste Tochter eng an sich gezogen und war mit ihr, eingehüllt in die blaue Wolke, verschwunden.
Was war mit Faith los? Warum hatte sie ihre Mutter angegriffen?
Er sah sich um. Von den Hexen war nichts zu sehen. Die Grotten, in denen Elsabe mit ihren Schwestern lebte, lagen verwaist da. Das Rauschen des Wassers übertönte fast alle anderen Geräusche. Robert fuhr herum, als er eine Stimme direkt hinter sich hörte.
~~~~~
Begegnung
Hochaufgerichtet stand sie vor ihm. Der Rabe auf ihrer Schulter ließ ihn nicht aus den Augen. Das lange Gewand, das sie trug, war einen Ton dunkler als ihre grünen Augen, die ihn unverhohlen neugierig musterten. Das dichte weiße Haar war zu einem schlichten Chignon im Nacken zurückgesteckt, der ihren eleganten Hals betonte.
Ihr Lächeln war bezaubernd und plötzlich erkannte Robert, wen er vor sich hatte. Die Frau vor ihm war alt, aber sie besaß eine Schönheit, die ihr die Jahre nicht hatten nehmen können. Unwillkürlich verneigte er sich. Von ihr ging etwas Gebieterisches aus.
Die Ähnlichkeit Magalies mit dieser beeindruckenden Frau war unverkennbar.
Magalie hatte nicht gewusst, wer ihre Mutter war, bis Elsabe ihr eines Tages die Wahrheit gesagt hatte.
Sie war bei ihrem Vater aufgewachsen. Einem der Fürsten der Anderswelt. Die alte Herrscherin hatte ihre Tochter bei ihm gelassen, um sie vor Leathan und Annabelle zu schützen. Denn Magalie war wie die Zwillinge berechtigt, das Zeichen der Macht zu tragen. Hätten Leathan und Annabelle das gewusst, wäre Magalie ihres Lebens nicht mehr sicher gewesen.
“Du bist Robert.“ Sie blickte ihn unverwandt an. “Du hast es geschafft, durch die Feuersäule zu gehen. Nicht jeder hätte den Mut dazu gehabt.“
„Ich liebe sie.“ Robert musste nicht erklären, wen er meinte.
„Ich weiß.“
Die alte Herrscherin sah Robert forschend an und begriff, was ihre Tochter an diesem Sterblichen so anziehend fand. Aus einem markant geschnittenen Gesicht blickten ihr sanfte, fast melancholische Augen entgegen. An den feinen Fältchen in den Augenwinkeln aber erkannte sie Humor und die Lust zum Lachen. Der Mund zeigte eine Härte, die von einem festen Willen zeugte. Zurückhaltend wirkte er und gleichzeitig sehr präsent. Er war groß, von athletischer, lässiger Statur.
Ja, sie konnte Magalie verstehen.
~~~~~
Hexen
Die Hexen konnten es Lilly nicht durchgehen lassen, dass sie sich ihrem Befehl widersetzt hatte. Sie war ungehorsam gewesen. Sie war mehrmals geflogen, ohne die Erlaubnis dazu erhalten zu haben. Diese junge Hexe schien unlenkbar zu sein.
Elsabe und ihre Schwestern hatten die Höhlen verlassen, um Lilly zu finden und sie zurück in den Schoß der Erde zu schicken. Bis der Mond seinen Schatten wieder auf die Felder warf, würde noch einige Zeit vergehen. Erst dann konnten die Alraunen sich die Hexe wiederholen. Sie würden sie unter die Erde ziehen, aus der sie geboren war. Dass auch Oskar verschwunden war, fiel nur Elsabe auf. Der Glitter war zwar häufig in Magalies Nähe zu finden, aber er ging auch oft genug seine eigenen Wege.
Konnte er mit Lillys Verschwinden zu tun haben?
Es war ihr nicht entgangen, dass Oskar Lilly sehr interessiert betrachtet hatte.
Mit ihren Schwestern machte sie sich auf die Suche nach Lilly.
Sie befragten die Wesen der Luft, die bunten Schmetterlinge in den lauen Lüften, die glänzenden diamantfarbenen Libellen, die kreischenden Stare.
Die Kreaturen in den Flüssen, den schimmernden Seen. Sie fragten die Fische und Wasserschlangen. Aber weder die bleichen Nixen noch die blauen Wassermänner konnten ihnen Auskunft geben.
Sie sprachen mit den Wassergeistern in den kleinsten Tümpeln und Quellen. Sie tauchten hinunter in das riesige neu entstandene Meer, das die Anderswelt so völlig verändert hatte. Hinunter in die Fluten, die Wälder und kostbaren Ackerboden verschlungen hatten.
Das Wasser des Vergessenen Flusses hatte den gewaltigen Canyon, der seit einiger Zeit die Anderswelt in zwei Teile teilte, gefüllt und viele der Bewohner, ja, ganze Dörfer und Städte mit sich gerissen.
Als Elsabe wieder auftauchte, fand sie eine der Nixen am Ufer.
Odine saß am Rande des Meeres. Ein Schleier aus grünem Haar floss über ihre nackten Schultern. Ihr silbrig schillernder Schuppenschwanz peitschte ungeduldig das Wasser.
„Was willst du?“
Elsabe setzte sich zu ihr. Die Kleider klebten an ihr wie eine zweite Haut und ließen ihren sinnlichen Körper beinahe ebenso nackt erscheinen wie Odines schlanken Leib.
„Das Wasservolk ist unruhig.“ Die grüne Muschel ist abgetaucht und hat den Dunklen Fürsten mitgenommen.“
Odine seufzte. Sie dachte an den Schatz, den die Nixen in ihrer Stadt unter Wasser hüteten. Einen Schatz von unermesslichem Wert.
„Leathan ist gefährlich, sogar im Bauch der Molluske. Sein violetter Blick tötet die Fische, von denen wir leben, ganz ohne Not. Schau dir das an.“
Elsabe sah sich um und erkannte, dass Odine Recht hatte. Aufgeschwemmte Fischleiber trieben, die leichenblassen Bäuche nach oben, auf der Wasseroberfläche.
Wusste Magalie, was sie angerichtet hatte? Wusste sie, dass Leathan mit der Muschel untergegangen war? Hatte sie mit Hilfe des Medaillons Leathan für kurze Zeit eingesperrt?
„Wie ist er in die Muschel gelangt?“