Sabine Engel

Familie Kuckuck wandert aus


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passieren.

      „Ms …“ Der Mann wirft einen Blick in meinen Pass. „Ku…, Kuku…“

      „Kuckuck. Jule Kuckuck.“

      „Yes, Ms Kuckuck. Sie müssen zuerst hier, in Vancouver, durch die Immigration, dann mit ihrem Gepäck durch den Zoll und weiter zum Terminal für Inlandsflüge“, erklärt er.

      Zumindest glaube ich, dass er das sagt, nur macht es keinen Sinn. Meines Wissens ist Australien, abgesehen von einem gemeinsamen Königshaus, unabhängig von Kanada und dem restlichen Commonwealth, weshalb ich unser Gate bei den internationalen Flügen erwarte. Irgendetwas läuft hier schief. Ich versuche es also noch einmal.

      „Aber wir möchten nach Australien.“

      „Dann hätten Sie besser auch Tickets nach Australien gebucht.“ Täusche ich mich oder huscht gerade ein Grinsen über sein strenges Gesicht? Dieser Staatsdiener muss einen eigenartigen Humor haben. Sicher kanadisch.

      „Das habe ich doch!“

      Mein Gegenüber schüttelt langsam den Kopf, tippt auf ein paar Buchstaben auf dem Flugticket und sagt mit einem beunruhigenden Glucksen in der Stimme: „YYJ, sehen Sie das?“

      Ich nicke verunsichert.

      „Das ist der Buchstabencode für Victoria Airport, ein kanadischer Flughafen. Das erkennt man sofort am Y. Ihre Tickets enden in Kanada.“

      „Victoria in Kanada?!“

      „Yes, Ma’am, Victoria BC, die Hauptstadt der Provinz British Columbia. Und Sie sollten sich beeilen. Ihr Flug geht in 30 Minuten.“ Er grinst tatsächlich.

      Verwirrt drehe ich mich zu Bea um, die plötzlich merkwürdig unbeteiligt ihre Hände betrachtet.

      „Ich glaube, ich habe mir eben einen Nagel eingerissen“, murmelt sie.

      „Mami, was sagt der Mann?“, piepst Tim.

      „Das ist jetzt nicht wahr, oder? Mam! Ich habe allen erzählt, dass ich nach Australien ziehe“, kreischt Jana.

      „Geht es dir nicht gut, Mami?“, höre ich Stinas Stimme durch das Geschrei ihrer großen Schwester.

      „Doch, doch, mein Schatz“, antworte ich tapfer und zwinge meine plötzlich butterweichen Knie zur Ordnung. „Jana, mach dir keine Sorgen. Alles wird gut!“

      Der Grenzbeamte ist nun offensichtlich in bester Stimmung. „Mit deutschen Pässen dürfen Sie sich ein halbes Jahr im Land aufhalten“, verkündet er gut gelaunt. Das Grinsen auf seinem Gesicht erreicht fast seine Ohrläppchen. Sogar sein Bauch zuckt verdächtig. „Welcome to Canada, Ma’am!“ Er schnalzt laut, knallt seinen Stempel auf die Papiere und schiebt uns unsere Pässe zurück. Dann winkt er die Nächsten heran.

      Ein betagtes amerikanisches Pärchen, beide mit weißen Stirnkappen und Turnschuhen, walzt sich eine Entschuldigung murmelnd an mir und den Kindern vorbei.

      „Du, Jule, lass uns mal einen Schritt weitergehen. Ich glaube, wir stehen hier im Weg“, flötet Bea und winkt den Kindern, ihr zu folgen. „Ich muss auch mal dringend wohin.“

      Entgeistert trotte ich hinter meiner Freundin her, die bereits voran zum Gepäckband rauscht.

      „Wie schön, da sind schon meine Koffer!“, ruft sie begeistert. „Wie schnell die hier sind in Kanada. Da kann man nicht meckern. Jana, kannst du ein Auge auf mein Gepäck werfen? Ich bin gleich wieder da.“ Damit düst sie davon.

      Doch mittlerweile habe auch ich mich wieder gefangen. „Jana, Stina, Tim, ihr wartet hier“, rufe ich knapp und stürme Bea hinterher.

      Kurz vor den Kabinen der natürlich grün gekachelten Damentoilette hole ich sie ein.

      „Ach, Jule, musst du auch?“ Bea schaut mir aus großen blauen Augen entgegen.

      „Kanada?“, schreie ich so laut, dass mir sofort die Kehle brennt. Vielleicht liegt das aber auch an der schrecklichen Klimaanlage. „Das ist wohl ein Scherz!“

      Eine zierliche Frau in einem blauen Sari lugt erschrocken aus einer der Türen und stürzt dann, ohne sich die Hände zu waschen, ins Freie.

      „Was meinst du?“ Bea versucht tatsächlich, ihre Unschuldsnummer durchzuziehen.

      „Wieso hast du unsere Flüge umgebucht?“

      „Aber das weißt du doch! Damit wir alle zusammen reisen konnten.“

      „Nur wollten wir, die Kinder und ich, nach Australien!“

      „Du, ich hatte mich auch schon gewundert, warum die Tickets plötzlich nur noch halb so teuer waren. Aber ich habe gedacht, es liegt an der Verbindung.“

      „Tut es auch! Weil die Verbindung nach Victoria, Kanada, nämlich nur halb so weit ist wie die nach Victoria, Australien.“

      „Ja, das könnte der Grund sein.“ Bea sieht sich im Waschraum um. Offensichtlich sucht sie nach einer guten Rückzugsstrategie. „Dann hast du ja die Antwort. Warum regst du dich also auf? Das macht ganz fürchterliche Falten.“

      „Ich rege mich auf, weil ich Pläne habe. Ich will ein Praktikum machen, ich will endlich wieder in meinen Beruf einsteigen.“

      „Der hat dir doch schon vor den Kindern nicht gefallen.“

      „Darum geht es nicht.“

      „Ach“, Bea strahlt mich an. „Dann machst du das Praktikum einfach hier, in Kanada.“

      „Pharmatec sitzt aber in Australien.“

      „Weißt du, das ist wirklich dein Problem. Du bist unglaublich unflexibel.“

      „Ich? Unflexibel?“

      Bea schweigt und schenkt mir ein nachsichtiges Lächeln.

      „Natürlich bin ich unflexibel. Ich muss mich auch um alles kümmern. Deswegen brauche ich eine Auszeit, ein bisschen Sonne und eine gute Chance. Du glaubst immer, es wäre alles so einfach. Lebst von diesem oder jenem Job, tingelst von einem Mann zum nächsten, wann immer dir seine Nase nicht passt oder die Zeitung, die er liest.“

      „Du, Jule, jetzt wirst du aber gemein! Ich wollte auch nach Australien und mir einen schnuckeligen Surfer angeln. Aber meckere ich so rum? Nein, ich sehe es positiv und denke jetzt einfach mal über einen kanadischen Holzfäller nach. Im Übrigen ging es bei Jo nicht um die Zeitung, sondern um den Wirtschaftsteil.“ Bea sieht tatsächlich ein bisschen gekränkt aus.

      „Was macht das für einen Unterschied?“

      „Einen großen. Mir ist egal, was für eine Zeitung ein Mann liest, Hauptsache er interessiert sich für mehr als nur für den Wirtschaftsteil.“ Bea schiebt sich energisch eine dunkle Locke aus dem Gesicht. „Niemand, der ein einigermaßen netter Mensch ist, liest ausschließlich den Wirtschaftsteil.“

      „Björn liest nur die Politikseiten.“

      „Okay, mit Björn hast du auch das große Los gezogen. Wie der es mit dir aushält, ist mir echt ein Rätsel.“

      Das ist wieder so typisch Bea, dass mir die Luft wegbleibt. Es geht hier doch nicht um mich.

      „Du solltest mal wieder atmen, Jule. Sonst erstickst du noch. Und was sage ich dann den Kindern?“

      Innerlich zähle ich bis drei, dann sicherheitshalber noch weiter bis fünf und sage schließlich betont ruhig: „Richtig, und mein großes Los steht in zwei Monaten am Flughafen von Melbourne und sucht seine Familie.“

      „Dann sag ihm doch, dass wir jetzt hier sind“, schlägt Bea in versöhnlichem Ton vor.

      „Du verstehst es einfach nicht!“

      „Sieh es mal als Chance. Kanada! Das klingt doch aufregend, so nach Abenteuern und Wildnis. Und wenn es dir nicht gefällt, können wir immer noch nach Australien