Norbert F. Schaaf

Afghanistan Horsegirl


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wen?“ fragte Hermann.

      „Auf dich!“ erwiderte Aliz, immer noch mit hochrotem Kopf.

      „Warum denn das?“ wollte Hermann erstaunt wissen.

      „Weil du mich erröten machst. Ich will nicht rot werden, schon gar nicht vor einem Fremden.“

      „Wirst du öfters rot?“

      „Eigentlich nie.“

      „Jetzt bist du rot geworden.“

      „Ich werde mich zurückziehen, zu meinem Schlafplatz, ganz hinten in der Höhle.“

      „Bleib nur, Aliz“, sagte Hermann.

      „Damit ich noch mal rot werde? Nein! Ich gehe.“ Er drehte sich auf dem Fuße um und schritt ins Innere der Höhle.

      Hermann schaute ihm nach. Sein Gang war voller Anmut, ganz im Gegensatz zu jener Unbeholfenheit, mit der die anderen Männer in ihren hochhackigen Stiefeln einherstapften.

      Hermann goss sich noch einen Tee ein und schlürfte in kleinen Schlucken, während er sich seinen Gedanken hingab, die er von Aliz wegzulenken suchte, die aber immer wieder zu ihm zurückkehrten. So war er richtiggehend erleichtert, als er Haschem kommen sah, der sich neben ihm niedersetzte.

      Sie besprachen ihr weiteres Vorgehen und kamen nach stundenlanger Beratung, etlichen Abschweifungen und vielem Hin und Her zu dem Entschluss, am nächsten Morgen in aller Frühe aufstehen zu wollen und einen Weg zurück zu dem Geländewagen zu suchen. Sie waren sich einig, dazu die Schlucht quer durchklettern zu müssen in schwierigem, gefährlichem Ab- und Aufstieg. Sie schlugen sich beizeiten in die Schlafsäcke, nachdem Haschem die Männer über ihr Vorhaben informiert hatte, die prompt ihre Rucksäcke mit einem langen Seil und Proviant versahen.

      In den Schlaf vermochte Hermann lange nicht zu finden. Die Luft in der Höhle war stickig war, schwer vom Geruch der Reisspeise mit dem gebratenen Lammfleisch, von den Gewürzen und dem Öl, von den Düften der vielen, ihm unbekannten Kräutern, die in Büscheln von Leinen herabhingen. Die Luft war durchtränkt vom Geruch scharfen Menschen- und süßlichen Pferdeschweißes, eingebeizt in die Kleidungsstücke der Höhlenbewohner. Von irgendwo erklang leise eine Dambura und der Gesang des Nomaden, dessen Klang den Raum durchzog mit harter, hoher Stimme. Sie wurde abgelöst von einer eher weichen Stimme, der von Aliz, die leise, aber vollkommen klar sang:

      „Wenn dieser Tag anbricht – ganz waffenstill,

      Wenn dieser Tag anbricht – ganz waffenstill,

      Wird freies Atmen sein – in einem lächelnden Land,

      jedoch viel Zorn – noch übrig.

      Wenn dieser Morgen kommt – ganz hell und frei,

      Wenn dieser Morgen kommt – ganz hell und frei,

      wird sehr viel Arbeit sein – in dem zerbombten Land,

      doch es gehört – seinen Völkern.

      Wenn dieser Morgen graut – in Afghanistan,

      Wenn dieser Morgen graut – in Afghanistan,

      wird manches andre Volk – nach seinen Herren sehn,

      ist großer Zorn – noch übrig.“

      Hermann atmete tief ein, lautlos seufzend, stark angerührt. Der Gesang hatte in ihm den Gedanken wach gerufen an eine längst vergangene Zeit, die er bei einer Tante und einem Onkel verbracht hatte. Der Onkel hatte ein kleines Gestüt besessen, doch es war die Tante gewesen, deretwegen die Pferdebesitzer nicht nur aus der Region, sondern sogar von weit her kamen, um ihre Pferde therapieren zu lassen. Tante Andrea galt als Pferdeflüsterin wegen ihrer Gabe, den Pferden Ängste nehmen und Macken austreiben zu können, allein durch ihr Verständnis der Natur dieser Tiere, und Hermann hatte über viele Wochen beobachten können, wie die Pferde sich untereinander verhielten, welche Körpersprache sie anwandten und worauf sie reagierten. Tante Andrea hatte aus ihrer Auffassungsgabe und ihrem Begriffsvermögen sowie der Uneinsichtigkeit und Begriffsstutzigkeit mancher Pferdehalter ungleich mehr Gewinn geschlagen als der Onkel aus der Vermietung der Pferdeboxen. Hermanns Gedanken der Erinnerung ließen die Pferde vor seinem inneren Augen willig ihre Reiterinnen im Sattel tragen, sich in Transportanhänger führen, und jetzt wechselten die Gedanken zu Aliz auf seinem Pferd bei dem Buskashi, unter den rauen Burschen unterschiedlichster Herkunft, die sich in den Sätteln bewegten, als seien sie darauf geboren; auf Pferden, fast ausschließlich Hengsten, feurig und kaum zu bändigen, Tiere mit denen man in eine Schlacht ziehen könnte, kein Vergleich zu den empfindlichen, kränkelnden Gäulen in den deutschen Vorstadtställen; vor den erregten Männern am Rande der Arena, die in jeder Faser ihres Körpers mitfieberten, vom jüngsten Knaben bis zum ältesten Greis; während der Frontreiter durch die gegnerischen Reihen pflügte, die wild um sich dreschende Peitsche in der einen Hand, den kopflosen Hammel in der anderen und die Zügel zwischen den Zähnen; mit einer exotischen Ausstrahlung an Kraft, Männlichkeit und Ehrgefühl, die wie die gänzlich fehlende Zimperlichkeit und die gleichzeitige überbordende Ruhmsucht diesem jungen Burschen Aliz so ganz eigenartig, ja befremdlich zu Gesicht stand. Darüber schlief Hermann ein, und schon der erste Traum führte ihn in eine zukünftige Traumwelt, in der er sein Glück fand mit der ersehnten Frau, die unverkennbar und verwirrend die Züge seines neuen jungen Bekannten trug.

      Am anderen Ende der Höhle seufzte der junge Mensch Aliz tief auf. Ihm war, als könne das Dambura-Spiel etwas in ihm wecken, das längst verschüttet schien, als versuche aus der Tiefe der Zeit etwas in sein Bewusstsein zu dringen, das seinem Gedächtnis unerreichbar war. Der Geruch des Pferdeschweißes ließ die Erinnerung an seine Zeit als Stallknecht auf dem Gut des reichsten Clanchefs der Provinz in ihm aufblitzen, verklomm aber sogleich wieder wie der Kerzendocht in der Lampe und das Verstummen der Dambura und ließ ihn erschöpft in den Schlaf sinken, eintauchend in die Welt des Traums, führend ins frühere Leben wie in jeder Nacht, das frühere Leben weiter führen müssend auch wie in jeder Nacht, mit verhassten Gestalten und Geschehnissen, Gebäuden und Gegenden.

      Schließlich herrschte in der Höhle nur mehr die Lautkulisse der Nacht in der Sprache des Schlafs: Schnarchen, Seufzen, Wimmern, Husten, Pfeifen, Bellen, Knurren, Blöken, Wiehern, Hufeklappern, Eselsschreie und Glöckchenbimmeln vereinigten sich zu der wispernden, halb tierischen, halb menschlichen Kakophonie einer skurrilen Traumdimension.

      Hermann vermochte nicht wirklich einzuschlafen, er lag auf dem Rücken mit halb geschlossenen Augen und leicht offenstehendem Mund, und durch den Schlitz seiner Augenlider fiel sein Blick auf die an einem gespannten Seil herabbaumelnde kümmerliche Lampe, deren von zerschmolzenem Hammelfett genährte Docht rußend rauchte. Freilich verlieh gerade die Schmutzschicht auf dem Lampenglas dem nur schwach hindurchflimmernden Licht einen wohltuenden, gedämpften Schein, der, kaum stärker gefärbt als die zartfarbene Safranblüte, die Augen entspannte und barmherzig die Beschränkung, Dürftigkeit und Schmutzigkeit der Höhle und der Schläfer verschleierte.

      Hermann glaubte kaum eine Stunde geschlafen zu haben, als er sich von Haschem unsanft geweckt fühlte. Durch den Höhleneingang schimmerte fahles Licht, der Morgentee war heiß, süß und belebend.

      Sie säumten nicht lange und brachen auf, jeder seinen Rucksack geschultert.

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