Norbert F. Schaaf

Afghanistan Horsegirl


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war der abermalige Bescheid. „Man sieht Aufständische mit ihrer Bewaffnung.“

      „Was tun?“ fragten die Piloten.

      „Zielobjekt ausschalten“, kam der Befehl.

      „Schießbefehl?“ vergewisserte sich der kommandierende Pilot.

      „Positiv.“

      Der Luftschlag erfolgte prompt, zielgenau und vernichtend. Je eine Rakete aus jedem der beiden Jets schlug rechts und links in die Brückenkonstruktion ein, die gespannten Trossen rissen auseinander und knallten gegen die Felswände wie Stahlpeitschen, während alles, was sich noch auf der Hängebrücke befand, hoch empor durch die Luft gewirbelt wurde wie aufflatternde Vogelscheuchen.

      Nach der unmittelbaren Zielüberprüfung durch die Piloten mit der Meldung an die Operationszentrale der erfolgreichen Zielbekämpfung sowie einer einzelnen flüchtenden, einen nicht identifizierten waffenähnlichen Gegenstand mitführenden, humpelnden Person verschwanden die F-15-Bomber, so schnell sie gekommen waren.

      Was die Piloten und die Kameras an Bord der Kampfflieger nicht auszumachen vermochten, waren überraschende Fakten, die von den US-Militärs verkannt wurden. In den Gewändern der scheinbaren Vogelscheuchen befanden sich keineswegs menschliche Wesen, denn diese hatten sich unter Hinterlassung von Werkzeug- und Kleidungsteilen, derweil die Bomber während des Funkverkehrs mit ihrer Kommandozentrale ihre Schleife flogen, flink und unbemerkt um die nächste Wegbiegung aus dem Staub machen und unter einen tiefen Felsüberhang zurückziehen können, der als Unterschlupf vor Unwettern oder zum Übernachten für die Nutzer der Hängebrücke diente.

      Hermann Karfurt trat als letzter unter den Felsüberhang und traf als ersten auf den jungen Menschen, der offenbar den Zugang bewachte, während sich die anderen Männer im hinteren Teil des Unterschlupfs aufhielten.

      „Sei gegrüßt, Freund“, sagte Hermann lächelnd zu dem jungen Menschen mit dem jugendlichen Gesicht, „und Friede sei mit dir.“

      „Friede desgleichen“, kam die unwillige Antwort. Nun konnte Hermann sein Gegenüber aus direkter Nähe betrachten: Sein weiches Gesicht mit dem feinen Bartflaum, das oval war mit zwei markanten Wangenknochenecken in einem eiförmigen Kopf, der auf einem langen, schlanken Hals saß. Die hellbraunen Augen waren groß und scheinbar etwas eng beieinander stehend, aber klar und tiefgründig, als bargen sie ein unergründliches Rätsel oder geheimnisvolles Wissen. Die Ohren, groß und fleischig, standen ein wenig ab, weil sie den nachlässig gewickelten Turban trugen wie eine Krone. Die Figur war schlank, dabei kräftig und reichte an die volle Größe Hermanns nur mit der Turbanspitze heran. Aus dem weiten Gewand ragten feingliedrige Hände und Füße, schlank und rank, dabei keineswegs sehr klein. Die Handrücken, meist bedeckt durch die langen Ärmel, wiesen hervortretende Adern und unter den feinen dunklen Härchen Striemen und Kratzer auf. Die Nase war schmal und klein, auch ein wenig gebogen, und gab dem Gesicht mit den ein wenig lauernden Augen einen klugen, angriffslustigen, greifvogelartigen Ausdruck. Unter dem Flaum der rechten Wange saß ein schwarzes Muttermal, unter dem der Oberlippe und des Kinns lief eine dünne, fast unsichtbare Narbe quer über die fein geschwungenen vollen Lippen.

      „Er ist unser Wächter“, rief eine Bassstimme aus der tiefe der Höhlung. „Der beste.“

      „Aliz kannst du nichts vormachen“, rief jemand anderer.

      „Aha“, sagte Hermann und lächelte um ein weniges stärker. Ihm gefiel der junge Mensch auf Anhieb, das war schon sein Eindruck von der Großbildleinwand beim Buskaschi her gewesen, und innerlich strahlte er unwillkürlich vor Lächeln, was ihn erstaunte und sogar ein klein wenig schockierte.

      „Wer bist du?“ fragte Aliz energisch und legte den Kopf ein wenig schief. „Ich habe dich doch schon einmal gesehen, nicht wahr?“

      „Das kann ich nicht sagen“, erwiderte Hermann.

      „Was machst du hier?“ Aliz´ energische Stimme war gleichwohl weich, hatte Tiefe und klang ein wenig heiser und rauchig. Er sieht gut aus, der Fremdling, dachte Aliz, er wäre ein schöner Mann, wenn sein Haar nicht so bleich wäre mit diesem verstörenden Stich ins Rote und seine Augen nicht so stechend hell.

      „Nun, Aliz, mein Freund“, erwiderte Hermann mit weiter verstärktem Lächeln, „ich bin Hermann Karfurt, man nennt mich German. Ich habe die Seilbrücke instandgesetzt.“

      „Sie hat nicht lange gehalten, o German. Deine Fremdenbrüder haben gleich wieder ganze Zerstörungsarbeit geleistet.“

      „Sie sind Fremde, ja, aber nicht meine Brüder.“

      „Mit welcher Berechtigung bist du hier in diesem Land?“

      „Ich gehöre zu einer Hilfsorganisation, keine Regierungsorganisation.“

      „Wie kannst du das nachweisen?“

      Hermann knöpfte die linke Brusttasche seines Popelinhemdes auf und entnahm der integrierten Sicherheitstasche ein in durchsichtige Folie eingeschweißtes Plastikkärtchen. Er reichte es dem jungen Menschen, der es mit spitzen Fingern annahm und hin- und her drehend argwöhnisch betrachtete. Plötzlich hielt er inne und blaffte Hermann barsch an: „Nichtregierungsorganisation, he? Aber Ungläubigenorganisation, was, Christenorganisation, verfluchte!?“ Damit deutete er wild mit dem Zeigefinger pochend auf ein Kreuz im Kreis auf der Karte.

      „Aber nein“, entgegnete Hermann ruhig mit sanftem Lächeln, „das ist kein christliches Symbol, sondern stellt das Sonnenrad dar und ist uralt. Im Zusammenhang mit dem Sinnspruch bedeutete es auch: Wir stellen uns quer! Und zwar eben zu den Regierungsorganisationen. Und bringen Dinge ins Rollen wie die Brückeninstandsetzung. Hier, lies bitte selbst.“

      „Ich kann diese Buchstaben nicht lesen“, gab Aliz unwirsch zurück, obwohl er einigermaßen englisch sprach.

      „Auf der anderen Seite steht es in Paschtu“, sagte Hermann freundlich. „Dreh um.“

      Aliz drehte die Karte um und schaute verständnislos. „Hier sprechen wir Dari“, sagte er.

      Du kannst überhaupt nicht lesen, dachte Hermann und sagte: „Sieh dir die Stempel an.“

      „Was sind das für Stempel?“

      „Hast du sie noch nie gesehen?“

      Aliz schaute ihn fragend an.

      „Der deutsche Adler und die afghanische Moschee.“

      Aliz betastete den Prägestempel. „Natürlich habe ich diese Stempel schon gesehen“, sagte er herrisch. „Doch hier hast du gar nichts zu befehlen! Aber ich. Was hast du in deinem Rucksack?“

      „Proviant, Werkzeug, Sprengkapseln.“

      „Sprengstoff können wir brauchen“, sagte Aliz und reichte Hermann das Ausweiskärtchen zurück. „Ja, ja, für Sprengstoff haben wir Verwendung. Wie viel hast du uns mitgebracht?“

      Hermann öffnete seinen Rucksack und zeigte eine Handvoll Sprengkapseln vor. „Aber ich habe sie nicht für euch mitgebracht.“

      Aliz zog eine enttäuschte Miene. „Das ist Sprengstoff?“

      „Es sind Sprengkapseln. Sie funktionieren mit der Sprengmasse, die erst an Ort und Stelle angebracht wird.“

      „Von wem?“

      „Von einem von euch. Ihr seid gute Männer. Auch du bist ein guter Mann, wie ich gesehen habe.“

      „Wo willst du das gesehen haben?“ fragte Aliz misstrauisch.

      Hermann dachte an seine Beobachtungen bei dem Buskashi. „Als die amerikanischen Bomber kamen“, sagte er rasch.

      „Was habe ich da schon gemacht“, erwiderte Aliz. „Nichts Besonderes.“

      Der junge Mensch ist für Schmeicheleien nicht zugänglich, dachte Hermann. „Man sieht, dass du Erfahrungen hast“, sagte er trotzdem. „Und dass du ein Sohn der Steppe bist.“

      „Ja“, nickte Aliz und wechselte das Thema. „Was soll gesprengt