Norbert F. Schaaf

Afghanistan Horsegirl


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gleichzeitig die Geschäfte mit Drogen oder Waffen betrieb, erkauft werden konnte.

      Schweigend fuhren die Männer in endlosen Windungen hinauf bis auf die erste Passhöhe, wo der Fahrer anhielt und ausstieg, um hinter einem Felsen sein Wasser abzuschlagen. Der Blick des Beifahrers schweifte über diese seltsame Örtlichkeit, die wie verloren auf einem Rücken dieses gewaltigen Bergmassivs im Herzen von Mittelasien lag. In der Ferne war der Salang-Pass zu ahnen mit seinen gewaltigen Menschenströmen, denen dieser schmale Weg zur ewigen Bettstatt geworden war: Züge der Eroberer, Heere der Religionen ...

      Unter ihnen breitete sich die pittoreske Berglandschaft des nördlichen Hindukusch aus, für die die Wageninsassen nun kaum mehr einen Blick hatten. Man fuhr weiter, die Passstraße hinunter, die schmaler, steiler und gefährlicher in engeren Kurven zu Tal abfiel, als sie hinaufgeführt hatte. Auf der Fahrerseite ragten spitze Felsen empor und überhängende Klippen heraus, auf der anderen gähnte der unabsehbare Abgrund. Herabgestürzte Felsmassen mit zum Teil riesigen Gesteinsbrocken verengten oder versperrten den Weg. Der Chauffeur musste mehrmals anhalten, bei laufendem Motor, während der Beifahrer im Schweiße seines Angesichts die steinigen Hindernisse aus dem Weg räumte, manche mit der Brechstange. Karawanenführer und Maultiertreiber, Hirten und Vieh hatten es ebenso wenig leicht in der eisigkalten Temperatur und der dünnen, schneidenden Luft dieser Höhe, doch war ihr Weg weniger gefährlich, da sie wie eine Kette Ameisen dicht an der Felswand entlang dahinzogen.

      Völlig anderes galt für den Geländewagen: Die Wegstrecke war bisweilen derart schmal, dass sie seine gesamte Breite einnahm und die Räder manchmal sogar über die Kante des ausgebröckelten, unbefestigten Randes am Abgrund hinausragte. Der Fahrer musste jede kleinste ungeschickte Bewegung vermeiden, durfte sich nicht den kürzesten Augenblick der Unaufmerksamkeit leisten. Hochkonzentriert lenkte er den Pick-up um tiefe Schlaglöcher und dicke Felsbrocken, möglichst dicht an den Felsen längs, und vermied den Blick in den Abgrund auf der anderen Seite.

      Das Fahrzeug schlich so langsam vorwärts, dass der Beifahrer die Gebirgskette und die weißen Gipfel des Hindukusch – unmerklich fast – vorüberziehen sah. Die Felswände waren grau in grau mit ihren Spitzen und Graten, ein bleiernes Grau der Urzeit und der Trostlosigkeit. Der riesige Berg schien vollständig bedeckt von feinkörniger Friedhofsasche, jeder Felsvorsprung, jede enge Spalte, bis hoch empor zu den Eisbahnen des Himmels, die den Horizont bildeten.

      Keiner der Männer empfand jedoch Angst oder Traurigkeit. Mit innerem Auge sah jeder jenseits dieser abgestorbenen Mondlandschaft verlockende Täler und lärmerfüllte Ortschaften, brennendheiße Wüsten und unendliche Steppen: Ihr Afghanistan mit all seinen Provinzen, seinen Straßen, Wegen und Pfaden, die aus dem Inneren zu den Grenzen führten, der iranischen, turkmenischen, usbekischen, tadschikischen, tibetanischen und pakistanischen.

      Plötzlich gerieten die Linien der Bergkämme und der Wolkengebilde am Himmel ins Wanken. Der Wagen war beim Befahren der Gesteinsböschung mit zwei Rädern in Schräglage geraten, wobei der Fahrer den Motor abwürgte. Während das Gefährt langsam zurückzurollen begann, versuchte der Chauffeur vergeblich, den Motor neu zu starten. Schon ragte ein Hinterrad über den gähnenden Abgrund und rutschte noch ein wenig weiter, als die heiße Bremse voll griff. Der Beifahrer stieg rasch aus und sicherte ein Vorderrad mit einem Holzkeil. Nach mehreren Startversuchen sprang der Motor endlich wieder an und zog den Jeep dank des Allradantriebs wieder auf die Piste. „Allah sei gepriesen!“ stöhnte der Fahrer, während der hereinkletternde Beifahrer lächelnd aufatmete.

      Stumm erreichten sie eine kleine Senke, wo sie sich auf einer Fotolandkarte orientierten und nach kurzer Beratung in einen steinigen Nebenweg einbogen, auf dem es sofort wieder steil bergan ging. Von jetzt an kamen sie kaum schneller voran als ein Wanderer. Der miserable Straßenzustand nötigte die nun nur noch vereinzelt auftauchenden Fußgänger, Maultiere, Kamele und Fahrzeuge zu gleichem Tempo. Bei einer halbverfallenen Chaikhana – eine Teestube eingezwängt in einen engen Taleinschnitt – gelang es ihnen, die Rastsuchenden zu überholen, und bei jetzt freier Strecke vermochten sie doch nicht an Fahrt zu gewinnen.

      Unvermittelt wurden sie von einigen verwegenen Gestalten auf der Piste angehalten. Die Männer waren sämtlich mit Gewehren bewaffnet und trugen schwere Patronengürtel über der Brust. Der Beifahrer erschrak innerlich, während der Fahrer routinemäßig das Seitenfenster herunterkurbelte, grüßte und dem Anführer mit ein paar Worten ein Dokument in einer Plastikhülle hinhielt. Nach kurzer Prüfung wurden sie wortlos durchgewunken.

      Nach wenigen Kilometern in geraumer Zeit langten sie an einer Passenge an, die ob ihrer Schmalheit keine Weiterfahrt mehr erlaubte. Nachdem der Wagen zwischen einem Felsen und einem Panzerwrack aus Sowjetzeiten abgestellt und gesichert war, luden sich die Männer die Gepäckstücke von der Ladefläche, eine Stahlseilrolle und zusammengegurtete Metallstangen im Tragegestell sowie aus der Klappbox je einen Rucksack mit C4-Sprengstoff, Akkus und Trinkflaschen sowie Bohrmaschine, Werkzeug, Sprengkapseln und Proviant plus obenauf je einen Thermoschlafsack, auf Rücken und Brust, gerade soviel als sie zu schleppen vermochten. Nach wenigen hundert Metern Anstieg lief ihnen bereits der Schweiß in Strömen aus den Poren.

      An diesem Tag machten die Bergwanderer die Erfahrung, wie unerbittlich und grausam der Hindukusch für den sein kann, der nicht in diesem Hochgebirge heimisch ist.

      Steine rutschten plötzlich unter den Füßen weg auf einem so schmalen Pfad, der kaum breit genug war für eine Bergziege, geschweige denn für einen kräftigen Mann mit reichlich Gepäck auf dem Rücken und vor der Brust. Abgrundtiefe Schluchten gähnten urplötzlich hinter einer Wegbiegung auf einem nie ebenen, geraden, sicheren Saumpfad. Keinerlei Weite öffnete sich dem Blick, da man entweder die steile Felswand sah oder den gähnenden Abgrund. Bei dem kleinsten Fehler, dem geringsten Stolpern, einer einzigen falschen Bewegung, dem winzigsten unsicheren Schritt drohte unweigerlich der Tod zuzupacken.

      Keine geringe Furcht ergriff sehr bald die Männer und ließ sie nicht mehr los. Der Afghane, ein Mann der nordischen Steppen, musste den Weg suchen durch diese Steinwüste, sich durch Felsgänge und Spalten hindurchtasten, seinen fremdländischen Begleiter umsichtig und achtsam den bald steil ansteigenden, bald abschüssigen Saumpfad entlang führen und, sich unvermittelt in einem Höhlengang sehend, wieder zurückgehen und einen anderen Weg finden. Zudem bei jedem Schritt, den er wagte, er sich vor dem Absturz in den Abgrund in acht nehmen musste.

      Schließlich war er eigentlich nur ein schlichter Hirte der Steppe, sein Gespür, seine Muskeln, seine Nerven und seine Augen waren für solche Abenteuer nicht geschaffen. Und zu alledem hatte er noch einen Fremden zu führen, vorwärts zu bitten, zurückzuhalten und zu ermutigen, dessen ferne Heimat ebenfalls ein eher flaches Land war.

      Die Stunden vergingen und ihr Weg führte immer weiter durch dieses Labyrinth aus Fels und Steilwand, aus Schlucht und Abgrund.

      Von irgendwoher ertönte ein lauter Pfiff.

      „Was war das?“ fragte der Rotblonde.

      „Nur ein Tier“, antwortete der Begleiter.

      „In dieser Einöde?“

      „Ja. Hier oben lebt das Marmot, wie der Nager hierzulande heißt, das langschwänzige Murmeltier. Es hat wirklich einen langen, fetten Schwanz. Besonders zum Ende des Sommers. Hier oben ist es nicht überall vollkommen kahl.“ Der junge Afghane redete im Plauderton, er kicherte sogar dabei, es vermochte ihm bei dem anstrengenden Bergwandern den Atem nicht zu verschlagen.

      Plötzlich kamen sie zu einem so langen dunklen, engen Tunnel, dass sie dachten, er würde nie ein Ende nehmen, und in dem man unsichtbare Berggeister an den Wänden entlang huschen zu hören glaubte.

      Schwer atmend bewältigten sie wieder einen jähen, schwierigen Anstieg, und der schmale Felsabsatz, den sie nicht mehr lange vor Einbruch der Dämmerung erreichten und von dem sie endlich weit unten ein Tal entdeckten, war so schmal, dass die Männer mehrmals die Augen schlossen und öffneten, um nicht schwindlig zu werden.

      Keiner der Männer hatte während dieser gefahrvollen Stunden Durst oder Hunger verspürt. Jetzt aber, wieder auf halbwegs sicherem Pfad, hatten sie nur den einen Wunsch: zu trinken. Der Afghane entnahm der Seitentasche seines Rucksacks eine Wasserflasche, öffnete sie und reichte sie dem Begleiter