Norbert F. Schaaf

Afghanistan Horsegirl


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Weg?“

      „Irgendeinen Weg, den wir nehmen müssen, und der passierbar sein muss. Oder eine Schlucht.“

      „Das bestimmst nicht du, welcher Weg frei sein muss und welcher nicht. Wer hier lebt, muss sicher sein, dass nicht der Falsche einen Weg benutzt, der Verderben bringt. Wer hier lebt, lebt besser und vor allen Dingen länger, wenn nicht jeder Weg für jeden offen ist. Auf dem Weg, den der Schakal geht, kann der Wolf kommen.“ Eine melancholische Trotzigkeit lag in Aliz´ Stimme, seine großen Augen funkelten angriffslustig.

      Da musste jemand eine Niederlage verdauen und kompensieren, sich an irgendwem abreagieren, sich und frische Kräfte sammeln, um wieder zum Angriff überzugehen. „Wir werden uns darüber verständigen“, sagte Hermann, dem das nicht schlecht gefiel, „wenn es an der Zeit ist.“

      „Man muss wissen, wer Schakal ist und wer Wolf. Was bist du: Schakal oder Wolf?“

      „Der Wolf kann nur im Rudel jagen. Der Schakal findet allein seine Beute. Es kommt auf das Gelände an, ob man besser Wolf ist oder Schakal.“

      Schritte näherten sich aus dem Inneren der Höhle. „Es ist gut, Aliz“, sagte ein älterer Mann. „Lass ihn zufrieden. Das ist doch German. Der gehört zu uns. Hast du noch nie von German gehört?“

      Aliz schüttelte den Kopf.

      „Wir müssen jetzt gehen“, sagte der Mann und schritt voran hinaus aus dem Felsüberhang. Alle schlossen sich ihm an, zuletzt Haschem, Hermann und der junge Mensch, der den Weg nach hinten absicherte.

      3 Die Höhle

      Sie gingen den Höhenpfad am Rande der tiefen Schlucht entlang in nordwestliche Richtung. Haschem und Hermann schritten leichtfüßig voran, befreit von den Lasten der Stahlseilrolle und der Metallstangen. Leicht zu Mut war ihnen dennoch nicht, der Weg zurück zu dem Pick-up war ihnen versperrt, und sie wussten nicht, was sie nun erwartete. Der Weg wurde allmählich breiter und abschüssig und führte in einem Bogen in ein Tal, das im unteren Teil am Grund überraschend grünen Bewuchs aufwies. Sie erreichten eine Stelle, wo ein schmaler Wasserfall den Berg senkrecht herabstürzte, einen kleinen Teich bildete und als dünnes Rinnsal talwärts plätscherte. Es wurde kurz gerastet, um zu trinken. Nach der nächsten Wegbiegung öffnete sich das Tal ein wenig und machte Platz für Büsche und Bäume und eine Wiese, deren Gras an verschiedenen Stellen abgeweidet war. Spuren von grobstolligen Motorradreifen furchten den Boden, äußerlich getrocknete Pferdeäpfel lagen umher, und sich ausbreitende Fährten führten zu einer Tränke am Bach. Wo sind die Pferde tagsüber, fragte sich Hermann, und wie viele werden sie haben?

      Nach einer Weile war Pferdewiehern zu hören, lange bevor die Tiere zu sehen waren, eingepfercht in eine Seilhürde um die Stämme schlanker Nadelbäume, und sie wandten ihre Köpfe den herannahenden Männern zu. Eines der Pferde war Hermann nicht unbekannt: der Schecke des jungen Menschen, Aliz.

      „Schöne Pferde habt ihr“, sagte Hermann beflissen, „gute Pferde.“ Er wendete sich Aliz zu. „Dein Pferd ist auch darunter, nicht wahr, Aliz? Lass mich raten, welches es ist.“

      Aliz zuckte die Achseln, jedoch mit großen, wissbegierigen Augen.

      Ein rundes Dutzend Pferde befand sich im Pferch, mehrere Braune, zwei Graue, ein Schimmel, drei Rotfüchse, eine fahlgelbe Stute und ein kleiner, fahlgelber Hengst mit braunen Flecken. Die Tiere gingen im Schritt umher, mit beweglichen Ohren und aufmerksamen Augen. Hermann ließ seinen Blick über sie schweifen, bevor er jedes einzelne bedachtsam betrachtete.

      „Es ist der Schecke“, sagte er schließlich, als habe er es sich gerade erst überlegt und sich für den kleinen Hengst entschieden.

      „Wie kommst du darauf?“ wollte Aliz wissen. „Das musst du mir erklären.“

      Hermann hob eine Augenbraue. Aha, dachte er, da will der des Lesens Unkundige meine Berechtigungskarte checken. „Du bist als Wächter für die Sicherheit der Leute zuständig und bildest meist die Nachhut. Da willst du nicht gerne von den falschen Augen erspäht werden und trägst Kleidung in den Farben der Felsen – wie dein Hengst. Wie heißt er?“

      „Jahil“, antwortete Aliz mit Stolz in der Stimme. „Er ist das schnellste und wendigste Pferd in ganz Nordafghanistan.“

      „Das glaube ich dir, Aliz“, sagte Hermann lächelnd. „Ein feuriger Steppenhengst für einen kühnen Steppenreiter.“

      „Warum lächelst du so?“ fragte Aliz zweiflerisch mit gehobener Stimme, sodass die Pferde die Köpfe hoch empor reckten und wachsam herschauten.

      „Jahil ist vor kurzem scharf geritten worden“, erklärte Hermann, wobei er seinen Blick zwischen dem Hengst und Aliz hin und her schweifen ließ. „Du musst es sehr eilig gehabt haben. Bist du von etwas davon geritten oder wolltest du schnell irgendwohin kommen? Oder was hat dich gehetzt?“

      „Ich lasse mich nicht hetzen“, versetzte Aliz rasch und heftig, „von nichts und niemandem. Nicht mal von Dämonen.“

      „Du hast Jahil gehetzt“, sagte Hermann fest. „So wie sie dich gehetzt haben?“

      „Was redest du da? Niemand ist gehetzt worden, weder Jahil noch ich.“

      „Du hast Jahil durchs Unterholz gehetzt“, behauptete Hermann, „oder er hat Peitschenschläge zu spüren bekommen. Du siehst nicht aus wie einer, der das Pferd schlägt, das ihm wert und teuer ist.“

      „Du weißt gar nichts, Fremder.“

      „Ich weiß, dass dein Hengst ein wenig lahmt. Was ist passiert? Ist Jahil gestürzt oder hat er sich im Sprung die linke Vorderhand angeschlagen?“

      „Es ist nichts. Jahil hat sich vielleicht den Huf ein wenig vertreten. Der Weg ist manchmal ziemlich schief und recht schmal.“

      „Er hat außer den Kratzern an den Augen und am Maul auch eine Schwellung am oberen Schienbein, die nicht gut aussieht.“

      „Die ist frisch. Hat ihm der große Braune da drüben versetzt. Letzte Nacht. – Wie kommt es, dass du etwas von Pferden verstehst, German? Ich denke, du bist Ingenieur.“

      „In diesem Land muss man etwas verstehen von allen Fortbewegungsmitteln. Wenn man weg muss oder wenn man irgendwohin will.“

      „Ich will nirgendwohin“, sagte Aliz mürrisch. „Und ich lasse mich nicht hetzen. Von niemandem, hörst du? Mit welcher Berechtigung kommst du Fremder hierher und sagst mir, was ich zu tun habe?“

      Der junge Mensch ist kompliziert, dachte Hermann, eigentlich immer eine reizvolle Herausforderung für mich – wenn er eine Frau wäre. „Tue ich das?“ fragte er herausfordernd. „Mit keinem Wort habe ich derartiges gesagt.“

      „Aber gedacht! Ihr Fremden denkt, dass ihr alles besser wisst, und dass wir tun sollen, was ihr für richtig haltet.“

      Die Männer standen nun alle um den Pferch herum und schauten auf den fahlgelben Hengst, auf dessen Fell Schatten- und Lichtreflexe spielten und die scheckigen Flecken vervielfachten.

      „Ich bin hier, um zu helfen“, sagte Hermann, „meine Hilfsorganisation schickt mich im Lande herum, wo immer es etwas zu tun gibt. Die Leute sagen mir, was sie benötigen, und ich führe es aus, wie sie es haben wollen. Zuletzt hat man mir gesagt, ich solle diese Seilbrücke instandsetzen, benutzbar für Maultiere und ihre Führer. Wenn ich Hilfe brauche, bitte ich darum. Gewiss bin ich ein Fremder hier, ich habe mir nicht ausgesucht, wo ich geboren wurde, und in meinem Land halten sich afghanische Landsleute auf, dort sind sie die Fremden.“

      „Sie sollten lieber hier sein“, sagte Aliz bitter, „und mithelfen, das Land aufzubauen und zu modernisieren.“

      „Sie werden hier verfolgt und mit Gefängnis oder gar Tod bedroht, deswegen sind sie geflüchtet.“

      „Alle können sie uns nicht verfolgen und ins Gefängnis sperren oder töten. Wenn alle zusammenhalten würden, hätten wir die Macht und nicht die anderen.“

      Hermann