Saskia Burmeister

Die Mitternachtsuniversität


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die nächste Kurve der gewundenen Straße. Leise murmelte er dabei nur etwas zu sich selbst.

      »Mein Name ist nicht Whity, sondern Spike, ihr Pappnasen! Spike Abendrot!«

      Wie zur Bestätigung kläffte es dicht neben ihm. Ein leichter Schreck durchfuhr den Jungen, der ganz in Gedanken war. Schwanzwedelnd stand ein schokoladenbrauner Labrador Retriever hinter der Straßenbiegung. Das Maul halb geöffnet, ließ der Hund die lange Zunge herabbaumeln.

      »Oh, du bist es nur«, Spike atmete auf und begann den Vierbeiner hinter den Ohren zu kraulen, der vor Freude Bocksprünge vollführte. Dessen freudige Aufregung legte sich dadurch wieder, mit der sich verjüngenden Otterrute wedelte er aber immer noch unaufhörlich. Beruhigend klopfte Spike dem Hund gegen die Flanke. Dieser himmelte ihn mit seinen hellgrauen Augen an. Für einen Labrador Retriever, mit dessen eher kompaktem Rassestandard, war er ungewöhnlich schlank und feingliedrig gebaut. Dazu war dieser Hund auch noch wesentlich größer gewachsen als ein gewöhnlicher Labrador Retriever und kam von der Länge einer Deutschen Dogge schon recht nahe.

      »Wie kommt es nur, dass du immer dort auftauchst, wo ich gerade bin?«, fragte sich Spike halblaut und schob sein Fahrrad auf den Bürgersteig, da gerade ein Auto nahte. Der Hund folgte ihm dabei auf dem Fuße und hockte sich dann auf seine Hinterläufe. Er legte den Kopf leicht schief und machte eine Unschuldsmiene. Ein Halsband oder ein ähnliches offensichtliches Identifikationsmerkmal besaß der schokoladenbraune Vierbeiner leider nicht.

      »Du bist wie ein Phantom. Tauchst auf und verschwindest wieder und nirgends gibt es einen Hinweis darauf, dass man dich vermisst. Keine Aushänge an Straßenlaternen und auch keine Anzeige in der Wochenendzeitung. Das macht mir wirklich Kopfzerbrechen. So ein braver Hund muss doch irgendwo vermisst werden? Habe ich nicht recht, Fangzahn?«

      Wie zur Entschuldigung für die Umstände hielt ihm der Hund daraufhin die Kehle hin und ließ sich daran kraulen. Wie er die Schnauze so hoch reckte, wurden seine extrem langen oberen Eckzähne sichtbar, die auch bei geschlossenem Maul unter den Lefzen hervor lugten und ihm den Spitznamen ,Fangzahn‘ bei Spike eingebracht hatten.

      »Na, hast du dir eine Freundin angelacht?«, es nahte die Dreierbande der Spitzbuben, angeführt vom Chef, dem größten der Kohorte. Die anderen beiden Jungs lachten dämlich, hörten damit aber auf, als sich der schokoladenbraune Hund ruckartig umdrehte und sich erhob. Seine Schulterhöhe lag bei bald neunzig Zentimetern. Das machte augenblicklich Eindruck bei den drei Dummschwätzern.

      »Ist das ne‘ Dogge?«, fragte einer der Jungs.

      »Oder doch eine Kuh?«, blödelte der Dritte im Bunde.

      Nun machte Spike ein wirklich sauertöpfisches Gesicht. Es reichte doch völlig, wenn sie ihn andauernd aufzogen, als Brillenschlange oder Klops bezeichneten. Warum mussten sie nun auch noch zu dem Hund gemein sein?

      »Lasst ihn in Ruhe«, murmelte Spike so entschlossen, wie er es konnte. Dennoch klang es eher wie das Piepsen einer Maus.

      »Hast du was gesagt, Kurzer?«, sprang der Boss gleich darauf an. »Oder hat nur ein Floh genießt?«

      »Vielleicht hat auch nur der blöde Köter gehustet, was Whity?«

      »Wenn du schon was zu sagen hast, dann sag es uns ins Gesicht!«, verlangte der dritte Bengel. Leise vor sich hin brummend schaute der Hund von ihm zu Spike und wieder zurück. Letzterer war inzwischen so angesäuert, dass er glatt seine sonstige Zurückhaltung vergaß und sich nicht länger seinen kühlen Kopf bewahrte.

      »Idioten seid ihr, das wollte ich euch schon lange sagen!«, platzte es aus Spike heraus. Wie zur Bestätigung gab der Labrador Retriever ein Schnauben von sich.

      »Wie war das?«, wutentbrannt ballte der Chef die Faust, auch seine Kameraden wollten das so einfach nicht auf sich sitzen lassen. Etwas von einer fetten Brillenschlange im Karopullunder murmelnd kamen sie einen Schritt auf Spike zu, dem die Knie längst ganz fürchterlich schlotterten. Schon bereute er es, einmal seine Ruhe vergessen und nicht alles tonlos in sich hinein gefressen zu haben. Das Brummen in der Kehle des Hundes wuchs sich unterdessen zu einem Grollen und Knurren aus, dann fletschte der Labrador die sagenhaft langen und scharfen Zähne. Augenblicklich verharrten die drei Jungs, machten dann gar einen Schritt rückwärts. Ruckartig sprang der Labrador vor und bellte wie ein dreiköpfiger Zerberus. Schreiend wie kleine Mädchen suchte die Bande das Weite. Vier Bocksprünge setzte der Hund ihnen nach.

      »Halt uns diese Mutation vom Hals!«, jaulte der Anführer, der den Atem des Hundes schon im Nacken spürte.

      »Wir ärgern dich auch nie wieder!«, fielen die anderen zwei ein. Das entlockte Spike ein Grinsen und er klatschte kurz in die Hände. Sofort hielt der Hund inne, machte kehrt, setzte ein Grinsen auf und holte sich schwanzwedelnd seine nächste Portion an Streicheleinheiten.

      »Das hast du aber fein gemacht!«, lobte Spike den haarigen Kumpel überschwänglich. Dieser kläffte leise, sprang kurz hoch und leckte dem Jungen über die Wange. Das fand Spike nun nicht so wundervoll und schüttelte sich: »Igitt, giftige Hundebazillen!«

      Sofort ließ der Hund von ihm ab, setzte ein reichlich verdutztes Gesicht auf, hockte sich auf die Hinterbeine und legte den Kopf schief. Ein Fiepen entwich ihm. Dabei ließ er auch die ohnehin schon langen Schlappohren noch weiter hängen.

      Mit seinem linken Ärmel wischte sich der Junge gerade das besabberte Gesicht trocken, hielt dann aber inne. Ein Anflug von Traurigkeit lag im Blick des Vierbeiners. Als hätte dieser jedes Wort verstanden.

      »Habe ich dich etwa beleidigt?«, murmelte Spike in leicht-geistiger Abwesenheit. »Kein Wunder dass ich keine Freunde habe, ... da rettest du mich vor diesen Blödmännern und so danke ich es dir.«

      Da horchte der Vierbeiner nun wieder auf und zog die Lefzen zu einem Grinsen hoch. Die Rute, die einen kurzen Augenblick still gestanden hatte, wedelte gleich wieder los wie der überspannte Zeiger eines Pendels. Kläffend sprang er auf alle vier Pfoten und wetzte zur anderen Seite der Straße. Dort ragte steil die Wand des steinernen Hügels auf. In einer Nische hatte der Hund vorhin gehockt, als Spike ihm unerwartet begegnete. Kurz steckte der Labrador Retriever seinen Kopf in die Spalte im Stein, zog etwas heraus und kam zurück über die Straße, welche zu dieser Tageszeit wenig befahren war.

      Verwundert schaute sich Spike an, was sein vierbeiniger Kumpel da anschleppte: ein geflochtenes Seil. Langsam, aber sicher wurde der Junge nicht mehr schlau aus dem schokoladenbraunen Hund. Seit einigen Wochen begegnete er diesem immer wieder. Wohin er auch ging, war der Vierbeiner nicht weit. Manchmal hatte er sogar vor der Schule gewartet und seit die Sommerferien begannen, war der Vierbeiner ein ums andere Mal auch um das Haus herumgeschlichen, in dem Spike mit seiner Stiefmutter wohnte. Sein Vater, ein Archäologe, war zurzeit wieder auf einer mehrmonatigen Forschungsreise.

      »Was soll ich denn damit machen, Fangzahn?«, fragte sich Spike, der sich eigentlich auf sein Fahrrad schwingen und weiter radeln wollte. Nicht, dass er etwas Wichtiges vorgehabt hätte. Ihm war nur mulmig bei dem Gedanken, dass das Trio vielleicht zurückkehren und auf eine Revanche sinnen könnte.

      Leicht legte der große schlanke Hund wieder den Kopf schief, dann schien ihm ein Licht aufzugehen und er wetzte drei Mal um das Fahrrad herum, schnell wie der Blitz. Sodann hielt er Spike wieder das eine Ende des Seils hin. Dieser nahm es seinem Kumpel aus der Schnauze.

      »Soll ich es etwa an meinem Fahrrad fest machen?«, fragte sich der Junge und erntete ein bejahendes Kläffen. Also kam er dem nach. »Und was jetzt?« Ein schelmischer Ausdruck breitete sich über das Hundegesicht aus und als das Seil am Lenker befestigt war, nahm der Kläffer das andere Ende in die Schnauze. Spike, der schon auf dem Fahrradsitz hockte, hatte nicht lange Gelegenheit sich zu wundern, denn schon sauste der Vierbeiner los, das Seil spannte sich und das Fahrrad setzte sich in Bewegung.

      In wildem Galopp ging es um die nächste Biegung der gewundenen Straße, dann ein Stück den Berg hinauf und anschließend fast wie in einer Achterbahn wieder bergab. Was Spike übrig blieb, war nichts weiter, als sich schreiend am Lenker festzuklammern. Immer schneller wurde das Fahrrad. Zwei Passantinnen mussten zur Seite springen, um nicht mitgenommen