Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


Скачать книгу

      Die Lederjacke wie gestern, doch die Kanone bleibt daheim. Noch während Frau Schröder mir „Guten Tag“ wünscht, greift sie zum Telefon, tippt zwei Tasten, haucht kurz danach in die Sprechmuschel:

      „Frau Dr. Neskovaja, hier ist noch einmal der Herr von der Polizei, der gestern schon ...“

      „Ich bin privat,“ sage ich halblaut dazwischen.

      „Ja, ich höre gerade, der Herr kommt privat. ... Ja, verstehe.“

      Sie hebt den Kopf.

      „Wie ist denn Ihr Name bitte?“

      „Berkamp, Robert.“

      „Herr Robert Berkamp,“ gibt sie weiter.

      „Ja, ... Augenblick.“

      Damit reicht sie mir den Telefonhörer.

      „Guten Tag, Frau Neskovaja. Hier ist Robert Berkamp. Ich habe von dem Überfall auf Sie erfahren und würde gern mit Ihnen sprechen. Ich bin kein Journalist und arbeite nicht für die Presse oder das Fernsehen. Auch nicht für die Polizei.“

      Zögernde Telefonantwort:

      „Woher wissen Se?“

      „Meine Frau ist Hauptkommissarin bei der Kriminalpolizei in Frankfurt. Sie hat zufällig Ihren Namen erwähnt und was passiert ist. Wir sind uns schon einmal im Nordwest-Krankenhaus begegnet ...“

      „Waren Sie dort Patient?“

      „Nein, ich war zu Besuch, im vorigen August. Wir haben miteinander gesprochen.“

      „Lange Zeit, viele Menschen seitdem. Ich weiß nicht, vielleicht wenn ich Sie sehe. Was haben wir gesprochen damals?“

      „Sie hatten einen Patienten mit Namen Schuster ...“

      „Oh nein, ja. ... Weiß ich. Hatte Verletzung an der Schulter.“

      Danach eine aggressive Wundinfektion. Sie sagt es langsam, betont wie eine Frage, die fortgesetzt werden soll.

      „Genau, eine Schussverletzung ...“

      Sie zögert, ihr Atmen ist zu hören.

      „Herr Schuster ist lange entlassen. Ich habe keine Kontakt seit damals. Warum sollen wir sprechen? Gestern war Polizei hier, habe ich mit Frau ... Kommissar Conrad alles gesagt, was mit mir passiert ist. Herr Schuster ist auch Polizei. Ist er Kollege von Ihre Frau?“

      „Richtig; das war er früher. Herr Schuster ist tot.“

      Spürbare Überraschung. Sekundenlange Stille.

      „Tot? ... Herr Schuster ... ist tot? ... Se sagen ...?“

      Unsicherheit in der Stimme, unüberhörbar.

      „Ja, seit September letzten Jahres.“

      Langes Ausatmen im Telefonhörer, unterdrückter Seufzer. Ich denke, sie hat Mühe, das Gehörte zu begreifen. Oder zu glauben.

      Meine Fahrt hierher hat sich bereits gelohnt.

      „Herr Schuster ist ... sicher ist tot? ... Seit letztes Jahr September?“

      Frau Neskovaja klingt immer noch ungläubig.

      „Ja, das ist richtig. Er ist tot.“

      „Wieso ... woher wissen Se davon?“

      „Von meiner Frau. Sie war Schusters Chefin.“

      „Kennen Se Schuster gut, ... haben Se gut gekannt?“

      „Ich habe ihm in die Schulter geschossen, die sie behandelt haben.“

      Frau Schröder, die Empfangsdame, starrt mich ungläubig an.

      Ich wende mich ab, lausche ins Telefon.

      „Sie?“ Richtig mit „I“; sonst sagt sie meist „Se“.

      „Ja. Es war Notwehr.“

      „Was ist Ihre Arbeit?,“ fragt die Neskovaja.

      „Privater Ermittler.“

      „Ist das wie Rechtsanwalt?“

      Während ich noch nach einer zutreffenden, aber harmlos klingenden Erklärung suche, sagt sie unerwartet:

      „Können wir sprechen, sagen Se Frau Schröder.“

      „Ja, vielen Dank, bis gleich.“

      Wenige Minuten später führt mich ein schlanker junger Mann in eng geschnittener, dunkelblauer Hose und Pflegerkittel durch die mit elektronischem Zahlencode gesicherte Milchglastür aus dem Eingangsraum durch einen kurzen Gang in einen kleinen Umkleideraum. Entlang der Seitenwände reihen sich jeweils sechs dunkelrote Spinde. Ich schließe Jacke und Schuhe ein, erhalte ein Paar desinfizierte Hausschuhe.

      „Wie haben leider nur zwei Größen, Damen und Herren.“

      Vom Flur gehen wir über eine weiße Marmortreppe hinauf ins erste Stockwerk.

      „Unten sind alle Behandlungs- und Funktionsräume, hier oben haben wir die Patientenunterkünfte und Personalräume. Unser Haus folgt einer chinesischen Heilphilosophie in Verbindung mit modernsten Methoden der Hautwiederherstellung. Der Patientenkreis ist begrenzt,“ erklärt der junge Mann mit hörbarem Stolz in der Stimme.

      „Bitte halten Sie mindestens einen Meter Abstand zu Frau Neskovaja. Und kein Händeschütteln. Moment, Sie brauchen noch das hier.“

      Er öffnet ein Wandregal, entnimmt ein langes, seidiges Hemd mit der Schließleiste und Bändern auf dem Rücken, hilft mir beim Überstreifen. Anschließend reißt er eine kleine Plastikpackung auf.

      „Diesen Mundschutz tragen Sie bitte die ganze Zeit über Ihrem Mund.“

      „Sitzt die gut so?“

      Der Stoff juckt etwas unter der Nase.

      Mit einem prüfenden Blick vergewissert der jungen Mann sich vom richtigen Sitz des Mundschutzes, nickt und klopft an die Zimmertür.

      *

      Okay, keine Betroffenheit heucheln. Wohlmeinende Freundlichkeit ist angesagt.

      Frau Neskovaja steht am Fenster, blickt erwartungsvoll zur Tür.

      Ihr Aussehen ist einen angenehme Überraschung. Sie trägt eine schimmernde, königsblaue, mit silbern glitzernden Fäden durchwirkte Bekleidung, die mit den eng schließenden Bünden um den Hals sowie um die Fuß- und Handgelenke an einen Trainingsanzug erinnert. Die gefleckt braunen und blonden Haare sind ähnlich kurz und struppig wie damals, als ich sie in der Nordwest-Orthopädie traf. Ein freundliches, frisches Gesicht mit deutlichen Wangenknochen, einer Stupsnase und einem herzförmigen Mund.

      „Guten Tag, Frau Dr. Neskovaja. Ich bin Robert Berkamp. Danke, dass wir miteinander sprechen können.“

      Durch den Mundschutz klingt meine Stimme für mich etwas muffig.

      „Schön. Guten Tag. Gibt es keinen Stuhl hier. Können Se das Yoga-Kissen dort nehmen zwischen die Beine zum Draufsitzen. Ich muss viel gehen und stehen, viel bewegen; ist gut für die Heilung.“

      Sie macht mit der linken Hand eine scheue, wischende Bewegung unterhalb ihres Gürtelbundes.

      Der Raum erinnert an ein einfach, aber hochwertig gestaltetes Hotelzimmer. Kein typisches Krankenzimmer. Eine schmale Tür gleich rechts hinter dem Eingang führt wahrscheinlich zu einem Toilettenraum. Die Wände, Vorhänge sowie die Bezüge der wenigen Ausstattungsteile sind – ausgesprochen geschmackvoll – in Farben von hellem und sattem Grün über Türkis und Hellblau bis zu dunkelblauen Vorhängen gehalten. Rechts steht eine breite, holzgerahmte Schlafgelegenheit, die mit ihrer ebenen Liegefläche an einen Futon erinnert, der von Knie hohen Pfosten getragen wird.

      Frau Neskovaja nickt, während ich mich umschaue.

      „Ist etwas ungewöhnlich hier. Bitte, Se können sich