Hermine Stampa-Rabe

"Take Care!"


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umfahren, bis ich wieder auf meine (11) kam, die bald über einen hohen Paß der Blue Ridge ging. Die Teerstraße glühte fast von der brennenden Sonne. Und irgendwann kam ich nach allerlei Serpentinen oben an und genoß den herrlichen Ausblick auf Wald und Feld unter mir.

      Ein amerikanisches älteres Ehepaar kam in seinem Auto von der südlichen Seite hier oben an, sah mich und kam langsam zu mir gefahren. Die Frau stieg aus und unterhielt sich mit mir sehr freundlich und interessiert. Für sie war es ein seltenes Erlebnis, von meiner großen Expedition zu hören. Der Ehemann stellte aus dem geöffneten Auto auch interessiert einige Fragen. Aber ihn konnte ich nicht verstehen. Nach längerer Zeit verabschiedeten sich beide, wünschten mir „take care und fuhren weiter nach Pulaski, wo sie wohnten.

      Eine rasante Abfahrt schloß sich für mich an. Aufeinmal war ich mit der (11) auf der Interstate - sprich: Autobahn - gelandet und radelte auf dem breiten Standstreifen, der als (11) ausgewiesen worden war. Hierauf fuhr ich ca. 20 km, bis ein großes Schild vor mir rechts erschien, auf dem stand, daß hier der Blue Ridge Parkway endete. Dazu hielt ich natürlich an und nahm es mit meiner Kamera auf.

      Plötzlich hielt vor mir ein Polizeiauto mit laufendem Blaulicht. Mir fuhr ein heiliger Schreck durch die Glieder. Schnell ging ich mein Sündenregister in Gedanken durch und fand nichts, was sein Erscheinen gerechtfertigt hätte. Der Sheriff stieg aus seinem Auto und kam freundlich aber bestimmt auf mich zu.

      „Guten Tag. Wo kommen sie her?“

      „Aus Deutschland.“

      „Aus Deutschland? Und wo wollen sie hin?“

      „Ich bin in Yorktown am Atlantik gestartet und möchte die Vereinigten Staaten bis nach Florence am Pazifik in Oregon durchqueren.“ „Ich meine, wo sie heute hinwollen.“

      „Nach Marion.“

      „Sind sie ganz allein unterwegs?“

      „Nein, mit einer Gruppe.“

      „Und wo sind ihre Freunde?“

      „Ich habe mich von ihnen getrennt, weil ich morgen vormittag bis kurz vor 11.00 Uhr in Damaskus beim Postamt ankommen muß, um meine ganze dort auf mich wartende Post abzuholen. Denn morgen ist Sonnabend und am Sonntag fahren wir weiter.“

      „Sie fahren auf der Interstate. Das ist verboten.“

      „Dieser sehr breite Seitenstreifen war nach der großen Kreuzung als (11) ausgewiesen worden. Deshalb fahre ich darauf.“

      „Das ist aber zu gefährlich für sie. Die vielen Trucks könnten sie ausversehen in ihrem Sog mit sich reißen und sie überfahren. Deshalb müssen sie bei der zweiten Abfahrt rechts abbiegen und auf der dane-ben befindlichen und für sie viel sicheren Straße nach Marion weiterra-deln.“

      „Ja, das werde ich machen.“

      Er stieg wieder in sein Dienstfahrzeug, ließ mich vorradeln und fuhr zu meinem Schutz in meinem Tempo mit routierenden Blaulichtern hinter mir her. Als meine Ausfahrt erschien, fuhr er vor, um mir mit seinem Auto zu zeigen, wie ich auf die neue schmale Straße kommen konnte. Dort blieb er stehen, stieg aus und legte mir nochmal ans Herz: „Bitte, fahren sie nie wieder auf einer Interstate. Ich meine es gut mit ihnen und mache mir große Sorgen um ihre Sicherheit.“

      „Das verspreche ich Ihnen. Vielen Dank, daß sie mir mein Leben gesichert haben.“

      Dann fuhr er beruhigt davon.

      Ein Autofahrer in einem kleinen Lastwagen hatte wohl alles mitbekommen, hielt links neben mir und fragte mich lächelnd:

      „Darf ich sie und ihr Fahrrad nach Marion mitnehmen?“

      Ich schaute ihn an. Sein freundliches, hilfsbereites und liebenswürdiges Gesicht flößte mir Vertrauen ein. Aber trotzdem wagte ich es nicht, mich ihm anzuvertrauen. So dankte ich ihm ebenso freundlich und sagte:

      „Vielen Dank für ihr liebenswürdiges Angebot. Aber meine Tour möchte ich gern vollständig auf meinem Fahrrad beenden.“

      Er blickte mich sehr enttäuscht an, rief „take care“, winkte und gab Gas.

      Bei einem Souvenir-Geschäft trank ich nacheinander einen ganzen Liter kalten Wassers. Ich kam mir innen wie völlig ausgetrocknet vor. Bald danach setzte ich mich in den Schatten einer großen Tankstelle und aß meine zwei großen Apfelsinen, eine Banane und einen halben großen Apfel auf. Glücklich gesättigt radelte ich weiter nach Wythe-ville, wo unsere Gruppe heute übernachten sollte.

      Als ich durch Wythville fuhr (immer hoch und runter, wie sich das hier so gehörte), rief plötzlich jemand:

      „Hermine!“

      Zuerst fühlte ich mich nicht angesprochen; denn wer sollte mich hier schon kennen? Aber beim dritten Mal wandte ich mich der Stimme zu, um zu sehen, wer das wohl sein mochte. Sarah war es.

      „Was für ein Glück, daß ich dich doch noch getroffen habe. Hier habe ich dein neues Zelt.“

      Sarah war eine sehr starke Fahrradfahrerin. Auf dem Umweg, der für die Gruppe vorgeschrieben war, hatte sie solch ein Tempo vorgelegt, daß sie mich hier noch abfangen konnte.

      „Das ist aber sehr nett von dir, Sarah. Vielen Dank. Nun möchte ich mich nicht länger in diesem Ort aufhalten und fahre weiter Richtung Marion.“

      „Take care!“

      Die bergige Landschaft änderte sich nicht. Im Gegenteil: riesige Berg- und Talfahrten waren von mir zu bewältigen. Deshalb konnte ich nicht so schnell fahren.

      Rechterhand sah ich auf der Auffahrt zu einem Gehöft ein Polizeiauto mit laufendem Blaulicht stehen. Daneben stand eine Polizistin, die mich beobachtete, mir zuwinkte, als ich an ihr vorbeifuhr und das Blaulicht wieder löschte.

      „Aha", ging es mir so durch den Kopf, „die Polizei paßt auf, daß mir nichts passiert.“

      Langsam senkte sich die Sonne dem Zenit zu. Kurz bevor ich in Marion ankam, verschwand sie hinter dem großen Bergrücken zu meiner rechten Hand.

      Auf dieser Seite stand wieder ein Polizeiauto mit laufendem Blaulicht und einem Polizisten, der wohl meine Ankunft hier in Marion bestätigen sollte.

      „Vielen Dank, liebe Polizei“, ging es mir durch den Kopf. Ich war gerührt. Als ich an ihm winkend vorbeiradelte, löschte auch er das Blaulicht und fuhr davon.

      Um 20.30 Uhr erreichte ich ein Motel in Marion, ging aber zuerst ins benachbarte Hotel, um noch etwas Gutes zum Abendessen zu bekommen. Hier feierte ich ganz allein meine ersten 1.000 gefahrenen Kilometer. Hintereinander trank ich einen ganzen Liter eisgekühlten Sprites aus. Das nette junge Mädchen, das mich bediente, bekam richtig runde, erstaunte Augen. Während ich mein bestelltes gutes Abendessen genoß, packte sie für mich mein Frühstück, das ich mir zusammenstellen durfte, in einen Karton. Dieses war sogar im Preis meines Motelzimmers enthalten. Glücklich und satt schob ich nun mein Rad mit all den schönen Sachen dorthin.

      Splitternackt saß ich aufgrund der brutigen Hitze in meinem Zimmer auf dem Bett und schrieb. Den Kaltluft-Ventilator wollte ich nicht anstellen. Die Wärme war mir lieber. Außerdem machte der Ventilator störende Geräusche für die Nacht.

      Die Stadt der Appalachen-Wanderer

      13. Tag: Marion - Damascus (74 km) 1.149 km

      Um 4.00 Uhr klingelte der Wecker. Um 5.00 Uhr verließ ich das Motel bei Dunkelheit und Beleuchtung an meinem Fahrrad. Nur hin und wieder kam mir ein Auto entgegen, oder es überholte mich eins. Bei der siebenten Ampel bog ich, wie mir gesagt wurde, links auf die (16). Zuerst freute ich mich, daß ich diese Strecke gewählt hatte; denn diese Straße führte auf meiner Landkarte zwischen den Bergen ziemlich flach dahin. Aber das währte nicht ewig. Dann ging es wie gehabt bergauf, bergab, bergauf, bergab, endlos!

      Oben