Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


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mich wählte, stünde dieses in einem Buchladen vor mir im Regal. Doch zog ich das Lesen der Langeweile vor. Seite für Seite arbeitete ich mich durch. Nun stellte ich unumstößlich fest, von diesem Werk angeödet zu sein. Glücklicherweise für den Autor waren Geschmäcker verschieden. In mir hatte er zweifelsfrei keinen neuen Fan gefunden.

      Der Sessel war jedoch klasse. Zuvor hatte ich nie in ihm gesessen. Es war einer von Sarahs Plätzen. Ab und zu hüpfte auch Aveline drauf herum. Ich bevorzugte immer unser großes Sofa.

      Dort konnte ich mich der Länge nach hinlegen, den Fernseher direkt vor mir. Dass wir ihn anmachten, war eine Rarität. Unsere kostbare, gemeinsame Freizeit brachten wir eher im Freien zu. Wir konnten definitiv als unternehmungslustige, naturliebende und aktive Familie bezeichnet werden. Ein Wochenende ohne eine gehörige Portion Frischluft? Undenkbar. Eine Ausnahme der Regel gab es lediglich, wenn wir arbeiten mussten. Unsere Kleine durfte dann bei den Großeltern nächtigen. Wie wohl jedes Kind, genoss sie das Verwöhnprogramm dort in vollsten Zügen. Sie hatte bei Mary und Hubert nahezu Narrenfreiheit besessen, da die zwei älteren Herrschaften unsere kleine Prinzessin vergötterten. Bei Erkundigungen was sie die Tage bei Sarahs Eltern getrieben hat, lautete die Antwort stets:

      „Nix besonderes Daddy!“

      Dann drehte sie sich zu ihrem Opa um und zwinkerte ihm verheißungsvoll zu. Obwohl mir der Roman fade vorkam, las ich ihn bis kurz vor drei. Für mich war es ein Buch für Frauen. Ich ließ es neben mich auf das Beistelltischchen fallen und drückte mich hoch. Im Laufschritt sprintete ich die Treppen hinauf, der Arzt würde in wenigen Augenblicken hier sein, da wollte ich Sarah zuvor wecken. Wer mochte es schließlich schon von einem Fremden aus dem Schlaf gerissen zu werden? Mit ruhiger Stimme, die Hand an ihrem Oberarm versuchte ich sie dazu zu bringen die Augen zu öffnen. Tatsächlich klappte dies schnell und problemlos. Bis es kurz später an der Tür klingelte, blieb ich noch bei ihr sitzen. Ich begrüßte Dr. Evert, der anfänglich mit mir alleine sprechen wollte. Um es weniger steif zu halten, machte ich uns beiden einen Kaffee.

      Mit den zwei Tassen setzten wir uns dann auf die Couch. „Also Mr. Keben, bitte erzählen Sie mir, was....“

      „Bitte nennen Sie mich Max.“

      „Ok, Max. Wie geht es ihrer Frau?“

      „Vor eineinhalb Wochen verunglückte unsere kleine Tochter bei einem Ausflug mit ihrer Freundin tödlich. Seitdem spricht meine Frau nicht mehr. Weder mit mir, noch mit irgendwem anders. Essen und trinken tut sie auch nur leidlich. Meistens ist sie zusammengekauert im Bett anzutreffen. Vor drei Tagen hatte sie sich sogar für einen längeren Zeitraum eingeschlossen.“

      „Max, erst einmal mein herzliches Beileid zu ihrem Verlust. Wenn man einen geliebten Menschen verliert, geht ein jeder anders mit der Trauer um. Ihre Frau, scheint ihrem Schmerz auf diesem Wege Ausdruck zu verleihen. Aktuell, wo dieses schlimme Ereignis so frisch ist, empfinde ich es nicht als außergewöhnlich, wie sich ihre Frau verhält.“

      „Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Es ist merkwürdig mit jemandem zu reden, der einem keine Antworten gibt. Meine Frau ist aktuell ein Schatten ihres alten Ich´s. Wie lange will sie noch stumm bleiben? Ich meine, das kann doch nicht ewig so laufen.“

      „Ihr Empfinden ist nachvollziehbar. Geben Sie ihr Zeit. Sein sie für sie da, drängen sie sie zu nichts. Trauer ist ein langwieriger Prozess, der wie ich überzeugt bin, sich über Wochen und Monate hinzieht, speziell wenn man das eigene Kind verloren hat. Eine Patentlösung gibt es dort nicht. Jeder Mensch ist individuell, wie sein Umgang mit dem Schmerz.“

      „Ich wünschte, es wäre leichter. Auch ich leide. Die Kraft, welche man aufbringen muss, sich um einen Menschen nebst der eigenen Qual zu kümmern ist enorm! Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalten kann. Bald müssen wir wieder arbeiten, das Haus zahlt sich schließlich nicht alleine, doch dass meine Frau für ihre Firma zeitnah wieder verfügbar ist, kann ich kaum glauben.“

      „Wie bereits erwähnt, ist Geduld hier ein weiser Wegbegleiter. Sollte sich nach Monaten der aktuelle Stand unverändert zeigen, würde ich eine Therapie zur Trauerbewältigung vorschlagen. Es gibt Einzelgespräche ebenso wie Paarsitzungen. Eine weitere Option, die unterstützend wirken könnte, wäre der Besuch von Selbsthilfegruppen. Dort treffen sich ebenso betroffene Eltern, die sich austauschen. Was auch immer sie präferieren, scheuen sie nicht, sich Hilfe einzufordern“, entgegnete Dr. Evert, mit sanftmütiger Miene.

      „So! Dann wollen wir uns mal die Patientin ansehen.“

      Im gleichen Atemzuge schnellte er regelrecht enthusiastisch vom Polstermöbel hoch. Ich brauchte etwas, bis ich verstand, dass der Arzt jetzt zu meiner Frau wollte, setzte mich dann aber zügig in Bewegung. In Begleitung des Doktors begab ich mich zu Sarah ins Schlafzimmer. Sie schien sich nicht vom Fleck gerührt zu haben.

      „Guten Tag, Sarah. Ich bin Doktor Evert. Wie geht es Ihnen? Ihr Mann und ich haben bereits ein wenig miteinander gesprochen. Mein aufrichtiges Beileid zu ihrem Verlust.“ Geduldig, so als hätte er alle Zeit der Welt, setzte er sich entspannt auf den Nachtschrank, der meinerseits des Bettes stand.

      „Würden Sie...?“ Er starrte mir erwartungsvoll ins Gesicht.

      „Max! Würden Sie uns einen Moment geben?“

      „Oh ja. Natürlich. Schatz, ich bin kurz draußen auf der Terrasse.“

      Die Tür hinter mir schließend, entfuhr mir ein ausgedehnter Seufzer. Durchatmen würde mir guttun. Ein Aufenthalt im Freien entspannte mich in der Regel, mein Kopf schaffte dieses Mal jedoch nicht einen klaren Schnitt unter die mich umtreibenden Gedanken zu setzen. Was der sich wohl erhoffte? Meine Frau sprach nicht. Konstruktive Konversation würde es wohl nicht geben. Vielleicht klärte er sie über existente Hilfsangebote auf. Das wäre gut. Es könnte ihr ja potentiell eines davon zusagen. Sie sollte alle Unterstützung erhalten, die sie benötigte. Hauptsache der Klang ihrer Stimme ertönte bald wieder in unserem Haus. Die Stille machte einen krank. Eine Ewigkeit verbrachte ich, mir den Windhauch durch die Haare streichen lassend. Meinen Blick in die fernen Berge gerichtet, war es Dr. Evert, mit seiner Arzttasche in der Hand, der mich aus meinem Gedankenstrom riss.

      „Sie haben eine starke Frau an ihrer Seite, Max. Kommunikation ist ein Grundbedürfnis, das in jeglicher Weise stattfindet. Auch wenn Sie sich verlassen wägen, befinden Sie sich in steter Interaktion miteinander. Ihre Frau spricht mit Ihnen, wenn auch nicht verbal. Melden Sie sich bei Bedarf, in Ordnung? Auf Wiedersehen“, sagte er, mir mit der linken Hand die Schulter tätschelnd. Ich verabschiedete mich ebenfalls, sprach meinen Dank aus, ihn zur Tür begleiten wollend, doch er winkte ab.

      Was ich von seiner Stippvisite halten sollte, wusste ich nicht recht. Erhofft hatte ich mir eine Universallösung, etwas schnell Wirksames. Eine Wunderpille vielleicht. Geduld war eines der Dinge, die mir schwerfielen.

      Kaum auszumalen, wie es wäre, würde meine Frau weiterhin über Wochen oder gar Monate stimmlos ausharren. Das vermochte ich mir in den kühnsten Vorstellungen nicht ausmalen. Es war ungerecht. Keine Handhabe zu besitzen, die einen voranbringt. Dass unsere Tochter gehen musste. Die Bürde all dessen auf meinen Schultern. Positive Aspekte meines Daseins fand ich aktuell genau Null. Mein eigenes Leben zu meistern war im Status quo kompliziert genug, ein Zweites parallel am Laufen zu halten schierer Wahnsinn. Ich würde Hilfe jeglicher Art gebrauchen, sollten meine Stoßgebete gen Himmel ungehört verhallen. Auf dem Spiel stand alles, was mir von existentieller Bedeutung war, alles was meinem Sein hier Sinnhaftigkeit verlieh. Und es war klar, dass ich diesen Kampf nicht ungekämpft lassen würde.

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