Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


Скачать книгу

Für Aveline können wir nicht mehr viel tun, außer sie in unserer Erinnerung sowie unseren Herzen behalten. Sarah lebt noch, sie ist es, der wir unsere Energie widmen müssen!“

      Ihr Gefasel zog mich sogleich wieder runter. Diese dauerhaft präsente Negativität ließ mich nicht mehr los.

      „Hmm“, brummte ich. Klar, Recht hatte sie. Eine Sarah war aber nicht da. Aus den Rippen schnitzen konnte ich mir ebenfalls keine. Was also tun? Um nicht zu zerbrechen, war die Verdrängung der derzeit schnellste und effektivste Weg.

      „Ich schlage vor, wir legen uns schlafen. Eventuell bekommen wir ja zwei, drei Stunden gegönnt. Beten wir, dass wir sie morgen gesund wieder in die Arme nehmen können.“ Damit machte sie auf dem Absatz kehrt. Sie schloss die Tür zum Schlafzimmer hinter sich. Ein wenig Müdigkeit ergriff mich. Im Wohnzimmer schnappte ich mir die Flasche Absolut. Dann stapfte ich treppauf, direkt in Aveline ihr Kinderzimmer, von dem jetzt eine gewisse Anziehungskraft ausging. Ich schaute mir die selbstgemalten Bilder, die ihre Wände zierten an. Sie zeigten Schmetterlinge, Blumen, Herzen, uns als Familie im Garten spielend. Es waren bunte, fröhlich anmutende Zeichnungen. Ein typisches Mädchenzimmer. Abends hatten wir stets zusammen gelegen. Ich erfand dann Geschichten über Prinz Maximus, wie er die Königin von Allerwelt kennenlernte und sie letzten Endes heirateten. Sie bildeten ein unschlagbares Team, welches furchtlos sämtliche Abenteuer bestritt. In ihrer grenzenlosen Liebe ersehnten sie sich nichts mehr als ein Kind. Jahre gingen ins Land vor dessen Erfüllung. Doch als es dann so weit war, ergriff eine all umfassende Freude die werdenden Eltern und ihr Volk. Sie wurden mit einer wundervollen Tochter gesegnet, welcher sie den Namen Prinzessin Aveline von Allerwelt gaben. Es war offensichtlich, dass es um unsere Familie ging. Ich verpackte es lediglich in eine Art zauberhaftes Märchen. Jeden Abend hing sie gespannt an meinen Lippen. Im Gegenzug genoss ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Im Bett aufgereiht saßen ihre Puppen und Plüschtiere. Ich schnappte mir Miss Hummel. Ihr Favorit unter den vielen, die sie besaß. Sie schleppte sie überall mit, erzählte ihr Geschichten, schlief mit ihr ein. Zwischen ihnen bestand eine Beziehung, die Freundschaftswert hatte. Für einen Augenblick hielt ich es mir direkt unter die Nase. Ich atmete tief ein. Der Duft von Ave haftete noch daran. Diesen unverwechselbaren Geruch wollte ich vollkommen in mich aufnehmen. Vor meinem inneren Auge war es so, als stünde sie vor mir. Eine schöne Vorstellung. Den Wodka stellte ich neben mir auf das Fensterbrett, während ich mit Miss Hummel im Arm Platz auf Avelines Bett nahm. Erinnerungen schossen mir wie vorbeiziehende Kometen am Himmel durchs Bewusstsein. Meist in den unerwarteten Momenten. Ich sträubte mich nicht dagegen. Im Gegenteil. Sie waren mir willkommen. Durch diese Fetzen der Vergangenheit fühlte ich mich ihr näher. Davon konnte ich nicht genug bekommen. Mein erschöpfter Körper kuschelte sich in die Stofftiermenge, die Biene fest an sich gedrückt.

      Ein leichter Rausch trug mich ein Weilchen später dann in den Schlaf. In meinen Träumen war die Welt noch in Ordnung. Gesund und lebendig streiften wir, lachend durch die naheliegende Landschaft. Die Sonne wärmte uns, während sie vom azurblauen Himmel herab lächelte. Kleine Passagen vergangener, glücklicherer Tage. „Daddy, komm mich suchen!“, sagte mir mein Spätzchen strahlend, mitten im Satz schon fortlaufend.

      „Und was ist, wenn ich dich nicht finde?“

      „Tja, dann bleib ich ewig verschollen.“, schrie sie. Mittlerweile schon außer Sichtweite. Um ihr die Zeit für das Finden des idealen Unterschlupfs zu geben, zählte ich bedacht langsam von zwanzig an rückwärts.

      „Ich komme!“ Achtsam arbeitete ich mich vor. Im Wohnzimmer beginnend, ging es hinüber in die Küche, von der aus ich einen Abstecher ins Bad unternahm. Von Ave keine Spur.

      „Piep!“

      „Spätzchen, gib deinem Paps etwas Zeit dich zu entdecken.“

      „Streng dich an! Beeilung Daddy!“ Das Untergeschoss konnte ich nun abhaken. Die Stimme kam eindeutig aus dem Obergeschoss.

      „Gleich hab ich dich. Irgendwo hier bist du. Das weiß ich!“

      Wie ein Geheimagent bewegte ich mich nun. Vorsichtig lugte ich um die Ecken, probierte geräuschlos zu gehen aus. Raum für Raum inspizierte ich geflissentlich. Unser Schlafzimmer? Fehlanzeige. Das Büro? Keine Aveline. Der Gästeraum? Nein. Eventuell war sie in der Badewanne im Bad? Erneut daneben. Obwohl sie sich zuvor zu erkennen gab, hatte ich leichte Probleme sie aufzufinden.

      „Wo ist wohl mein kleiner Engel? Wie traurig, dann muss ich ja das ganze Vanilleeis mit Streuseln allein verdrücken!“, sagte ich extra laut.

      „Piiiiiiieeeeeeeeeeep!“

      „Was war das? Haben wir hier ein Vögelchen im Haus? Dann wollen wir es schnell wieder fliegen lassen!“

      „Piep!“ Sie hatte ihr Zimmer als Versteck gewählt. Clever. Ich stand mitten in ihrem Kinderzimmer. Zuerst riss ich die Bettdecke zurück. Im Anschluss schaute ich unter das Bett.

      „Ave, Engelchen wo steckst du?“

      Die Stirn runzelnd blickte ich mich fragend um. Der Wandschrank war noch eine Option. Allerdings starrten mir beim Öffnen lauter Pullis und Kleider entgegen. Ratlos blieb ich stehen.

      „Buh!“, schallte es ganz unerwartet in mein Ohr. Mein Herz holperte einmal kurz.

      „Oh, zum Himmel! Ave!“, erwiderte ich schwer atmend, völlig in die falsche Richtung gedreht. Meine Vermutung sie hinter mir zu haben war falsch. Über dem Wandschrank, war eingelassen in der Wand, ein weiteres großes Staufach. Hier hockte sie und grinste mir frech ins Gesicht. Ihre Haare baumelten an den Seiten ihres Kopfes nach unten. „Wie bist du da hochgekommen?“

      „Das ist babyleicht! Schau!“ Im selben Atemzug schmiss sie mir eine Strickleiter herunter.

      „Engelchen, sag wer hat das da befestigt?“

      „Ein großes, rundes Heinzelmännchen!“, antwortete sie, über ihren eigenen Witz lachend.

      „Im Ernst. Wer?“

      „Opa. Ich wollte schon immer eine Höhle! Er hat sie mir gebaut. Willst du´s mal sehen?“ Meine Hände griffen sich den Stuhl von ihrem Schreibtisch und platzierten ihn unter ihrem Geheimversteck. Ich staunte nicht schlecht, was meine Tochter dort fabriziert hatte, in verschwörerischer Kumpanenschaft mit ihrem Großvater. Zugeben musste ich jedoch, dass es mir als Kind riesig gefallen hätte, sowas zu haben. Ein filigraner Stoff in zart rose´ mit winzigen LED´s wandelte die Wand des Stauraumes in eine Art Palast aus tausendundeiner Nacht. Der Boden war mit bunten Kissen ausgelegt. Links in der Ecke stand ein Regal mit Büchern. Und wie sollte es anders sein, hingen auch hier ihre künstlerischen Ergüsse. Ich freute mich für sie. Ihre Begeisterung in Besitz dieses Ortes gekommen zu sein, konnte ich nachvollziehen. Um es mit einem Wort zu beschreiben: Kinderparadies. Nach der Prüfung des festen Sitzes der Strickleiter dann, konnte ich endgültig zufrieden sein. Ave hatte sich während meiner Überprüfung, der Länge nach hingelegt, mit ihrem Gesicht mir zugewandt. Sie strahlte überglücklich.

      „Das ist mein Prinzessinnengemach, sagt Grandpa. Ich liebe es ungemein!“

      „Und ich liebe dich“

      Unsere Nasen stupsten sich an, während der Traum ähnlich wie die Nebelschwaden im Frühling sich langsam verzerrte.

      3. Kapitel

      Die Sonne war bereits aufgegangen, als ich in dem Bett meiner Tochter wach wurde. Mein Gedächtnis arbeitete auf Hochtouren, in der Bemühung, alle Einzelheiten exakt zusammen zu setzen. Diese Illusion, das Erlebte- irrelevant, dass dies nur Schall und Rauch ist, stimmte mich fröhlich. Im wachen Zustand musste ich mich jetzt vorrangig um Sarah kümmern. Wir mussten sie finden. Koste es, was es wolle! Entschlossen mit der Suche weiterzumachen, begab ich mich bis zu unserer Schlafzimmertür. Ich klopfte dreimal in kurzen Abständen an.

      „Mary? Guten Morgen. Könnte ich kurz rein kommen?“, erkundigte ich mich vorsichtshalber. Meine Schwiegermutter bei irgendwas zu überraschen, wollte ich somit vermeiden. Keinen Wimpernschlag dauerte es, bis die Antwort kam. Die Tür öffnete sich schwungvoll.

      „Guten