Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


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Deine Klamotten hast du mindestens schon drei volle Tage an.“ Von ihr kam keine Reaktion.

      „Hey! Ich rede mit dir.“

      Selbst ein Schütteln an der Schulter brachte nichts. In meiner Not packte ich sie mit beiden Händen an den Armen. Sie musste aus dieser Dauerschleife der Lethargie heraus. Ich hatte geredet, ich habe gefleht, sogar total in Ruhe gelassen habe ich sie. Mehr als sieben Tage lang mittlerweile. Alles hatte keinen Erfolg. So unangenehm es mir auch war, wählte ich diesen etwas rabiateren Weg mir Gehör bei ihr zu verschaffen. Mit Druck schob ich sie ins Bad.

      „Dusch dich!“, befahl ich möglichst sanft, doch mit gewissem Nachdruck und schloss die Tür hinter mir beim Hinausgehen. Zurück im Schlafzimmer riss ich die Vorhänge auf. Ich öffnete die Fenster, damit der Raum Frische erhielt. Das sie es überhaupt in dem Mief aushielt! Wir waren stets unterwegs in der Natur. Wir liebten die klare Luft draußen. Langsam begann ich über zu räumen. Von unten besorgte ich mir einen Sack. Die Flaschen und Taschentücher sammelte ich beharrlich auf. Die Klamotten warf ich direkt in die Wäschetonne, ebenso wie das Bettzeug, welches ich wechselte. Gegen Ende wischte ich die Nachtschränke neben dem Bett über, welche ringförmige Abdrücke von den Weinflaschen hatten. Beinahe am Ende des Reinemachens schaute ich in deren Schubladen. Sicher hatte Sarah hier ebenfalls benutzte Taschentücher reingestopft. Stattdessen fand ich etwas, was mich noch wütender machte, als ich es eh schon war. Wutentbrannt stürmte ich ins Bad. Ich spürte meine Halsschlagader pulsieren. Schon auf dem Weg schrie ich ihr entgegen.

      „Sarah!“

      Die Tür riss ich auf. Dann packte ich sie am Arm. Ich drehte sie zu mir um. Meinen Ärger schrie ich ihr ins Gesicht.

      „Was ist das?“, verlangte ich lauthals zu wissen. Ich schleuderte ihr die leeren Pillenblister entgegen.

      „Antworte mir! Ich will, dass du mir sagst, was das soll! Bist du jetzt völlig durchgeknallt?“ Je mehr sie schwieg, desto wütender wurde ich. Sie an beiden Schultern greifend, schüttelte ich sie. Ich rüttelte, in Hoffnung auf irgendeine Reaktion.

      „Wolltest du dich etwa umbringen? Mich alleine lassen mit all der Scheiße? Ich trauere auch. Weißt du, wer die letzten Tage für mich da war? Lenny! Gebraucht hätte ich dich! Ave hätte dich gebraucht! Zur Hölle du bist ihre Mutter und warst nicht mal auf der Beerdigung! Sie war dein Baby, dein kleines Mädchen? Was ist bloß los mit dir?“

      Wie sie vor mir stand, absolut unbewegt, keinerlei Erwiderung zeigend, trieb mich zur Weißglut. Mein Zorn suchte sich einen Weg. Er brach sich Bahn in einem Schrei und mit dem Ergebnis eines zerbrochenen Badspiegels. Dann, als ich es schon gar nicht mehr erwartet hatte, fing sie an, bitterlich zu weinen. Und so merkwürdig es klingen mag, war dies seit einer Woche der glücklichste Moment, den ich erlebte. Ignoriert zu werden tat mir im Herzen weh. Es gab einem das Gefühl nur Luft zu sein. Nach einer Vielzahl unterschiedlichster Anläufe eine Rückmeldung zu empfangen, breitete sich die Verzweiflung mit jedem misslungenem Versuch weiter aus. Eine Reaktion des Gegenübers nach einer Aktion der eigenen Person bedeutete, wahrgenommen zu werden, es ließ erkennen mit dem Anderen in Kontakt zu sein. Das vermisste ich. Menschliche Bindung und Zuneigung von dem Menschen, den ich liebe. Eine Verbindung zu Sarah schien hergestellt. Zögerlich machte ich mich daran, mich ihr zu nähern. Die zarten Bande des Anfangs wollte ich nicht gleich wieder einreißen. Diese Unsicherheit, welche derzeit viel Raum zwischen uns einnahm, bewirkte eine Handlungsunfähigkeit im Umgang miteinander, die eine normale Beziehung schwierig machte. Mir tat leid, sie mit meinem Wutausbruch erschrocken zu haben. Ich konnte sie zudem nicht weinen sehen. Sanft nahm ich sie in meine Arme. Die Umarmung erfolgte zwar nur von meiner Seite aus, doch diese Tatsache war mir gleich. Sie hatte auf mich reagiert. Einzig das zählte. Den Gedanken, dass sie nach wie vor die Dusche ausließ, verdrängte mein Kopf.

      „Ich möchte, dass du weißt, es war nicht meine Absicht dir wehzutun, genauso wenig wie dich zu erschrecken. Du kannst dich frisch machen, wenn du willst. Während ich auf dich warte, räume ich den Rest des Schlafzimmers über. Ok?“ Ein gezwungen wirkendes Lächeln huschte über meine Lippen. Ohne weitere Signale ihrerseits begab ich mich zurück. Die Ausrede, ich hätte in unserem Zimmer was zu tun, sollte ihr ein wenig Raum geben für sie alleine. Auf der Bettkante sitzend, schaute ich zum Fenster und wartete. Die Uhr behielt ich akribisch im Blick. Eine kurze Zeitspanne konnte quälend lang erscheinen. Gerade in Dauerwarteschleifen, wie meine Wenigkeit sie diese Tage erfuhr.

      „Hallo? Max? Sarah?“, schrie eine Stimme von unten herauf. „Wo seid ihr? Ich hab euch Essen in Tupperdosen mitgebracht. Wir können gerne zusammen zu Abendbrot essen, sofern ihr zwei Lust dazu habt.“

      „Mary! Hey.“, entgegnete ich ihr, die Treppe hinunter gehend. Sie musste den Ersatzschlüssel unter dem großen Stein im Vorgarten genommen haben, um sich Zutritt zu verschaffen. Wenige Worte fielen mir ein. Die Kargheit der Kommunikation, entsprang der schlimmen Phase, die wir durchstehen mussten. Sie traf aber auf Verständnis. Manchmal bedarf es keiner Worte. Ein Schweigen, oder eine Geste, zusammen in der Traurigkeit vereint, drückte da mehr aus, als es durch große Reden möglich wäre. In unserem Fall eine länger ausfallende Umarmung, woraufhin ich meine lädierte Hand schnell in der Hosentasche vergrub.

      „Nacht gut überstanden?“

      „Hab geschlafen wie ein Stein.“

      „Mir ging es ebenso, nachdem ich mich an deiner Alkoholfahne berauscht hatte“, lachte sie verschmitzt.

      „Ich würde gerne Sarah sehen. Ihr Verhalten lässt mich in steter Sorge. Hast du sie inzwischen zu Gesicht bekommen? Sie macht sich rarer als Schnee im Sommer!“

      „Sie ist im Bad. Hoffentlich duscht oder wäscht sie sich auch. Aktionismus scheint bei ihr in den letzten Tagen nicht so hoch im Kurs zu stehen. Vor circa fünf Minuten ließ ich sie allein, vernommen habe ich aktuell noch nichts, was sich nach Wasser anhört.“

      „Dürfte ich hoch? Ich könnte nachschauen. Vielleicht reagiert sie ja auf mich.“

      Den Badspiegel! Ich hatte es ganz vergessen! Mary war bereits halb die Treppen herauf gestiegen.

      „He! Wundere dich nicht über den kaputten Spiegel, es gab vorhin einen kleinen Wutanfall meinerseits, er ist dabei in Mitleidenschaft gezogen worden.“

      Sollte ich mit gehen oder doch unten verweilen? Unentschlossen wippte ich auf meinen Beinen vor und zurück.

      „Hattest du nicht gesagt sie wäre im Bad?“, tönte es kurz darauf von der ersten Etage herab. In großen Schritten, zwei Stufen gleichzeitig überspringend, folgte ich meiner Schwiegermutter ins Obergeschoss.

      „Sicher ist sie erneut magisch von ihrem Lieblingsort, dem Bett angezogen worden. Lass uns im Schlafzimmer nachsehen.“

      Zu meiner Verwunderung fanden wir sie dort nicht.

      „Sarah? Mein Liebling, wo bist du?“, rief Mary.

      „Sarah! Ich bin es, Mum!“

      Mit Falten in der Stirn, schritt sie suchend durch sämtliche Räume.

      „Sarah! Antworte doch bitte!“

      Ihr Tempo beschleunigte sich mit jedem Raum, in dem sie ihre Tochter nicht vorfand. „Sarah!“

      „Sie wird dir nicht antworten! Du kannst deine Rufe einstellen!“

      „Wo ist sie?“

      „Ich hatte sie ins Bad gebracht, hab ich doch gesagt.“

      „Da ist sie aber nicht!“

      „Sie wird schon hier sein! Schließlich führt der Weg raus aus dem Haus direkt die Treppe runter, vor der wir standen!“

      Angestachelt von ihrer Angst und Nervosität stürmte ich an ihr vorbei, jeden Winkel der Zimmer, welche sich hier befanden inspizierend. Sie konnte ja nicht wie vom Erdboden verschluckt sein. Das Bett unberührt, die Räume verlassen, die Dusche staubtrocken. Wir fanden Sarah nicht.

      „Was hast du getan?“, forderte sie zu wissen.

      „Wie bitte?“

      „Du