Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


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Seele zur Ruhe zu bringen.

      Am nächsten Morgen erweckte mich mein Kopf ungewollt früh zu neuem Leben. Die Verschnaufpause wurde somit abrupt für beendet erklärt. Mein erster Weg würde direkt ins Bad führen, denn mein Schädel verlangte nach Aspirin. Ob mein Magen sich bei all dem Alkohol mit Beschwerden dazu gesellen würde, blieb derweil offen. Langsam setzte ich mich. Es verlangte einen Moment tiefen Durchatmens, bevor ich mich in der Lage fühlte endgültig aufzustehen. Mein Kreislauf fuhr mit mir Achterbahn, alles drehte sich und schwankte. Schritt für Schritt bahnte ich mir einen Weg. Hinter meiner Stirn das rhythmisch dazu passende Pochen. Angekommen am Tresen der Küche, sah ich einen Zettel. Mary musste ihn dort liegen gelassen haben. Jetzt jedoch erstmal war ich bemüht, die schier weitläufige Strecke ins Badezimmer zu meistern. Nur noch ein wenig weiter. Ein kleines Stück vorwärts erwartete mich die Erlösung. Keine Sekunde länger wollte ich mich dermaßen elend fühlen. Während die linke Hand sich am Waschbeckenrand abstützte, fischte die Rechte unwirsch nach dem passenden Pillendöschchen.

      Antifaltencreme, Vitaminersatzpräparate, Kapseln gegen Durchfall, Pillen bei Verstopfung, Lutschpastillen für den Hals, Nasenspray, homöopathische Kügelchen für Gott weiß was, Hustenlöser, Fiebersaft, Salbe zur Behandlung von Insektenstichen, diverse kleine, mir mysteriös erscheinende Töpfchen. Wo in aller Welt war unser Aspirin? Ich kann mich nicht erinnern, dass es je in diesem Haushalt gefehlt hatte. Letzte Woche erst hatte ich eine einnehmen müssen. Es waren zu diesem Zeitpunkt mindestens sieben übrig. In der Zwischenzeit hatte ich keine mehr benötigt. Genervt schlug ich die Klappe vom Medizinschränkchen zu. In Begleitung meines Mordskaters ging es also zur Küche zurück. Kaffee! Das könnte helfen. Es war zumindest einen Versuch wert. Jeder einzelne Schritt schlug von innen schmerzlich klopfend zu. Dieses blöde Gesöff! Scheiß Alkohol! Beschissenes Leben! Im Gedanken verfluchte ich alles und jeden. Wasser rein in die Kaffeemaschine, Knopf gedrückt, fertig. Der am Tresen befindliche Barhocker bat eine willkommene Gelegenheit zum Verschnaufen. Jetzt, ratterte in mir der Kater, außerhalb der Automat. Kopf und Arme sanken auf den Tresen.

      Poch, Poch, Poch,....

      Die Konzentration war einzig darauf gerichtet. Technik sei Dank, war ein Kaffee heute im Handumdrehen gebrüht. Wieso konnte mein Arm nicht zehn Zentimeter länger sein, fragte ich mich, die Hand in Richtung meiner Rettung ausgestreckt. Ich glich einem Ertrinkenden, der sich weitmöglichst dem helfenden Ring entgegen reckte. Eine Chance hatte ich nicht. Meine Augen suchten nach einem langen Gegenstand. Dann würde ich ran kommen. Jedoch war ich sicher, dass dies zum Umkippen der Tasse führte. Daraus resultieren würde mehr Arbeit, mehr Wartezeit und mehr Kopfschmerzen. Also drückte ich mich vom Tresen ab, versuchte meine Position stabil zu halten, um den Kaffee zu holen. Kaum in der Hand schwenkte ich direkt mit meiner Errungenschaft zurück. Wie ein nasser Sack plumpste mein Körper auf den Hocker. Ein aromatischer Geruch entstieg dem Dampf des Pottes. Oh ja, dachte ich. Genau das brauchst du nun! Schluck für Schluck genoss ich. Und mit dem Anstieg des Koffeingehalts in meinem Blut öffneten sich meine Augen zusehends. Der Zettel. Ich wagte einen Blick.

      „Liebster Max, liebste Sarah,

      Ich habe etwas klar Schiff gemacht, damit ihr das nicht übernehmen müsst. Morgen komme ich erneut. Ich koche etwas für euch mit. Hoffentlich mögt ihr gefüllte Pilzköpfe in Champagnersauce. Dazu gibt es Schweinemedaillons und Bratkartoffeln. Vorsichtshalber bringe ich Tupperdosen, falls ihr dann doch keinen Hunger verspüren solltet, könnt ihr es wenigstens einfrieren. Es kann dann einen anderen Tag wieder aufgetaut werden. Wir haben euch sehr lieb. Egal was, wir sind für euch da, wann immer ihr Hilfe wollt. Fühlt euch gedrückt, Mary.

      Mir stand der Sinn nicht nach Besuch. Weder physisch, noch psychisch. Mein einziger Wunsch: Ruhe. Ich wollte ellenlange Gespräche tunlichst vermeiden. Dieses eine Thema: Unser kleines Spätzchen, sollte nicht aufgewühlt werden. Es würde mich einfach quälen. Gelitten hatte ich für meine Verhältnisse derart, dass es für mehrere Leben reichte. Zu solch Unterhaltungen war ich nicht bereit. Mary meinte es lediglich gut. Sie wollte uns unterstützen. Ohne Rückfrage, ob wir diese Hilfe überhaupt haben möchten. Schließlich ist es eine private Angelegenheit. Ruhe wäre für die erste Zeit das, was wir am Nötigsten hatten. Einerseits verärgert, versuchte ich auch ihre Sichtweise nachzuvollziehen. Trotz all der Dankbarkeit ihrer angebotenen Unterstützung wegen, fiel mir Verständnis aufzubringen immens schwer. Ich war verstimmt. Die übrig gebliebenen Tropfen des Kaffees rollten mir auf die Zunge. Mit einem Krachen setzte ich die Tasse ab. Meine Beine schleppten den Rest des Körpers die paar Meter zur Couch. Jede Zelle meines Organismus war auf Demotivation und Resignation eingestellt. Die Finger krallten sich fest in die Decke, zogen sie bis unters Kinn hinauf, um sich dann ebenso darunter zu vergraben. Meine Augen schlossen sich. Der penetrante Schmerz war nun seichter. Immer noch spürbar, aber besser. Mein aufgewühlter Geist, starrte in eine schwarze Leere. Existiert so etwas wie geistige Löcher? Beschreiben würde ich es ganz pragmatisch als Nichtdenken, Nichtfühlen, Nichtexistieren- im Klartext ohne Gehirnfunktion. Geht sowas bei lebenden Menschen? Die Ohnmacht die meinen Kopf im Griff hatte, breitete sich bald schon auf den restlichen Körper aus.

      Als ich aufwachte, stach mir die Uhrzeit ins Auge. Es war mittlerweile vier Uhr am Nachmittag. Ich musste eingeschlafen sein. Meine Güte. In den Schlaf driften, kannte ich von mir nicht. Langsam kam mir Sarah in den Sinn. Zuletzt hatten wir uns gestern früh gesehen. Hatte sie mit Mary gesprochen? Innerlich wünschte ich es mir sehnlichst. An sie ranzukommen war seit der Identifizierung von Ave im Krankenhaus unmöglich geworden. Man erhielt keine Antworten, stellte man ihr eine Frage, sie starrte stattdessen teilnahmslos an einem vorbei. Ich hatte die ganze vergangene Woche so zugebracht. Mit einem apathischen Abbild der Frau, die ich einst in der Kirche von Pater Andrews ehelichte. Unsere Ehe war geprägt von gegenseitigem Respekt und Liebe. Wir achteten den Anderen. Bei Uneinigkeiten konnten wir stets Kompromisse schließen. Ich fühlte mich wohl. Jetzt war da eine Unsicherheit in mir. Wie sollte ich mit ihr umgehen? Warum öffnete sie sich mir nicht? Komplett den Schmerz wegzunehmen, vermochte ich nicht. Den Verlust jedoch gemeinsam zu tragen, würde es uns beiden leichter machen. Ich konnte ihr helfen, für sie da sein, sollte sie mich brauchen. Und ich brauchte sie, mehr denn je.

      Mit einem tiefen Seufzer sammelte ich Mut. Entschlossen trat ich den Weg zum Schlafzimmer an, welches im Obergeschoss lag. In meiner Brust schlug mein Herz vor Aufregung. In der ersten Etage angekommen, zögerte meine Faust einen Wimpernschlag lang, klopfte schließlich dann aber doch an die Tür.

      „Schatz? Geht es dir gut?“ Ich drückte die Klinke hinunter. Es tat sich nichts. Zugeschlossen wie so oft in letzter Zeit.

      „Sarah, könntest du mir bitte öffnen? Oder antworte wenigstens damit ich weiß, dass du okay bist. Sarah?! Hallo?“ Mein Magen drehte sich mir um. Hatte ich zuvor noch leicht geklopft, glichen die Versuche sie zu kontaktieren nun einem lauten Trommelfeuer. Beide Fäuste schlugen wieder und wieder gegen die Tür. Meine Stimme erhob sich ebenso deutlich.

      „Mach auf! Ich will dich sehen! Sarah! Komm schon!“ In meiner Verzweiflung begann ich mit ihr wie mit einem Kind zu reden. Für mich unüblich fing ich an Drohungen auszusprechen, die ich definitiv entschlossen war notfalls auch umzusetzen.

      „Du hast genau zehn Sekunden Zeit, diese verdammte Tür aufzusperren! Tust du dies nicht, trete ich sie ein. Das schwöre ich dir! Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei,...“, ich entfernte mich einige Schritte, um Anlauf zu nehmen, „ zwei, eins,.....“.

      Ein Klicken ließ mich innehalten. Licht schimmerte sanft auf den Teppichboden des Flurs. Sie hatte sie einen Spalt weit geöffnet. Eilig stürmte ich drauf zu. Wer wusste schon, ob sie es sich nicht wieder anders überlegen würde. Die Luft, die mir entgegen strömte, war stickig, sie stank abgestanden wie in einer Kaschemme. Dass, was ich zu sehen bekam, glich der Behausung eines Messis. Der Boden war bedeckt von Papier, alten ausgetrunkenen Weinflaschen und anderem Zeugs. Meine Augen wanderten den ganzen Raum ab. Mit offenem Mund verweilte ich im Türrahmen stehend. Sarah hatte nichts gesagt. Zusammengekauert starrte sie apathisch Löcher in die Luft. Der Zustand sowohl des Zimmers, als auch meiner Frau war besorgniserregend. Wortlos begab ich mich zum Bett und ließ mich nieder. In meinem Schoß die Hände gefaltet, ließ ich den Blick erneut schweifen. Sarahs Haare ungewaschen, die Augen rot und verquollen, ihr Geruch eine Mischung aus Schweiß und Alkohol.

      „Sarah!