Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


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sah aus wie eine Prinzessin. Ihr weißer Holzsarg war aufwendig gestaltet. Eine Blumenwiese zierte ihn, über die ein Schwarm Schmetterlinge hinwegflog. Das Bild war hineingeschnitzt und bemalt. Es passte zu ihr. Meine Hand zitterte, während ich ein allerletztes Mal ihre Wange streichelte. Meine zuvor vermissten Tränen schossen mir in die Augen. Einen Moment stütze ich mich ab, vergrub mein Gesicht in der freien Hand und betete nicht zu fallen. Der Pater war schon unbemerkt an mich herangetreten, als mir ein lautes Schluchzen tiefsten Schmerzes entfuhr.

      „Max, wenn Sie wollen, kann ich ihren Teil übernehmen. Es ist nicht schlimm. Jeder kann das verstehen, sollten Sie sich nicht in der Lage fühlen dies zu tun“, flüsterte er mir sanft zu. Eine seiner Hände berührte meine Schulter. Diese Geste sollte beruhigend wirken, doch in diesem Moment gab sie mir keine Stärke. Im Gegenteil. Sie sorgte dafür, dass mein aufgewühltes Gemüt dem nahenden Nervenzusammenbruch noch näher kam. Pater Andrew Phillis war seit unseres Kennenlernens zu einem engen Freund der Familie geworden, und für mich im Speziellen zu einer Art Vater. Er hatte Ave getauft, er war bei unserer Hochzeit dabei, er wurde zu sämtlichen Feierlichkeiten eingeladen. Wir zwei hatten einen besonderen Draht zueinander. Ich wusste, ich konnte immer zu ihm kommen. Egal was es war. Er gab mir das Gefühl, dass es ihn wirklich interessierte, was mich bewegte oder mir Sorgen bereitete. Das hätte ich mir von meinem Vater gewünscht, den stets nur die Leistungen interessierten, die ich erbrachte. „Ist ok. Ich brauchte nur einen Moment, danke Pater.“

      Ein seichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Ich setzte meinen Gang zum Rednerpult fort, während Pater Andrew hinter mir zurückblieb. Ich blickte auf. Mir war gar nicht klar, wie viele Menschen gekommen waren, um Anteil zu nehmen, und sich von meinem Spätzchen zu verabschieden. Die Bänke der Kirche waren gefüllt. Der dicke Kloß im Hals war prompt wieder da. Es schnürte mir die Kehle zu. Die Worte auf meinem Zettel, waren sie die Richtigen? Waren sie geeignet, auszudrücken, was ich fühle? Sie kamen mir lächerlich unbedeutend vor in diesem Augenblick. Ich kämpfte gegen die Enge in meiner Kehle an und die ersten Worte drangen, wenn auch sehr dünn aus meinem Mund.

      „Heute ist einer der schwersten Tage in meinem Leben. Ich war nie ein emotionaler Mensch. Rationalität lag mir stets mehr als Gefühlsduselei. Vor zwölf Jahren lernte ich Sarah kennen und es dauerte gut zwei Jahre, bevor aus Freundschaft Liebe entstand. Nach weiteren zwei Jahren dann, wurde sie schwanger. Ich hatte Angst. Eigentlich wollte ich zuvor noch so viel erleben. Vater zu werden, zu diesem Zeitpunkt, passte nicht in meine Vorstellungen. Je näher also der Entbindungstermin rückte, desto panischer wurde ich. Die Angst etwas zu verpassen durch diese immense Verantwortung einem Kind gegenüber, ließ für mich die Gedanken an eine Trennung aufkommen. Ich wollte am liebsten weglaufen. Alles würde anders werden mit der Geburt. So dachte ich. Trotz der inneren Panik blieb ich und der Tag der Entbindung kam. Sarah bekam Wehen und ich fuhr mit ihr ins Krankenhaus. Die Schmerzen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Sechzehn lange Stunden zog sich der Geburtsprozess hin, und dann.......“, ich musste schlucken und eine Träne rollte mir über die Wange, „ ertönte der Schrei. Sie war da. Und von da an, dem Moment, in dem ich sie zum ersten Mal sah, wusste ich, was die Leute meinten, wenn sie von Liebe auf den ersten Blick sprachen. Dieses kleine Wesen war perfekt. Ein Blick. Mehr war nicht nötig. Ich wusste, dass ich nie jemanden zuvor so geliebt hatte, und auch nie wieder jemanden so lieben würde, wie unseren kleinen Engel. Meine Befürchtungen waren verschwunden. Die Angst vor einem Leben mit einem Kind, wich der Angst, sie wieder zu verlieren. Dass meine schlimmsten Befürchtungen, sich jemals bewahrheiten würden, hätte ich nie zu denken gewagt. Kein Elternteil sollte den Schmerz spüren müssen, den der Tod seines Kindes mit sich bringt. Niemand sollte ein Kind zu Grabe tragen. Der Tag, an dem unsere kleine Ave starb, war der, an dem ein großer Teil von mir ebenfalls aufhörte zu leben. Ohne sie weiterzumachen ist eine Qual. Jeden Moment zu Hause, wartet man sehnsüchtig auf ein Lachen, das Geräusch trappelnder Kinderfüße, die unsere Treppe hinunter sausen. Bis die bittere Erinnerung eintritt. Der Gedanke an ihren Tod. Dann realisiert man die Absurdität des Wartens. Es ist nichts mehr als das reine Sehnen des Herzens nach diesem einem Menschen, der einem alles bedeutet hat.“

      In den Händen hielt ich einen Brief, adressiert an Aveline. Ich öffnete ihn. Meine Augen lasen die ersten Zeilen, die sogleich verschwammen. Mehr und mehr Tränen bahnten sich ihren Weg. Ich konnte nicht vorlesen. So sehr ich es wollte. Meine Kraft verließ mich. Es war zu viel. Die Endgültigkeit war kaum ertragbar. Der Pater reichte mir ein Taschentuch. „Ich kann das für dich tun, wenn du es möchtest. Es ist in Ordnung.“ Nach kurzer Pause entschied ich mich, zu den Trauergästen zu gehen und dem Pater die Verlesung meines ersten und letzten Briefes an Ave zu überlassen. Ich vermochte beim Gang zur Sitzbank kaum aufzuschauen, doch ein kurzer Blick verriet mir, dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine war. Meine Knie waren weich und ich war froh, die Möglichkeit zu haben, jetzt zu sitzen, ehe sie nachgaben.

      Ich sah zum Altar, wo Pater Andrew, einem Felsen in der Brandung gleich, den Platz, an dem ich eben noch gestanden hatte, einnahm.

      „Bevor wir uns gemeinsam auf den Weg in Richtung Blumenwiese machen zur Beisetzung, möchte ich zum Abschluss nun den Brief vorlesen, der Ave von Max geschrieben wurde.

      ‚ Meine liebste Aveline, mein wundervolles Mädchen,

      Es gibt so viele Dinge, die ich noch mit dir machen wollte, so viel, was ungesagt blieb und jetzt, wo uns die Zeit, die ich glaubte, noch mit dir zu haben geraubt wurde, bin ich wie gelähmt. Du fehlst hier jede einzelne Sekunde. Dein Lächeln, das selbst die dickste Wolkendecke verscheuchen konnte, wird nie mehr erstrahlen. Deine Geschichten, die einen Erwachsenen in den Bann der Kinderwelt sogen, verhallen. Dein Tanzen, welches die pure Lebensfreude ausdrückte, stoppte abrupt. Acht Jahre, einhundertzweiundzwanzig Tage und sieben Stunden dauerte mein Glück an. Ich möchte dich Folgendes wissen lassen: Es war die schönste, atemberaubendste Zeit, weil du an meiner Seite warst. Ich bin unheimlich stolz so ein herzliches kleines Mädchen kennengelernt zu haben, und stolzer noch die Ehre gehabt zu haben, mich dein Vater nennen zu können. Jetzt wo du nicht mehr hier bist, fällt das Aufstehen jeden Tag schwer. Einen Grund zum Weitermachen zu finden scheint unmöglich und nur die Erschöpfung, aus der Trauer heraus, die mir sämtliche Kraft raubt, lässt mich abends einschlafen, um den folgenden Tag wieder im alten Kreislauf gefangen zu sein. Ich bin so müde, mein Spätzchen. Warum können sich meine Augen nicht für immer schließen, damit sich die deinen wieder öffnen? Wieso bloß hatte ich dermaßen viel Zeit hier auf Erden, wo dir doch nur so wenig vergönnt gewesen ist? Ich weiß, nichts kann dich zurückbringen. Aber ich muss dir ehrlich sagen, dass ich den Tag kaum erwarten kann, an dem wir uns wieder treffen und mein gebrochenes Herz in deiner Anwesenheit, Heilung erfährt. Ich hoffe, du bist an einem sonnigen Ort, wo es warm ist und du den lieben langen Tag mit den anderen Himmelskindern spielen kannst, so wie du es hier gern hattest. Ich werde dich nie vergessen. Wie könnte ich auch? Warst du doch der größte Reichtum, den ich besaß. In Liebe, dein dich erwartender Paps, eines wundervollen Tages ....`

      Bei seinem Vortrag meines Briefes schaute ich erhobenen Hauptes in die Augen des Fotos unserer strahlenden Tochter. Es war mein Abschied, die Worte die ich ihr nicht mehr sagen konnte, da ihr plötzliches Ableben bei dem Unfall, diesem wahrhaft dummen Zufall, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, kein persönliches Lebewohl mehr zuließ. Wir hätten da sein sollen. Sie hätte ihre Eltern gebraucht, als sie ihre letzten Atemzüge tat. Wie einsam musste sie sich gefühlt haben? Diese Gedanken waren quälend, wohl wissend, dass wir nichts anders machen konnten oder gar verhindert hätten. Die Trauergäste wurden nach draußen gebeten. Die Kirche begann sich zu leeren. Der nächste Weg stand bevor. Den Sarg zu seinem Bestimmungsort zu bringen, Ave ihrer Ruhestätte zuzuführen. Vier Männer waren ausgewählt: ich, Aves Großvater, Aves Onkel, sowie mein bester Freund Len. Er war die letzte Woche meine Rettung. Falls er nicht gerade Dienst in unserer Wache schob, verbrachte er die Zeit an meiner Seite. All die Klagen, sowie unzählige emotionale Ausbrüche trug er mit. Das hätte ich von Sarah auch erwartet. Sie redete seit dem Tod unserer Kleinen allerdings nicht mehr mit mir, noch mit irgendwem anders. In diesen Momenten, wenn ich dringend ein offenes Ohr und eine Schulter zum Anlehnen benötigte, war es dann Lenny, der da war. Dafür war ich ihm enorm dankbar. Es wurde Zeit. Wir sammelten uns am Sarg, dessen Deckel, vor dem Herausbeten der Anwesenden geschlossen wurde.

      „Ich geh voran und ihr folgt mir mit Ave, ok?“, erkundigte sich