Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


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bedacht. Seine Hand ergriff ich dankend. Mein Körper fühlte sich steif wie ein Brett an. Sicherlich bedingt durch die Kälte des Regens, sowie des Bodens auf dem ich lag. Meinem verwunderten Gesichtsausdruck, entgegnete er sogleich die Antwort, ohne meine Frage abzuwarten.

      „Unser Gärtner Ray wollte das Grab füllen. Er hat dich daneben liegen sehen. Daraufhin ist er zur Kirche zurück, in mein Büro hinein, um mich zu kontaktieren. Der Ärmste war recht erschüttert. Vermutlich nahm er an, du wärst Tod.“

      Ich sammelte mich einen Moment. Oh, Gott! Wie ich aussah! Als ich an mir herunterschaute, eröffnete sich mir ein erbärmlicher Anblick. Schmutzig und durchnässt stand ich da. Ein Häufchen Elend von einem Mann. Mein Körper zitterte wie Espenlaub, ich fror, sämtliche Wärme schien entwichen. Schulter an Schulter schwiegen wir, mein Tagewerk betrachtend, dass ich energisch Stunden zuvor verrichtet hatte. „Irgendwas fehlt“, sagte der Pater sich lässig vor und zurück wiegend, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Ich finde die Blumen wunderschön! Die hätten der Kleinen sicher gefallen. Die kahle Erde entspricht nicht ihrem Naturell.“

      Er bückte sich zur gusseisernen Wanne. Ein paar von ihnen hatte er hoch genommen, brach sie drei Zentimeter hinter dem Blütenkopf am Stängel und begann sie argwöhnisch von mir aus dem Augenwinkel heraus betrachtet, in den kalten Erdhaufen zu stecken. Still beobachtete ich ihn eine Weile dabei. Schließlich half ich. Jede Blume wurde von uns in der Weise zurechtgestutzt. Solange bis keine mehr übrig blieb.

      „Schon viel besser“, entgegnete ich und brach somit mein eisernes Schweigen. Ein Blütenteppich bedeckte ihr Grab. Bunt, fröhlich, lebhaft. Dies wurde meinem Spätzchen definitiv gerechter als dieser trostlose Anblick von vor dreißig Minuten. Ein paar Schritte machten wir zurück, um eine gute Sicht zu haben. Hinter dem Hügel stand die Sonne schon tief, der Tag neigte sich seinem Ende. Mit sanftem Druck an meiner Schulter deutete mir Pater Andrew, dass die Zeit zum Gehen gekommen war. Sein Arm war fest um mich gelegt, er führte mich mit ihm zum Pfarrhaus neben der Kirche. Beim Abstieg warf ich einen sehnsüchtigen Blick zurück und sah die letzten Strahlen verschwinden.

      Im Pfarrhaus angekommen, schmiss mir Andrew, wie er mich dauernd zurechtwies ihn doch bitte zu nennen, ein paar Handtücher sowie trockene Anziehsachen zu. Er schlenderte zur Heizung und drehte sie auf, um alsbald im Nebenraum, der voll mit Bücherregalen war, vor denen alte Ledersessel standen, zu verschwinden. Ich wickelte mich in ein großes Badehandtuch, schlang es eng um meine Brust. Das Wohnzimmer war hauptsächlich mit alten dunklen Holzmöbeln bespickt. Kleine Stehlampen erleuchteten hier und da eine Ecke. Vor mir, ein massiver Holztisch. Von weit weg ertönte ein Klimpern, welches keinerlei Beachtung meinerseits erhielt. Der alte Kamin zog mich mehr an. Auf ihm standen verschiedene Fotos aufgereiht. Sie zeigten den Pater mit vielen unterschiedlichen Personen.

      „Tja. Die alten Zeiten. Gern denkt man daran zurück. Doch mein Platz ist jetzt hier. Und das ist ganz gut so.“ Ich hatte ihn nicht hereinkommen hören.

      „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Setz dich oder bleib stehen. Fühl dich ganz wie daheim! Ich dachte, dass hier wäre der perfekte Rahmen dafür“, bedeutete er und hob zwei volle Gläser auf meine Sichthöhe.

      „Ein Dalmore Single Malt. Fünfunddreißig Jahre. Ein sehr edler Tropfen wie mir zugesichert wurde. Es könnte auch billiger Fusel sein. Ich kenne mich mit Alkohol nicht sonderlich gut aus musst du wissen.“

      Er nahm Platz und stellte mir ein Glas hin, seins behielt er in der Hand. Wieder beherrschte unbehagliche Stille die Situation. Ich beschloss, mich ebenfalls zu setzen. Meine Hände griffen nach dem Glas, die Finger umschlossen es fest, sie klammerten sich regelrecht daran, wie ein gangunsicherer älterer Herr sich ganz auf seinen Gehstock verlässt, um Halt zu haben. Die Ruhe hatte etwas Unheimliches. Nervös nippte ich an dem servierten Drink. Meine Mundwinkel verzogen sich. Es brannte schmerzhaft in der Kehle. Beim Hinuntergleiten der braunen Suppe schüttelte es mich.

      „Grundgütiger!“, rief ich angewidert. „Der ist ja pisswarm!“

      „Besuch ist selten in meinem Haus. Alkohol trinke ich sonst nicht, kenne mich demnach auch nicht mit Lagerung et cetera aus. Doch wenn ich mich richtig erinnere, soll warmes Hochprozentiges mehr ´ballern´ wie es in entsprechenden Kreisen ausgedrückt wird, was heute wohl recht kommt. Auf Aveline!“

      Er hob sein Glas und schüttete die Hälfte des Inhaltes rasch in seinen Mund und schluckte es im selben Zuge. Seine Mimik entgleiste ihm dabei ähnlich, wie mir zuvor die meine. Dann zog er aus seiner Jackettinnentasche ein silbernes Etui. Er öffnete es und bot mir eine Zigarette an.

      „Du rauchst? Du trinkst Alkohol! Was für ein Pastor bist du eigentlich? Ich erkenne dich kaum wieder!“, sagte ich ihm mit ironischem Unterton.

      „Einer, der sich Sorgen macht um einen guten Freund. Auch mich kann die Welt manchen Tag in eine „Leck-mich-am-Arsch-Stimmung“ versetzen.“

      Ich konnte nicht anders. Ich lachte schallend los. Ein saufender, rauchender und fluchender Pater. Dieser Irrsinn war makaber. Es war alles, nur definitiv nicht das Gemüt, welches ich von Andrew kannte.

      „Lach ruhig. Ich bin auch menschlich! Und bei den ganzen Ave Marias sowie Vater unser, wird der Herr mir schon ein paar Flüche verzeihen. Deine Stiefmutter Mary richtet just in dem Moment eine Trauerfeier in eurem Hause aus. Sarah hab ich nicht sprechen können.“

      „Lass mich raten, eingeschlossen im Schlafzimmer?“, unterbrach ich, wütend über ihr Verhalten und schüttete den Rest meines Whiskeys runter, um das leere Glas geräuschvoll auf dem Tisch abzusetzen.

      „Du solltest nicht zu verärgert darüber sein. Jeder hat seinen Weg zu trauern. Der eine braucht Zeit für sich alleine, während der Andere reden will. Einige stürzen sich kopfüber in Arbeit. Welchen Weg auch immer man wählt, früher oder später kommt man an denselben Punkt, an dem es zwar nicht aufhört wehzutun, denn das tut es nie, aber an dem es leichter wird. Es ist noch zu früh. Gib ihr Zeit! Gib dir Zeit!“

      Ich wollte ihn unterbrechen, seine erhobene Hand allerdings gebot mir zuzuhören.

      „Du brauchst keine Antworten zu geben. Ich fand es großartig, wie du deine Rede gehalten hast. Das zeugt von einer inneren Stärke. Ihr werdet diese Stärke brauchen. Sarah mehr als je zuvor eine Schulter zum Anlehnen, kräftige Arme die sie auffangen. Ich möchte, dass du weißt, jederzeit, was auch immer, ich bin für dich da. Du kannst mit allem zu mir kommen. Wir können reden, wir können aber auch einfach zusammen schweigen. Wie es dir beliebt. Ich werde uns Nachschub holen, schließlich steht es sich schlecht auf einem Bein!“, schloss er lächelnd seine Ausführungen.

      Wir leerten die Flasche, hörten die Standuhr auf dem Kaminsims leise vor sich hin ticken und verbrachten die meiste Zeit wortlos voreinander sitzend. Die Unbehaglichkeit war verschwunden. Sein Platz wurde von einem Gefühl von Verständnis und Geborgenheit abgelöst. Gegen zweiundzwanzig Uhr machte ich mich schließlich heimwärts. Voll wie nie zuvor in meinem Leben, torkelte ich durch die Straßen. Andrews Angebot der Begleitung hatte ich ausgeschlagen. Ohne Diskussionen ließ er mich von dannen ziehen. In meinem Kopf hatte sich ein Whiskyschleier über die bleierne Trauer gelegt. Er schien mich momentan zu betäuben und trug zu einer wohligen Müdigkeit bei. Heute hatte ich überlebt. Was Morgen war, wusste ich nicht. Es interessierte mich auch absolut gar nicht. Ich genoss den dumpfen Seelenfrieden des Augenblicks.

      Kapitel 2

      Zu Hause, trat ich in eine leere Szenerie. Die Trauerfeier war beendet, meine Schwiegermutter war in den letzten Zügen des Reinemachens. Einen Moment fühlte ich mich schuldig. Hätte ich nicht hier sein müssen? Es ging schließlich um meine Tochter! Als sie mich erblickte jedoch, war dort keinerlei Ärger in ihren Augen. Im Gegenteil. Sie strahlten mir voll Güte entgegen. Ich wankte zu ihr. Die fast schon vergessenen Tränen kamen wieder. Ein zärtliches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Ihre offenen Arme empfingen mich, umarmten und hielten mich fest. Sie führte mich zum Sofa, bettete mich. Sehr fürsorglich kümmerte sie sich. Die Decke bis zum Hals hochgezogen, gab sie mir einen Kuss auf die Stirn und begann mir über den Kopf zu streicheln. Eine lang vermisste Wärme stieg in mir hoch.