Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


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hatten einen Streit! Mehr war da nicht! Ich wurde wütend und schlug in den Spiegel, okay?! Das du mir sowas zutraust! Unglaublich! Ihr habt keine Ahnung! Keiner von euch! Wisst ihr, wie es sich anfühlt, sein Kind zu verlieren? Wisst ihr etwa, was es heißt, einen Partner an der Seite zu haben, der maximal noch als körperliche Hülle neben einem existiert? Eine Partnerin, die zwar saufen und alles verkommen lassen kann, es jedoch kaum fertig bringt, eine menschliche Regung zu vollbringen?“, in Rage geredet, stiegen mir Tränen der Wut in die Augen.

      Unter keinen Umständen würde ich meiner Frau weh tun! Die verborgene Anschuldigung in ihren Worten, sei es lediglich aus Angst heraus, trafen mich schwer. Sie sollte wissen, dass ich ihre Tochter mindestens genau so sehr liebte, wie sie. Schweigend setzten wir die Suche fort. Als der letzte Raum im Haus zum dritten Mal abgesucht war, schnappte ich mir mein Telefon, während ich ein zweites Mary in die Hand drückte. Wir telefonierten uns die Finger wund. Die Telefonliste wurde von A bis Z systematisch abgespeist. Zwischendurch gaben wir uns via Kopfschütteln ein Zeichen, wenn die gerade kontaktierte Person weder was von Sarah gesehen, noch von ihr gehört hatte. Jede negative Rückmeldung mehr, trieb uns dem Rande des Wahnsinns näher. In unserer Kleinstadt kannte man sich untereinander. Sollte sie das Haus verlassen haben, hätte sie jemand gesehen. Eine dreiviertel Stunde später, war auch die letzte Nummer abtelefoniert. Das Gesicht in die Hände vergraben, ließ ich mich auf das Sofa fallen.

      Fertig und verzweifelt, wünschte ich, alles wäre nur ein Albtraum, aus dem ich jeden Moment erwachen könnte.

      „Es tut mir leid. Ich war verzweifelt. Sie ist doch meine Tochter! Zuzusehen, wie sehr sie die Trauer im Griff hat, fällt ungemein schwer. Der Gedanke, sie auch zu verlieren.....“.

      Weinend sank sie in den Sessel. Sie erregte schon Mitleid in mir, ihre Gefühlsregung verstand ich nur allzu gut, trotzdem bekam ich keine tröstende Umarmung zustande. Der Dorn ihrer Worte bohrte immer noch in meinem Kopf. Ganz kühl wollte ich aber doch nicht sein.

      „Ich liebe Sarah. Ebenso wie du es tust! Wir machen alle eine schwere Zeit durch. Anstelle des sich gegenseitigen Zerfleischens, sowie unsinnigen Schuldzuweisungen, sollten wir zusammen halten. Vielleicht ist es besser, die Polizei mit ins Boot zu holen.“

      Ich spürte, wie meine Hände feucht wurden, als das Freizeichen nach dem Wählen des Polizeinotrufs ertönte. Schließlich war es nicht alltäglich, die Beamten anzurufen. „Helmsworth Police Department, wie kann ich Ihnen helfen?“

      „Mein Name ist Max Keben. Ich wohne in der Westminster Lane 35. Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben. Meine Frau Sarah ist verschwunden.“

      „Wie lange ist sie denn schon nicht auffindbar?“

      „Etwa zwei Stunden. Sie war die ganze Zeit zu Haus. Ich habe Angst, dass sie sich etwas angetan haben könnte.“

      „Ist sie physisch oder psychisch krank, deutete sie an sich umbringen zu wollen? Benötigt sie dringend medizinische Hilfe?“

      „Nein. Wir haben vor einer Woche unsere Tochter verloren, seitdem ist sehr in sich gekehrt, sperrte sich teilweise in unser Schlafzimmer für lange Zeiträume. Nun ist sie nicht mehr hier, wir haben bereits umhertelefoniert. Niemand hat etwas von ihr gehört oder gesehen.“

      „So leid mir das tut, muss ich Ihnen mitteilen, dass uns die Hände gebunden sind. Sie ist volljährig, weder ernsthaft krank, noch hat sie ihren Suizid angedroht und sie ist noch keine vierundzwanzig Stunden abwesend. Warten sie ab, ich bin sicher, sie kommt innerhalb der nächsten Zeit wieder Sir.“

      Ohne eine Antwort zu geben, legte ich auf. Im Rahmen meiner Arbeit bei der Feuerwehr von Helmsworth, wusste ich eigentlich um die Bedingungen, welche für das Erstellen einer Vermisstenanzeige notwendig waren. Oft arbeiten wir mit der hier ansässigen Polizeidienststelle Hand in Hand. In Notsituationen schaltet der Kopf natürlich nicht so wie sonst. Ich wendete mich Mary zu.

      „Wir müssen warten. Es bleibt uns nichts übrig. Möchtest du einen Drink? Ich für meinen Teil könnte einen gebrauchen!“

      Stumm nickte sie mir zu. Während ich in der Küche die Getränke vorbereitete, ging ich Ort für Ort durch, an dem ich mir Sarah vorstellen könnte. Am Grab vermochte sie nicht zu sein, Avelines Ruhestätte war ihr unbekannt. Ihre ortsansässigen Freundinnen hatten wir angerufen. Unser Haus war abgesehen von uns zweien leer. Ringsum umgab uns die Natur. Wiesen und Wälder. Es war perfekt, da wir die Frischluft liebten und uns gerne im Freien aufhielten. Mir fiel kein Platz ein, an dem ich sie vermuten würde. Ich war sicher, hätte sie das Haus verlassen, wäre es uns nicht entgangen. Mit eisgekühlten Gin Tonics im Wohnzimmer sitzend, unternahmen wir den Versuch, die Nerven runter zu kühlen. Andere Möglichkeiten hatten wir nicht. Verrückt werden würde niemandem helfen. In Windeseile waren die Gläser geleert. Über uns zweien eine bedrückende Ruhe. Die Küche verschaffte Verschnaufpausen. Ich konnte neue Drinks einfüllen, was mich ablenkte und der belastenden Stimmung Abhilfe bot. Es herrschte eine gezwungene Atmosphäre, die mir nicht in den Kram passte. Die Lösung im Abstand von zehn Minuten aus dem Raum zu fliehen, war jedoch limitiert. Das würde man nicht über große Zeitspannen tun können. Beim folgenden Gang schleppte ich einen Kübel mit Eiswürfeln, in der eine Flasche Wodka ihren Platz fand, nebst den Gläsern mit. Damit nahm ich mir die Chance, weitere Male aus der Situation zu entkommen. Es war unhöflich, Mary allein zu lassen, dessen bewusst, bedeutete mein Vorgehen, meinem inneren Schweinehund seine Spielzüge zu vermasseln. Drei Varianten kamen also als denkbare Folgeszenarien in Frage. Einer würde einschlafen, die schlimme Wortlosigkeit wäre somit ausgeräumt. Meine Schwiegermutter könnte den Heimweg antreten. Dies war am unwahrscheinlichsten. Schließlich würden sie ihre Muttergefühle quälen, bis sie Sarah wieder hätte. Oder es kam ein Gespräch zustande. Je nach Dauer, was gleichzusetzen war mit dem Füllstand der Wodkaflasche und meinem Promillepegel, blieben Schlafen oder Sprechen übrig. Ein Deja-vu. Dasselbe hatte ich gestern schon. Trinken und Schweigen. Was für eine Ironie.

      Intensiv, das Glas mit meinen Händen bespielend, betrachte ich unser Wohnzimmer. Ich studierte es bis in die hintersten Ecken. Das Muster der Tagesdecke bestand aus kleinen weißen Punkten. Eins, zwei, drei, vier,... Ob sie die Abstände willkürlich so gesetzt hatten? Fünf, sechs, sieben,... Was für ein Stoff hatten die Schneider verwendet? Davon verstand ich nichts. Acht, neun, zehn,... Es war echt schwer, im betrunkenen Zustand konzentriert zu zählen. Elf, zwölf, dreizehn,... Das wirkte besser als jede Schlaftablette, ganz sicher. Vierzehn, fünfzehn, sechzehn,.....

      „Max! Könnte ich kurz telefonieren? Ich würde gerne Hubert informieren, dass ich heute nicht mehr heimkehre. Er soll nicht unnötig warten.“

      Ihre plötzliche Wortmeldung ließ meinen Kopf aufschrecken.

      „Klar. Bedien dich.“

      „Danke.“

      Sie nahm das Handy und ging hoch in unser Zimmer. Scheiße, wo war ich jetzt mit dem Zählen? Zum Neubeginn fehlte mir die Motivation. Tick, tack, du bist ein echtes Wrack. Tack, tick, der Schnaps bricht dir´s Genick. Ein winziger Blick jetzt auf die Uhr, du verschwendest deine Zeit hier nur. Mein Kopf war gefüllt mit aneinander gereihtem Schwachsinn. Brachte er nichts Wertvolleres hervor, als diesen Nonsens? Der massive Stress schien sich in kognitiven Defiziten niederzuschlagen. Da konnte man schon mal an seiner Intelligenz zweifeln. Zwei Stunden fehlten noch, dann wäre ein weiterer Tag überlebt. Die Weise in der ich ihn überstanden hatte, war ähnlich klasse wie gestern. Morgen hätte ich wieder einen Aspirinmangel zu beklagen. Und Sarah? Tja, das blieb ein Mysterium. Wir hatten was übersehen. Ein kleines Detail. Bloß welches war die Frage. Unsere Sicht war eingeengt. Wir empfanden uns einer Herausforderung gegenübergestellt, die jedem einiges abverlangte. Mir wurde extrem langweilig.

      „Maaaaaaary!“, lallte ich lauthals. „Marry, bist du fertig mit der Informationsübergabe?“

      Mit Schwung sprang ich von der Couch auf. Ich rannte zur Treppe, den Kopf in den Nacken gelegt, hinauf starrend. Die Hände klopften ungeduldig aufs Geländer. Eine Minute danach trat sie in Sichtweite. Ob unangebracht oder nicht, trällerte ich dämliche Songs. Jetzt gerade: „ and then along Comes Mary, Mary, Mary,.....“

      „Ich wüsste nicht, was aktuell Anlass