Stephanie Wismar

Die Farben der Schmetterlinge


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in den Nacken gelegt, gehalten von meinen zwei Händen. Ich könnte ewig so ausharren. Am in der Wand verbauten Digitalradio stellte ich Entspannungsmusik ein. Paradiesisch lautete der ideale Ausdruck für den Zustand, in dem mein Geist sich gerade wähnte. Ein Moment absoluten Seelenfriedens. Als ich eine gefühlte Ewigkeit später meine müden Lider hob, lehnte ich mich zum Regal, welches hinter der Duschwanne platziert war, um mir eine meiner Uhren zu fischen. Ich war bereits seit über zwanzig Minuten hier oben. Zügig seifte ich mich ein und spülte den Schaum ab. Eilig schnappte ich mir das große Badehandtuch vom Haken. Mit leichtem Druck rubbelte ich alle Körperpartien trocken.

      Mit dem um die Hüfte gewickelten Handtuch ging ich in Avelines Zimmer, ungeahnt dessen, die Antwort der dringlichsten Frage der vergangenen Tage zu erhalten. Ich wollte das Bett machen, sowie die restlichen Dinge raus räumen, die ich hineingeschleppt hatte. Allerdings stachen mir direkt beim Öffnen der Zimmertür die sperrangelweit aufgeklappten Seiten des Staufaches ins Auge, von dem eine gestrickte Leiter hinab hing. Der Traum, welchen ich die eine Nacht hatte, durchfuhr mich wie ein Schnellzug. Fetzenweise Szenen liefen wie ein kaputter Film in meinem Kopf ab. Das Geheimversteck schien wahrhaftig existent zu sein. Nun vollends bei der Sache, zog ich mir einen Stuhl direkt davor. Ich musste reinsehen. Meine Neugier war unbändig. Was war dort drin? Mit offenem Mund gab ich mein Erstaunen preis. An der Hinterwand entlang waren Regale mit Büchern. Die Innenseiten der Schranktüren zierten gemalte Bilder meiner Tochter und an der Decke hingen den Sternen am Himmel gleich kleine LED´s. Der Gesamtanblick, welcher sich mir bot, strahlte eine Urgemütlichkeit aus, die zum Verweilen einlud. So mancher Traum konnte hier ersponnen werden mit der einzigartigen Fantasie eines Kindes. Decken und Kissen polsterten den Boden des Stauraumes aus. Einzig ein zerknüllter Haufen Taschentücher störte diese harmonische Umgebung. Sarah. Mir fiel es wie die Schuppen von den Augen. Wie mein Innerstes es schon längst gewusst hatte, war sie nie außerhalb unserer vier Wände. Sie hätte an mir vorbeischlüpfen müssen. Was nach allen Gesetzen der Logik unmöglich war. Meine Nase versank sehnsüchtig in den dort drapierten Kissen. Sie suchte nach einem Hauch von Ave. Mit leichter Konzentration wurde sie fündig. Ich sog den Geruch tief in meine Lungen ein, bevor ich mein Gesicht hob. Die benutzten Tücher sammelte ich sorgsam ein. Das Zimmer sollte exakt dem Bild gleichen, das ich hatte nachdem ich es betreten hatte. Als mein Arbeitswerk getan war, schlenderte ich die Treppen herab. Ich wollte mit Sarah reden. Meinen Gedanken und Emotionen Ausdruck verleihen. Sie sollte an meinem Innersten teilhaben. Wer wäre geeigneter als meine geliebte Frau. Sie vermochte nicht zu antworten, doch ich war sicher, sie hörte zu. Von irgendetwas von dem, was ich ihr mitteilte, nahm sie sicherlich Notiz. Das Handtuch enger um die Hüfte schlingend, trabte ich die Stufen ins Erdgeschoss herab.

      „Schatz. Sarah, mein Engel!“

      Verdutzt kam ich am unteren Absatz zum Stehen. Das Sofa war verwaist. Ich atmete kontrolliert tief ein und aus. Ein verzweifelter Versuch der Selbstberuhigung. Würde sie schon wieder unauffindbar sein? Diesmal bestünde sogar die Option, dass Haus gänzlich verlassen zu haben. Nein! Das würde sie mir nicht zumuten. Ich trat näher an die Couch, auf der die Fernbedienung lag, um den Fernseher abzuschalten. Dämlicher Kasten! Ein verliebtes Paar, welches ihr zweites Kind erwartete, flimmerte über den Bildschirm. Bestimmt hatte Sarah das angesehen. Ein Grund mehr, Frauensender zu hassen. Meine tiefe Abneigung gegen solche Kanäle bestätigte sich einmal mehr. Diese emotionsgeladenen Sendungen waren anstrengend. Für eine Frau, die ihr Kind betrauert absolutes Gift. Hätte ich gewusst, dass sie eine Kinderwunsch Sendung ausstrahlten, hätte ich einen Sportkanal gewählt.

      Systematisch ging ich im Kopf durch, wo meine Frau derzeit ihre Lieblingsplätze hatte. Das Schlafzimmer war mein Platz Eins unter den Top Ten, der Orte an dem ich suchen würde. Keine drei Minuten später stand ich schon im Türrahmen zu unserem Raum und traf sie dort tatsächlich an. Zusammengerollt wie eine Katze lag sie im Bett, die Decke weit hochgezogen.

      „Da bist du ja!“; entgegnete ich, ohne den Hauch eines vorwurfsvollen Tonfalls anklingen zu lassen.

      „Ich,...Ich weiß nun, wo du dich aufgehalten hast in der letzten Zeit. Ich kann es verstehen. Wirklich. Es ist ein schönes Plätzchen! An diesen speziellen Stellen hat man das Gefühl, Aveline nah bei sich zu haben. Wenn man dann den Geruch von ihr wahrnimmt, ist es, als stünde sie vor einem. Ich vermisse sie so sehr! Ebenso wie ich spüre, dass ihr Fehlen dich schmerzt. Sie war ein wundervolles Mädchen. Ihre Anwesenheit alleine konnte einen schlechten Tag wieder ins Gute kehren. Und ihre Fantasie! Gott, was erzählte sie manchmal für absurde Geschichten, über die wir gemeinsam herzlichst lachten. Stets war sie zu Scherzen aufgelegt. Eine ernste Miene hab ich, streng genommen kaum gesehen in diesen acht Jahren. Sie war mein Spätzchen. Welch Glück wir besessen haben, sie unsere Tochter nennen zu dürfen, ist mir erst nach ihrem Tod extrem bewusst geworden.“

      Mit schwammig, verklärtem Blick, saß ich, die Hände im Schoss verschränkt auf dem Bett. Unbewusst erzählte ich frei heraus, was immer mir in den Sinn kam.

      „Kannst du dich noch daran erinnern, wie sie deinen Vater fragte, ob er der Weihnachtsmann ist, wegen seines Barts? Er hatte es vehement verneint. Trotzdem erzählte sie es stolz und ehrfürchtig in der gesamten Kindergartengruppe. Jedes Mal, wenn dann ihr Geburtstag anstand, starrten die Kleinen ihn dann an, als käme er von einem anderen Planeten. Sie amüsierte sich dabei köstlich, während sich dein eigenbrötlerischer Vater den nervenaufreibenden Verhören ihrer Freunde stellen musste. Wir haben so einiges erlebt. Hätten wir doch nur mehr Zeit gehabt.“

      Mittlerweile fielen vereinzelte Tropfen aus meinen Augenwinkeln. In dieser Traurigkeit nach Halt suchend, schmiegte ich mich an meine Frau, ein Arm um sie legend. Allein die Nähe war angenehm beruhigend, ich verlangte nicht, dass sie mit mir interagierte. Da sein. Simple Anwesenheit des ebenso betroffenen Partners, der wusste, wie es einem ging, der ohne explizite Erklärungen verstand. Fühlte man sich derzeit noch so alleine, in der Trauer war man vereint. Es war unerheblich, wie viel Zeit wir hier untätig herumlagen. Wir würden uns den Raum schlichtergreifend nehmen, den wir benötigten. Es verstrichen Sekunden und Minuten, die Uhr lief unaufhaltsam weiter. Die Atmung meiner Frau wurde seicht, regelmäßig und ruhig. Sie war eingeschlafen. Möge sie wenigstens im Schlaf den Frieden finden, der uns im wachen Zustand nicht vergönnt ist.

      4. Kapitel

      Mich behutsam aufrichtend, ließ ich mich auf die Füße gleiten. Sie sollte nicht aus dem Schlaf geschreckt werden. Mir persönlich war nach Aktivität zumute. Wie genau diese aussah, wusste ich zwar noch nicht, ich würde mir aber etwas einfallen lassen. Sport wäre eine Option, dachte ich bei mir. Am Tresen der Küche mit einem Kaffee in der Hand, sinnierte ich über die in Frage kommenden Möglichkeiten. Hausputz war tendenziell hinzuzuzählen, doch Lust verspürte ich nicht. Sport treiben war eins meiner Lieblingshobbys. Ja. Vielleicht das. Mich mit Lenny verabreden könnte ich ebenso. Weggehen fiel aus. Er müsste schon zu mir fahren. Schließlich war Sarah hier. Sollte sie etwas brauchen, wollte ich für sie da sein. Interneteinkäufe tätigen? Irrsinn! Was brauchten wir schon? Früher haben wir Sämtliches für Ave im Netz geshoppt. Für uns zwei unnötig.

      Wie viel Zeit hatte ich, bis der Arzt kam? Zwei Stunden. Zu knapp kalkuliert für sämtliche Unternehmungen. Eine Beschäftigung im Haus musste her. Erstmal noch eine Tasse Kaffee. Aus all den geschmiedeten Plänen resultierte der enttäuschend langweilige Einfall ein Buch zu lesen. Sonst konnte ich mich zu nichts aufraffen. Das lange Bücherregal, welches bis unter die Decke reichte, war prall gefüllt mit den unterschiedlichsten Werken. Ratgeber, Gedichtbände und Romane von A bis Z, baten eine reichhaltige Vielfalt. Es stand am anderen Ende des Raumes. Das bereitstehende Angebot konnte einen überfordern. Allein die Auswahl mochte Ewigkeiten dauern. Wie ein Ochse vor dem Berg stand ich vor einem Hort Büchern. Zögerlich zog ich beliebig eins hier, eins da heraus, mir den Abriss des Inhaltes auf deren Rückseite durchlesend. Richtig mitreißend fand ich keinen der Texte. Leicht entnervt schnappte ich mir blindlings ein beliebiges Buch. Der Ohrensessel nebst antikem Beistelltisch und gebogener Stehlampe, lud den begeisterten Leser zum Verweilen ein. In unserem Haus war es meine Ehefrau, die leidenschaftlich gerne las. Sie besaß kein favorisiertes Genre. Interessiert widmete sie ihre Aufmerksamkeit einer ganzen Bandbreite unterschiedlichster schriftlicher Ergüsse, der Autoren dieser Welt. Der Titel des Exemplars in meiner