Elle West

Die Partisanen


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schloss die Tür schnell wieder und folgte Orlando, der zielgenau zum Wohnzimmer gegangen war. Wie erwartet, fand Orlando seinen Bekannten auf dem Sofa. Der Fernseher lief und der schlanke Iraner drehte sich eine Zigarette, während er mehr oder weniger aufmerksam zum Bildschirm blickte.

      „Wer war das, Haschem?“, fragte er, ohne zur Tür zu sehen und seinen Gast somit zu bemerken.

      „Ich bin es.“, antwortete Orlando und schob eine Hand locker in die Hosentasche. Sein Bekannter wandte sich augenblicks um und starrte ihn im ersten Moment fassungslos entgegen. Beinahe so, als sehe er einen Geist vor sich. Doch schon im nächsten Moment überwandt er den Schock und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er erhob sich sogleich und umarmte und küsste seinen Freund kulturgemäß.

      „Aden Hall!“, brachte er hervor. Sein Freund Haschem erschien neben Orlando im Türrahmen und stammelte Entschuldigungen, weil er Orlando nicht hatte einlassen wollen, da er ihn nicht erkannt habe. Er war nicht wichtig genug, um das Gesicht dem Namen Aden Hall zuordnen zu können. Orlando war sich sogar sicher, dass dieser Mann noch nie London verlassen hatte. Ja, er ging sogar davon aus, dass er, obgleich er ihn auf Arabisch angesprochen hatte, hier in England geboren worden war. Vermutlich hatte er keine Ahnung, wie es um die Politik im Irak stand und interessierte sich nur für solche Auswirkungen, die ihn unmittelbar betrafen. Daraus machte Orlando ihm keinen Vorwurf, denn die meisten Menschen kümmerten sich eben nur um das, was sie unmittelbar betraf. Jedoch hatte er nicht vor, sich diesen Menschen anzuvertrauen oder ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen.

      Der Iraner, Baran, achtete nicht länger auf Haschem, ein weiteres Zeichen für Orlando, dass der Mann mehr als unwichtig für ihn und sein Anliegen war. Baran zog Orlando mit sich in die kleine Küche, in die außer ihnen kaum eine weitere Person passte. Orlandos ohnehin breite Statur wirkte in dieser Miniatur geradezu monströs.

      „Wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wieder sehen, mein Freund?“, fragte Baran und bat ihn, Platz zu nehmen. Das letzte Mal hatten sie sich vor eineinhalb Jahren gesehen, damals eher zufällig, doch meistens waren die Abstände ihrer Zusammentreffen größer. Zusammen gereist waren sie das letzte Mal vor etwa fünf Jahren.

      Orlando kam der Geste nach und setzte sich mit dem Rücken zur Wand, dem Iraner gegenüber. Im ersten Moment hatte er Angst, der Stuhl würde unter seinem Gewicht nachgeben, aber nach dem ersten Ächzen beim Hinsetzen, blieb der alte Stuhl standhaft. „Wie geht es dir, mein Freund?“, fragte er mit einem Lächeln, das ihm sowohl als charmant, als auch als geheimnisvoll ausgelegt werden konnte. Orlando betrachtete Baran aufmerksam. Der Iraner hatte seit seiner Flucht aus der Heimat an Gewicht zugenommen, was ihn nun zu einem schlanken Mann, mit einem leicht gewölbten Bauch machte. Bei ihrer ersten Begegnung im Iran war Baran so unterernährt gewesen, dass Orlando sich gefragt hatte, wie dieser Mann sich überhaupt noch auf den Beinen hatte halten können. Mittlerweile war der Iraner gesund und hatte sein wärmendes Lächeln zurück gewonnen.

      „Mir geht es hervorragend, vielen Dank.“, antwortete er nun aufrichtig. „Allerdings mache ich mir nun Sorgen, da du mich aufsuchst.“, räumte er verlegener ein.

      Orlando lächelte still und nahm diesen Einwand nicht persönlich. „Ich war zufällig in der Gegend.“, sagte er.

      „Natürlich.“, erwiderte Baran voller Ironie. „Von Spanien aus ist es nach London ein Katzensprung, nicht wahr?“

      Orlando musste lachen. Seine Ausrede war zu offensichtlich gelogen gewesen, aber dies war ihnen beiden ohnehin bewusst, sodass er sich keine Mühe machte, glaubhaft zu lügen. „Ich bin hier, weil ich bald in den Irak reise.“, antwortete er nun ehrlich. „Vielleicht willst du mich begleiten?“

      Das Lächeln wich aus Barans Gesicht und er sog nervös an seiner Zigarette. Der Stress, den sein altes Leben mit sich gebracht hatte, hatte maßgeblich zu seiner damaligen schlechten gesundheitlichen Verfassung beigetragen. Und er wollte dieses stressige, gefährliche Leben nicht erneut gegen sein nun so bequemes Leben in England tauschen. Nervös machte ihn die Aufgabe, die nun vor ihm stand: Aden Hall einen Wunsch abzuschlagen. Er mochte diesen undurchschaubaren Europäer, aber er wollte sich nicht seinen Zorn zu ziehen. Nicht unbedingt wegen der ungewöhnlichen Freundschaft, die sie verband, sondern weil ihm viel an seiner Gesundheit gelegen war. „Nein, wirklich nicht, mein Freund.“, überwandt er sich. Er fürchtete ihn nicht, er hatte Respekt vor ihm. „Als ich das letzte Mal mit dir gegangen bin, hat es mich beinahe den Kopf gekostet.“

      Orlando erinnerte sich, es war keine Metapher. „Aber du warst mir auch eine große Hilfe.“, sagte er dennoch. „Wir müssen uns überlegen, wie wir unauffällig an Waffen kommen und ich dachte dabei an dich, weil du gute Kontakte zum Zoll und zu den iranischen Behörden hast.“ Orlando wusste, dass Baran, auch wenn er nun zurück gezogen lebte, noch immer seine Kontakte pflegte. Und er erfuhr alles, was es zu erfahren gab. Die Bindung an sein Heimatland war nicht abgerissen und somit auch nicht das Interesse am Nachbarland.

      Baran nickte zustimmend. Es war sinnlos vor diesem Mann zu leugnen, denn er besaß ein übernatürliches Gespür dafür, Lügen aufzudecken. Und doch machte es ihn zunehmend nervös, dass er ausgerechnet auf den Irak zu sprechen kam. „Im Iran, aber wir sprechen hier von dem Irak, nehme ich an.“, sagte er und hoffte, auch für die Gesundheit seines Freundes, dass es ihm den Wind aus den Segeln nehmen würde. Die Wolken über dem Irak verdüsterten bereits das Land, ein Krieg war für einen Kenner unvermeidlich. Und nachdem Aden bereits vom Waffenschmuggel sprach, war es offensichtlich, dass auch er Bescheid wusste.

      „Der Iran liegt neben dem Irak.“, sagte Orlando unbeirrt. Es wäre nicht das erste Mal, dass er auf diesem Weg Waffen ins Land schmuggeln würde. „Wir könnten über Ahvaz fliegen und von dort in den Irak übersetzen. Wenn du mit mir reist, werden weniger Unschuldige sterben.“

      Baran blickte auf und versuchte Unentschlossenheit in den Augen seines Gegenübers zu finden, stattdessen wurde ihm nur noch deutlicher bewusst, wie ernst es seinem Besucher war. Er seufzte. „Ich werde nicht mehr aus England abreisen, um mich dem Tod an den Hals zu werfen, Aden.“, sagte er aufrichtig und versuchte damit seiner Entschlossenheit in dieser Sache Ausdruck zu verleihen. „Aber ich werde dir einige Namen nennen. Von diesen Leuten wirst du vor Ort Hilfe bekommen, falls du die überhaupt brauchen solltest. Wenn sie deinen Namen nicht kennen sollten, nenne ihnen meinen.“

      Orlando nickte. Eine solche Entwicklung hatte er erwartet. Baran war mit seinem friedlichen Leben in London zufrieden. Er war nicht der Typ Mensch, der sich gerne in Gefahr begab oder auch nur bereit war, Wagnisse einzugehen. Damals hatte er es getan, weil er im falschen Land aufgewachsen war und er überleben musste. Dies hatte sich nun geändert und so hatte Orlando nicht aufrichtig angenommen, dass er sein neues Leben erneut aufs Spiel setzen würde. Es ging Baran, anders als ihm selbst, nicht um Werte wie Freiheit oder Loyalität. Er hatte niemanden, den er beschützen oder helfen wollte, niemanden außer sich selbst. Vor etwa viereinhalb Jahren waren sie zusammen über den Iran in den Irak gereist. Damals hatten sie die Grenze mit ein paar Pfund Sprengstoff in den Taschen überschreiten wollen und waren dabei von den Zollbeamten erwischt worden. Zu der Zeit hatte Orlando sich nicht lange bitten lassen und sich einen erbitterten Kampf mit den Beamten geliefert. Er war 24 gewesen und hatte nichts gehabt, dessen Verlust er bedauert hätte. Er war selbstzerstörerisch, weniger beherrscht und hatte sich kaum einen Plan zurecht gelegt um ein Ziel zu erreichen. Auch Baran hatte sich mit den Schusswaffen verteidigt, die sein Freund immer bei sich zu haben schien –damals wie heute-, obwohl er sehr religiös war und ihm eigentlich nichts ferner gelegen hatte, als Menschen das Leben zu nehmen. In diesem Gefecht damals war Baran eine Pistolenkugel am Kopf vorbei geschossen und hatte noch seine Wange eingerissen. Die Narbe, die er seither trug, gemahnte ihn daran, ein gottesfürchtiges, friedliches Leben zu führen, so zu sagen, um Buße zu tun. Orlando hatte damals im Iran eine Schussverletzung im Bauchbereich erlitten, war jedoch durch ärztliche Hilfe bald genesen. Während Orlando sich nicht mehr mit den Erinnerungen an diesen Zwischenfall beschäftigte und diese Narbe nur eine unter vielen an seinem Körper war, schien Baran es nicht nur nicht vergessen zu können, sondern er erinnerte sich auch absichtlich, reumütig daran. Aus diesem Grund gelang es Orlando Verständnis für seinen Bekannten aufzubringen. Baran war nicht für den Krieg geschaffen, ganz gleich wessen Krieg es war. Damals hatte sich ihm der Iraner nur