Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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seine Schulter durch die sehr schlecht heilende Pfeilwunde immer noch gehandicapt war, begann Magranell sofort alle Hebel in Bewegung zu setzen, um herauszufinden, was auf Außenerde geschehen war und er erschrak. Mehr noch, jeder Bericht, den er durchsah, erhöhte sein Erschrecken und steigerte es bis zum blanken Entsetzen.

      Magranell saß vor seiner Konsole, rief seine Logfiles auf und sah sie durch. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er nicht nur wenige Tage in der Krankenstation gelegen hatte sondern mehr als drei Jahre! Sein letztes Log betraf seinen Besuch auf dem Torqual de Antequera, danach war nichts mehr bis zum jetzigen Moment. Nun rief Magranell die Chronologie der Berichte auf und Augen gingen ihm über.

      Alles was er aufgebaut hatte, war im Begriff, ihm aus der Hand zu gleiten.

      Von seinem Besuch auf dem Torqual de Antequera war er mit einem Pfeil in der Schulter zurückgekommen und dieser Pfeil hatte bei ihm – so sagten es die Berichte Falsetts – eine schlimme Traumatisierung hervorgerufen. Er war nicht ansprechbar gewesen und da man ihn dringend gebraucht hatte, sollte der Versuch unternommen werden, seinen Traumablock durch eine konzertierte Aktion der vier Räte Mordegay, Nurmigo, Mastor und Falsett zu lösen. Über die Gründe, weshalb man zu diesem recht rigiden Mittel greifen wollte, konnte Magranell keinerlei Aufzeichnungen entdecken.

      Aber der Erste Astrogator hatte mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten das Monitoring von Außenerde fortgesetzt und seine Berichte waren niederschmetternd.

      Drei große Schlachten hatten seit Magranells letztem Logon statt gefunden und alle drei hatten die Anglialbions verloren. Schlimmer, sie hatten sie auf eine Art und Weise verloren, die durch und durch deprimierend war. Die letzte dieser drei Schlachten lag gerade erst drei Tage zurück. Insgesamt hatte Anglialbion in diesen drei Schlachten mehr als zweihunderttausend Krieger verloren, doppelt so viele, als Menschen in Ninive lebten!

      Aber nicht nur der Krieg hatte sich entsetzlich schlecht entwickelt, auch die Politik war völlig aus dem Ruder gelaufen.

      König Edward hatte sich von seiner Tochter Chelida endgültig einwickeln lassen. Er hatte sich von ihr zum Großkönig eines künftigen Imperiums ernennen lassen, ohne zu bemerken, dass er damit die Macht aus den Händen gegeben hatte. Magranells verlängerter Arm Machilla war unauffindbar und auch Chelida war wie vom Erdboden verschluckt. Das mühsam geschmiedete Bündnis, das sich nun Imperium nannte, war in Auflösung begriffen, die Könige und Fürsten der Vasallenstaaten Polska, Bulgar und Maura hatten bereits das Bündnis gekündigt und weigerten sich neue Söldner zu stellen, auch die Pikten überlegten, ob sie aus dem Pakt ausscheren sollten. Zu viele ihres Volkes waren abgeschlachtet worden.

      Die wichtigsten Mentalisten in Edwards Reich waren tot, Edward selbst am Rande der Verzweiflung.

      Magranell war fassungslos und sein Entsetzen stieg ins Uferlose, als er herausfand, dass die gesamte Katastrophe nur einen Namen trug:

       Shandra el Guerrero

      Noch immer hatte Magranell keine Vorstellung, wer sich hinter diesem Namen verbarg, denn es gab keine einzige Erfassung, kein Bild, nichts, was ihm eine Identifikation dieses Menschen ermöglicht hätte. Er wusste noch nicht einmal sicher, ob dieser Shandra nun männlich oder weiblich war. Alles was er wusste, war auf Annahmen aufgebaut und allein schon das machte Magranell wütend, das war er nicht gewohnt. Bis zu Shaktars Verbannung war es so gewesen, dass Magranell mit dem Finger geschnippt hatte und im nächsten Augenblick über alle Daten verfügen konnte, die er nur wünschte.

      Vielleicht hätte er sich doch damals auf Shaktars Seite stellen sollen. Wer weiß, wie sich dann alles entwickelt hätte. Doch darüber jetzt noch zu grübeln war müßig. Shaktars Verbannung lag etwa fünfundzwanzig Jahre zurück und war nicht revidierbar.

      Nun saß er da und fragte sich, weshalb keiner der anderen, von ihm eingeweihten Räte in das Geschehen eingegriffen hatte.

      Mordegay hätte längst politisch aktiv werden müssen, er war informiert gewesen und er hatte das Zeug dazu.

      Nurmigo war zwar der dümmste Erste Krieger, den Magranell in seinem langen Leben kennen gelernt hatte, aber er musste doch trotzdem in der Lage gewesen sein, zugunsten Edwards in die Schlachten einzugreifen und den Anglialbions quasi durch göttliche Hilfe grandiose Siege bescheren können. Magranell hatte ihm Vorlagen genug geliefert. Ein kleiner Feuersturm und ein paar Menschen zu Salzsäulen erstarren zu lassen, waren Übungen, die selbst ein Anfänger auf dem Stuhl des Ersten Kriegers mit links erledigen konnte. Weshalb war nichts geschehen?

      Warum waren von Mastors Spione keinerlei Berichte eingegangen? Weshalb gab es kein Dosier zu diesem Shandra el Guerrero?

      Auch in Ninive selbst war nichts so, wie es sein sollte. Sektengründungen, religiöse Exzesse und Panikprediger grassierten, das Volk war falsch informiert worden und nun pulsierte die ganze Stadt in summender Erregung.

      Hatten sie denn alle geschlafen, solange er außer Gefecht gewesen war?

      Magranell raffte sich auf und versuchte den Kontakt zur Ratsversammlung herzustellen. Bei sieben Räten gelang es ihm in der gewohnten Weise, doch Mordegay, Mastor, Nurmigo und Falsett antworteten nicht. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich über den Verbleib dieser Vier Auskünfte einzuholen.

      Sie alle Vier lagen ebenfalls auf der Krankenstation und befanden sich im Koma und zwar genau seit jenem Tag, als sie versuchen wollten, an Magranell den Traumablock zu knacken. Und sie waren offenbar alle genau in derselben Sekunde in dieses Koma gestürzt. Magranell durchsuchte die Datenbanken um den Grund für dieses phänomenale Ereignis heraus zu finden, doch eigenartiger Weise gab es gerade zu diesem Vorgang, der vier der wichtigsten Menschen Ninives gleichzeitig außer Gefecht gesetzt hatte, keinerlei Aufzeichnungen.

      Nun wurde Magranell wütend.

      Er war insgeheim schon immer einer derjenigen gewesen, der die verdammte Demokratie in den fliegenden Städten abgelehnt und verpönt hatte. Solange alles glatt lief, waren sie alle wichtig und sie alle wollten mitreden und sich in den Vordergrund spielen. Doch wehe es lief etwas schief und es wurden rasche, konsequente und richtige Entscheidungen verlangt, dann versagte dieses System kläglich. Den Beweis dafür hatte in Form von Berichten oder besser in Form fehlender Berichte vor sich.

      Magranell war ein Mensch, bei dem sich Emotionen – also auch Wut - nur wenige Sekunden lang halten konnten. Emotionen dienten allenfalls als Auslöser für einen Denkprozess und solchermaßen ausgelöste Denkprozesse liefen bei dem alten Historiker immer noch sehr klar, präzise und sehr schnell ab.

      Wenig später hatte Magranell bereits einen Beschluss gefasst.

      Ninive war reif für einen Imperator!

      Der Rat musste außer Kraft gesetzt werden und ein Alleinherrscher musste die Zügel in die Hand nehmen und retten, was noch zu retten war. Magranell kannte allerdings nur zwei Menschen, die er als Imperator akzeptiert hätte.

      Shaktar war nicht verfügbar, als musste er selbst trotz seines hohen Alters in diese Rolle schlüpfen.

      Der alte Fuchs grinste böse vor sich hin, als er diesen Beschluss gefasst hatte. Die wichtigste Aufgabe eines Imperators war es, sich seinen möglichen internen Gegner vom Hals zu schaffen, ehe er sich um die externen Vorgänge kümmern konnte.

      Schon eine Minute später saß er in seinem Magmobil und war auf dem Weg zum Hospiz. Die Wachen auf der Krankenstation gehorchten ihm, dem ehemaligen Lordkanzler wie kleine Hündchen und so war er bald darauf allein mit den vier Komapatienten. Magranell benutzte seine mentalen Fähigkeiten hemmungslos. Er sondierte vier Gehirne und holte sich sämtliche Informationen, die er brauchte um deren Funktionen selbst ausüben zu können oder sie an ihm hörige Untergebene zu delegieren.

      Dann machte er sich an den unangenehmen Teil seiner Aufgabe.

      Es war ja nicht so, dass Magranell ein seelenloses Monster gewesen wäre. Er verspürte durchaus ein gewisses Bedauern, als er nacheinander bei seinen ehemaligen Kollegen und Proteges - Mordegay wäre ohne Magranells Hilfe und Wohlwollen weder in den Rat noch auf den Stuhl des Lordkanzlers gekommen – die lebenserhaltenden Systeme außer Betrieb nahm. Die vier wichtigsten Räte Ninives glitten