Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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wirkte der Berg an keiner Stelle bedrohlich oder gar beängstigend. Dieser majestätische Berg war ein Freund der Menschen.

      Shandra spürte die Graupeln auf seiner Haut und wieder einmal wusste er, dass es sich für dieses Land zu kämpfen lohnte. Solche Schönheit durfte auf gar keinen Fall dem Raubbau und der Verwüstung von Menschen wie den Anglialbions oder den Chrianos ausgeliefert werden.

      Tiefer Frieden zog ein in Shandras Gemüt. Alle Ängste und Spannungen fielen von ihm ab und er wusste wieder ganz genau, dass er richtig gehandelt hatte und auch mit seinen weiteren Plänen auf dem rechten Kurs lief.

      Zugleich mit dieser Erkenntnis war da aber noch etwas. Ein verspürte ein geradezu zwingendes Bedürfnis, auf der Spitze des majestätisch aufragenden Gipfels zu stehen und in das Land ringsum hinaus zu schauen.

      Der Berg der Götter hatte zu ihm gesprochen und Shandra hatte verstanden.

      Er bat seine Freunde, immer weiter nach Nordosten, dem Fuß des Mulhacen entgegen zu ziehen und irgendwo ein Nachtlager aufzuschlagen. Wenn er diese Nacht nicht wieder kam, dann sollten sie am nächsten Tag dem Fuß des Mulhacen folgen und erst dann mehr nach Norden Abbiegen, wenn der Berg sich nach Osten wandte. Vielleicht blieb er länger als einen Tag weg, aber sie sollten sich keine Sorgen machen. Er würde sie finden, doch jetzt rief ihn der Berg und er musste dem Ruf folgen. Er lenkte Shaitan nach Nordosten und gab ihm den Kopf frei. Der Hengst pflügte wie ein schnelles Schiff durch die Wogen des Grases und zu beiden Seiten folgten ihm zwei dünne Linien. Geri und Freki begleiteten Shandra und liefen mit ihm dem Berg entgegen.

      Botschaften

      So wuchtig und alles beherrschend der Mulhacen auch über der Ebene der Gran Escuela aufragte und alles beherrschte, ihn zu besteigen war in den tiefer gelegenen Bereichen recht einfach. Shandra konnte mühelos bis an den Rand des Gletscher reiten, denn von der Ebene durch die Waldregion bis zu den Matten der Bergweiden gab es eine Menge, von großen Wildtieren ausgetretene Pfade auf denen Shaitan sogar locker den Berg hinauf traben konnte. Im unteren Teil bestand der Wald zum großen Teil aus Laubbäumen, Eichen und Ahorn überwogen, aber auch Rotbuchen, Pappeln, Eschen und an besonders sonnigen Stellen sogar ab und zu eine Linde schufen einen Wald mit einer solch freundlichen Atmosphäre, wie Shandra bislang noch keinen kennen gelernt hatte. Erst als er schon ein ganzes Stück an Höhe gewonnen hatte, ging der Laubwald mehr und mehr in Mischwald und dann in Nadelwald über. Jetzt beherrschten Tannen und Pinien, Eiben und in geringem Umfang Lärchen den Wald und hier musste Shandra unter den mächtigen Nadelbäumen übernachten, denn, obwohl Vollmond, war es in der Region der Nadelbäume stockfinster, sobald die Sonne untergegangen war. Shandra hätte allenfalls die Gesundheit Shaitans gefährdet, wäre in der Dunkelheit weiter geritten, einen echten Vorteil hätte es nicht mehr gebracht.

      Die Nacht verbrachte er ruhig an einer kleinen Quelle, wo er frisches Wasser hatte. Er verzichtete auf ein Feuer und aß kalten Pemikan, denn in dem im Herbst besonders trockenen Nadelwald mit seinem hohen Anteil an Pinien war die Gefahr eines Waldbrandes nicht zu unterschätzen. Die ölhaltigen Kerne der Pinienzapfen brannten wie Zunder und ein Feuer konnte sich in rasender Geschwindigkeit ausbreiten.

      Die Wölfe waren kurz zur Jagd weg gewesen, dann aber zurückgekehrt und nun lagen sie an seiner Seite und schienen ihn sorgfältig zu bewachen. Seit Shandra auf seiner Geistreise mit seinem Bär gewesen war, verzichteten die Wölfe nur auf seine persönliche Bewachung, wenn Shakira bei Shandra in den Schlaffellen lag. Nur dann fühlten sie sich entlastet.

      Shakira ….

      Shandra lag auf dem Rücken, spähte zwischen den im Nachtwind schaukelnden Wipfeln der Bäume zum Himmel und versuchte die Sterne zu sehen. Dabei kreisten seine Gedanken wie so oft um die Frau, die er sich im wahrsten Sinn des Wortes herbei geträumt hatte.

      Es war ein Wunder, dass es Shakira gab und dass er und sie sich begegnet waren. Mit Shakira war so vieles in seinem Leben so leicht und er selbst unschätzbar reich geworden.

      Shakira war eine wunderschöne Frau und, obwohl noch nicht zwanzig Jahre alt, eine geradezu fantastische Partnerin in allen Lebenslagen. Shakira war aber nicht nur schön, sie hatte noch jede Menge anderer hervorragender Eigenschaften.

      Sie war klug und stark und eine ausgezeichnete Jägerin. Als Kriegerin war sie mit allen Waffen inzwischen auf etwa der Stufe von Celina und Akitha. Ihr Können als Reiterin hatte Yodha gefördert und so konnte sie sich längst mit den Amazonen messen. Sie besaß eine messerscharfe Logik und ihr Verstand funktionierte in erstaunlicher Schnelligkeit.

      Das Einzige, das Shakira vollständig fehlte, waren Arroganz und Überheblichkeit.

      Sie war auch niemals launisch und wenn es in einer Situation Spannungen gab, vermochte sie mit ihrem Lachen meist mehr zu erreichen, als Shandra, Shaktar, Ragnar oder Minaro mit den geschliffensten Reden.

      Ihr Lachen war seit ihrer Ankunft ein starker Anziehungspunkt im Heer geworden und es gab Menschen, die allen Ernstes behaupteten, ein Tag ohne Shakiras Lachen, sei ein verlorener Tag.

      Niemand im Heer neidete ihr das Zusammenleben mit Shandra und alle akzeptierten die Tatsache, dass Shakira eigentlich das weibliche Aspekt von Shandra darstellte. Sie war jedermanns Freund und in häufigen Fällen auch trotz ihrer Jugend eine gesuchte Ratgeberin.

      Was konnte einem Mann besseres passieren, als eine solche Frau zu finden?

      Dazu in Rollo und Jelena einen Blutsbruder und eine Blutsschwester, wie es besser nicht möglich war, Shandra wusste, er war unerreichbar reich. Was er besaß, war durch keinen Schatz der Erde zu kaufen und niemand konnte es ihm wegnehmen.

      So schlief er ein, entspannt und beschützt und in der Gewissheit, ein gutes Leben zu führen, trotz der unzähligen Menschen, die durch seine Maßnahmen und von seiner Hand schon gestorben waren und noch sterben würden.

      Das erste Grau am Morgenhimmel sah Shandra auf Shaitans Rücken und weiter den Berg hinauf strebend. Bis zur Mitte des Vormittags war er durch die Waldregion durch und als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, lagen auch die Almen hinter ihm und er hatte die Geröllzone unterhalb des Gletschers erreicht.

      Die Nähe der mächtigen Eiskappe über dem Gipfel des Mulhacen sorgte für deutlich kühlere Luft, als Shandra sie gewohnt war, zuletzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich seine Schlafdecke, das Fell seines grauen Bären, über die Schultern zu hängen. Und weil es so bequem war, benutzte er den Schädel des Bären als Kappe. Wer ihn aus geringer Entfernung sah, mochte glauben, ein grauer Bär ritt auf einem schwarzen Hengst den Berg hinauf. Eine Erscheinung, die manch einer für Göttlich, andere aber auch für Teuflisch halten mochten.

      Am Rand des Gletschers, dort wo das graugrüne, trübe Schmelzwasser – die Milch des Gletschers – in unzähligen Bächen zwischen Eis und Fels heraus sickerte und zu Tal floss, ließ er Shaitan in einer windgeschützten Senke zurück, in welcher der Hengst etwas Gras, Moos und hauptsächlich die grünen Nadeln von kleinen Tannen und winzigen Pinien knabbern konnte. Auch die Wölfe blieben freiwillig an diesem Platz zurück. Shandra wunderte sich ein wenig, doch dann grübelte er nicht weiter darüber nach, sondern begann den Einstieg in eine Eisrinne und suchte sich weiter den Weg nach oben.

      Shandra hätte nicht sagen können, was es war, das ihn trieb, aber er musste, ob er wollte oder nicht, den Gipfel des Mulhacen erreichen, dort wartete etwas auf ihn.

      Der Aufstieg wurde allmählich zwar steiler, doch wirklich beschwerlich war er immer noch nicht. Shandra kam sehr schnell voran und als die Sonne den westlichen Horizont küsste, stand er auf dem höchsten Punkt des Mulhacen, dieses unglaublichen Berges der Götter und sah das Land.

      Er sah Al Andalus, wie es sonst nur die Adler und Geier zu sehen bekamen und wie bereits beim Anblick der Ebene und des von der Abendsonne beschienen Berges zwei Abende zuvor, wusste er, dass dieses Land jedes Opfer wert war, dass er zu seinem Schutz und zur Erhaltung seiner Harmonie und Schönheit bringen musste. Jedes.

      Die Luft war klar und wenn er nach Nordwesten sah, war es als könnte er die Geckos an den Mauern der roten Burg sehen und Sybilas wehendes Blondhaar, wenn sie vom Torres de los Virgines – vom Jungfrauenturm – hinunter auf die