Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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begegneten sich und dann reckten sich zwei Paar Hände nach vorne und zwanzig Finger trafen sich und verschlangen sich ineinander. Stumm, ohne Worte fand die Begrüßung statt und dennoch konnte jeder der Anwesenden erkennen, von welcher ungeheuren Intensität dieses Wiedersehen war. Sie alle konnten sehen, weshalb diese beiden Menschen sich vor vielen Jahren über die strengsten Tabus, die schärfsten Gesetze ihrer Heimat hinweg gesetzt hatten und sogar die Verbannung in Kauf genommen hatten, um ihre Leidenschaft für einander ausleben zu können. Um die beiden entstand ein knisterndes Energiefeld, dann aber, mit einem Mal brach die Spannung ein, die vier Hände lösten sich, Sombra trat ganz dicht an Shaktar heran, schlang ihre Arme um seinen Nacken, küsste ihn auf den Mund und sagte mit leiser aber dennoch deutlicher Stimme:

       „Es ist gut dich wieder zu sehen, Mann meines vergangenen Lebens und Vater meines Sohnes.“

      Shaktar zögerte keinen Augenblick, er erwiderte den Kuss, dann antwortete er:

       „Es tut gut auch dich wieder zu sehen, Liebe einer vergangenen Zeit und Mutter meines Sohnes. Er ist dir übrigens sehr gut gelungen.“

      Nach diesen relativ förmlichen Sätzen trat Sombra wieder zurück in die Reihe und stellte sich zwischen Ragnar und Samuel, während Shaktar sich zu seinen beiden Söhnen begab und den jungen Männern demonstrativ die Arme um die Schultern legte.

      Damit war klar, dass sich aus diesem Wiedersehen keine Spannungen im Heer der Grazalema ergeben würden und dass auch die Zusammenarbeit zwischen Sombra und Shaktar beim Angriff auf Ninive keinerlei Probleme bereiten würde. Die Vergangenheit war bewältigt und würde die Gegenwart und Zukunft nicht beeinträchtigen.

      Shandra war es, der als erster zur Tagesordnung zurück fand und aufzeigte, dass nur wenig Zeit blieb, um Wiedersehensfreuden zu genießen. Schon in zwei Tagen wollte er nach Norden aufbrechen und es sollte eine schnelle und damit anstrengende Reise werden. Der Waran war bereits unterwegs nach Almeria und würde die Feinde an der Küste beschäftigen, dennoch plante Shandra den Umweg über die Sierra Nevada, um ganz sicher zu sein, dass ihre Pläne dem Feind nicht bekannt werden würden.

      Ein kleines Problem war noch zu lösen.

      Prinzessin Chelida war immer noch in Malaga und solange Shandra in der Nähe war, würde sie keine Gefahr darstellen. Doch auch Shandras mentale Leistungsfähigkeit hatte Grenzen. Blieb Chelida in Malaga, wo sie mittlerweile ein sehr inniges Verhältnis zu Rodrigo Diaz aufgebaut hatte, musste Shandra den Block in ihrem Geist lösen und niemand, auch er nicht, vermochten vorher zu sagen, was dann geschehen mochte.

      Doch auch dieses Problem löste sich fast wie von selbst.

      Schon einen Tag nach Sombras Ankunft tauchte ein schnittiger und sehr schneller Segler, ein relativ kleiner Zweimaster in der Bucht von Malaga auf und seine Flagge zeigte das Symbol Bels, des Sonnengottes der Gaeloch. Borasta war nach Malaga gekommen und er hatte nur ein einziges Anliegen:

      Herauszufinden, was aus Chelida geworden war. Nach kurzer und intensiver Beratung zogen sich Chelida, Borasta und Shandra für einen halben Nachmittag in ein abgeschiedenes Zimmer auf der Burg zurück und Shandra säuberte Chelidas Gehirn unter Borastas Aufsicht von allem Wissen, das sie durch ihre Anwesenheit während der Sitzungen Shandras und seiner Hauptleute erworben hatte.

      Schon am nächsten Tag segelte der schnittige Segler in schärfstem Tempo zurück zu den nebligen Inseln.

      Sie beide, Chelida und Borasta nahmen erneut wichtige Botschaften an König Edward mit, doch Shandra war überzeugt, dass auch diese Botschaften nichts bewirken würden.

      Doch mit Chelidas Abschied war ein weiterer Abschnitt in der Auseinandersetzung mit den Anglialbions beendet. Ein traurig blickender Rodrigo Diaz de Vivar blieb als Erinnerung an den Besuch der Prinzessin in Malaga zurück.

      Die Zeit war abgelaufen, die Vorbereitungen getroffen, am nächsten Tag bestiegen Shandra und seine Gruppe – mit Ausnahme Samuels - die Pferde und machten sich auf den Weg nach Granada und dann über die Sierra Nevada, Murcia und Calpe nach Barcelona.

      Als sie den schmalen Weg von der Alcacaba hinunter ritten, sahen Shandra und Rollo sich an und an ihrem Blick war zu erkennen, was sie fühlten. Rollo war es, der es aussprach.

      „Sieh, wie sich die Pferde und die Wölfe freuen, dass wir aus diesem steinernen Gefängnis heraus kommen. Ich fühle mit den Pferden und Wölfen. Wir haben sehr gute Freunde in Malaga gewonnen und erfolgreich gekämpft, aber nun bin ich froh, wieder unter der Sonne laufen und reiten zu können und im Licht der Sternen schlafen zu können.“

      Seltsamer Weise war es niemand aufgefallen, wie sehr Shandra und Rollo unter dem Leben in einem aus hartem Stein und dazu noch aus mächtigen Quadern gefügten Gebäude gelitten hatten. Erst jetzt, da Rollo diesen Stoßseufzer von sich gegeben hatte, wurde ihnen bewusst, welch eine schwierige Zeit hinter den beiden leidenschaftlichen Jägern liegen musste.

      Nun war diese Zeit zumindest vorläufig vorbei, die Natur hatte sie wieder und die beiden nutzten diesen Umstand weidlich aus.

      Ihre Reiseroute sah vor, dass sie zwei Tage lang der Küste folgen würden um dann, in Almunecar nach Nordwesten in die Berge abzubiegen. Auf den Pass von Almunecar hinauf zur Gran Escuela und damit zum Fuß des Mulhacen war Shandra besonders gespannt, denn er hatte schon viel über diese Bergwildnis gehört, in der sich die Geister des Mulhacen unentwegt mit denen des Meeres stritten.

      Shaktar, Shakira und Jelena kannten diesen Weg bereits, denn Shaktar war ihn schon einmal hinauf gestiegen und die beiden jungen Frauen waren über diesen Weg von der Hochebene herunter geklettert.

      Sie hatten nicht vor, ihn Granada eine Rast einzulegen, auch wenn Sybila deswegen vielleicht gekränkt sein würde. Zum Ausruhen war später noch Zeit, zunächst aber war das Ziel Barcelona zu erreichen. Sie würden der Route in umgekehrter Richtung folgen, die Shakira und Jelena genommen hatten, als sie noch auf der Suche gewesen waren und erst oberhalb von Murcia wieder auf den alten Handelsweg an der Küste einschwenken.

      Einen guten Monat, so rechnete Shandra, würden sie sicher brauchen, um Barcelona zu erreichen, denn es waren mehr als tausend Meilen bis dorthin.

      An diesen ersten beiden Tagen, die sie im Sand und am Strand entlang ritten, benahmen sich sowohl die Wölfe als auch Shaitan und Dragon wie Welpen oder Fohlen. Sie hatten ununterbrochen nur Unfug im Kopf, tollten herum wie ausgewechselt und Shandra und Rollo förderten diesen Übermut auch noch, denn auch sie beide hatten gründlich die Nase voll von engen Räumen, Verwaltung und Politik. Auch ihr Bewegungsdrang war so groß, dass sie an beiden Tagen ihre Sättel und ihr persönliches Gepäck von den beiden Mulis tragen ließen, die Shaktar am Handseil führte und schon am Morgen mit den ungesattelten Pferden und den beiden Wölfen los liefen und erst am späten Nachmittag wieder kamen.

      Die beiden Jäger und Krieger strahlten um die Wette und Rollo schwor, dass er, sobald er wieder Grasland unter den Füßen hatte, drei Tage lang nur rennen wollte. Rennen, um die Lungen frei zu bekommen, rennen um die verklebten Muskeln, Bänder und Sehnen wieder zu lösen und rennen, einfach um des Rennens willen. Shandra sagte nichts zu diesem Schwur, aber wer ihn kannte, wusste auch, dass er an Rollos Rennerei teilnehmen würde, wenn es irgendwie ging.

      Diese beiden ersten Reisetage verliefen, als machten sie einen Sommerausflug. Der Himmel an der Sonnenküste war wolkenlos blau, das Meer – abgesehen von den Gezeiten – lag still wie ein See und sie waren allein, soweit das Auge reichte.

      Am Vormittag des dritten Tages, einen halben Tag später als geplant, wanderten sie durch die kleine Ansiedlung Almunecar und stießen unter Shaktars Führung in ein langes, schmales Tal vor, an dessen Ende eine scheinbar unwegsame Bergwand stand. Und genau über diese Wand mussten sie hinauf steigen nach Gran Escuela.

      Shandra war fasziniert vom Anblick der schroffen Zinnen, der Klippen, Schluchten und Schründe, von denen sie dort erwartet wurden und er erkannte schon von weitem, dass diese Wildnis in der bizarren Form ihres Gesteins wohl nur noch vom Torqual de Antequera übertroffen wurde. Als sie den tiefsten Punkt des Tals erreicht hatten, war es später Nachmittag geworden und sowohl Shaktar als auch Jelena und Shakira rieten davon ab, den Aufstieg noch während