Melissa Jäger

Raetia


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in der du das Geld und die Wertsachen aufbewahrst, hat sie am Kopf getroffen!“

      Caius hielt entsetzt die Luft an. Dann suchte er Fuscinus, der sein Pferd mit dem gefesselten Attius hinter dem Reisewagen gehen ließ. Er rief: „Fuscinus, komm her! Ich brauche dich, schnell!“

      Der Bote lenkte sein Pferd am Reisewagen vorbei nach vorne.

      „Sacrus, du übernimmst die Leinen hier! Ich muss nach meiner Frau sehen. Sie liegt im Wagen und hat sich verletzt! Fuscinus, hilf du mir, sie herauszuheben!“

      Attius, der müde hinter dem Pferd hergetrottet war, erkannte erstaunlich schnell den Ernst der Lage. Er übernahm von Fuscinus die Zügel des Pferdes, an dessen Sattel er gebunden war, damit der Wachsoldat helfen konnte. Caius sprang vom Bock und kletterte ins Innere des Wagens. Der Wagenaufbau knirschte und schwankte gefährlich. Der Wagen war um etwa 20 Grad nach links gekippt, das gesamte Interieur war verrutscht. Alpina hing über dem leblos wirkenden Körper ihrer Mutter, der eingeklemmt zwischen Kisten und Körben verkeilt war. Sie blickte hilfesuchend ihrem Vater entgegen.

      „Vater, wir müssen sie nach draußen bringen! Schnell! Sie atmet – aber schwach! Wir müssen dringend die Blutung stillen!“

      Caius hob die Kisten und Körbe so weit zur Seite, dass er die Arme unter den Oberkörper seiner Frau schieben konnte. Dann lehnte er ihren Kopf an seine linke Schulter und zog mit Alpinas Hilfe Elvas ins Freie. Fuscinus packte mit an, um die Frau seines Vorgesetzten neben den Wagen legen zu können. Alpina kletterte hinterher. Beherzt riss sie die blaue Palla der Mutter in Streifen, um die Kopfwunde verbinden zu können. An Elvas linker Schläfe klaffte ein tiefer Riss, Blut quoll hervor und hatte bereits das Gesicht, die Haare und die Kleidung durchtränkt. Alpina entfernte vorsichtig die beinerne Nadel, mit der Elvas ihren Haarknoten im Nacken gehalten hatte. Dann schlug sie eine Stoffbahn zu einem festen Paket ein und presste dieses auf die Wunde. Das Ende eines weiteren Streifens legte sie so über das Päckchen, dass sie die Wundränder bestmöglich zusammenpressen konnte.

      „Du musst ihren Kopf anheben und halten, Vater! – Vorsichtig! Damit ich die Wunde verbinden kann!“

      Caius hob mit der einen Hand den Kopf seiner Frau und stützte mit der anderen ihren Nacken. Seine Hände fassten in die blutverschmierten Haare an ihrem Nacken. Sein Puls raste. Er bewunderte die besonnene und konzentrierte Herangehensweise seiner Tochter. Dabei hatte er schon öfter, in Kampfsituationen oder bei Unfällen in der Armee geholfen, andere Männer zu verbinden. Aber jetzt, wo seine eigene Frau betroffen war, konnte Caius keinen klaren Gedanken fassen. Fügsam verrichtete er die Handgriffe zu denen Alpina ihn anwies.

      Sie waren so beschäftigt, die bewusstlose Frau zu versorgen, dass keiner bemerkte, wie Attius die Gelegenheit ausnützte. Der Gefangene schwang sich, trotz seiner gefesselten Hände auf das Pferd, an dessen Sattel sein Strick befestigt war. Erstaunlich, bei seiner Körperfülle, war die Geschwindigkeit, mit der er dieses Manöver durchführte.

      Es dauerte einen Augenblick bis Caius und Fuscinus die Situation begriffen hatten. Fuscinus schrie auf, als er sah, wie Attius dem Pferd einen kräftigen Klaps auf das Hinterteil gab und es mit den Schenkeln zum Galopp antrieb, dann sprang er auf, um dem Flüchtenden zu folgen. Doch zu Fuß hatte er keine Chance dem Beneficiarius hinterherzukommen, der querfeldein unterwegs war.

      Caius fluchte, wandte sich dann aber sofort wieder seiner verletzten Frau zu. Elvas langes grau-meliertes Haar war rot von frischem und geronnenem Blut. Der Verband bedeckte das linke Auge fast vollständig. Alpina hatte einen Wasserschlauch geholt und befeuchtete einen weiteren Stoffstreifen, um das Gesicht der Mutter notdürftig zu reinigen. Sie hoffte zudem, dass die feuchte Kühle wieder Leben in Elvas bringen würde. Caius faltete die Reste ihres Mantels und bettete Elvas Kopf darauf.

      „Kann ich dir noch irgendwie helfen, Alpina?“, fragte er mit fürsorglichem Blick auf seine Frau. „Ich würde sonst den Adiutor mit einem der Zugpferde zur Mutatio reiten lassen, damit man von dort einen Wagen schicken kann, um Elvas transportieren zu können. Unsere Raeda wird so schnell nicht zu reparieren sein.

      Alpina nickte. „Ja, es wäre gut, wenn wir sie bald in die Mutatio schaffen könnten!“ Sie blickte besorgt, während sie die schwachen Atemzüge der Mutter beobachtete.

      Caius ärgerte sich, dass er kein Pferd mit Sattel hatte. Die Zugpferde hatten zwar einen Zaum und einige Gurte und Riemen, waren aber ungesattelt. Mit Sacrus gemeinsam befreite er das linke Pferd aus der Deichsel.

       „Sie müssen unbedingt einen Wagen schicken und zwar schnell!“, befahl Caius. „Und der Wagenbauer soll auch gleich mitkommen! Vielleicht kann er den Wagen gleich hier reparieren.“

      Caius Blick verriet jedoch die Zweifel, die er hatte. Der Wagen sah nicht gut aus. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass er damit seine Frau fortschaffen konnte.

      „Beeil dich, Mann!“, schrie er und half dem unsicheren Sacrus auf das ausgeschirrte Zugpferd. Der Adiutor versuchte die langen Leinen kürzer zu fassen, damit das Pferd nicht darüber stolperte. Dann klopfte er mit den Schenkeln an die Flanken des Tieres und trabte davon.

      Caius begann erneut zu grübeln. Er ärgerte sich sehr, dass er in diese vertrackte Situation gekommen war. Alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben: erst der säumige, versoffene Beneficiarius, den er als Gefangenen in die Provinzhauptstadt bringen musste, dann die Wagenpanne, die Flucht des Delinquenten und nun auch noch die schwere Verletzung seiner Frau. Wie sollte er jetzt dem flüchtigen Beneficiarius nachjagen, wenn er noch nicht einmal ein gesatteltes Pferd zur Verfügung hatte? Fuscinus machte ein betretenes Gesicht, er fühlte sich schuldig an der Flucht des Attius, auch wenn der Beneficiarius Legati ihm bislang keine Vorhaltungen gemacht hatte. Er spähte in die Richtung, in die der Flüchtende geritten war, als hoffte er, dass dieser reumütig zurückkäme.

      Alpina hatte inzwischen einige warme Decken aus dem Wagen geholt. Sie legte eine davon auf dem Boden aus. Dann hoben Caius und Fuscinus die verletzte Elvas vorsichtig darauf. Mit der zweiten Decke hielt das Mädchen die Mutter so gut es ging warm. Zum Glück war das Wetter trocken und verhältnismäßig warm, doch es war schon spät am Nachmittag und das bedeutete, dass es bald empfindlich kühl werden würde. Die Tochter streichelte sanft die kühle Hand der Mutter und hoffte inständig, dass sie sich von diesem Unfall erholen würde. Schließlich bat sie ihren Vater, bei der Mutter zu bleiben, weil sie, nicht weit entfernt ein Vorkommen von Minzepflanzen beobachtet hatte. Die wollte sie gerne für die Mutter pflücken. Sie holte eine großzügige Hand voll Minzeblätter und fand am Rückweg auch noch einige Wegerichpflanzen, von denen sie sich die Blätter mitnahm. Der Wegerich würde einen guten Wundumschlag ergeben und die Minze Elvas Kopfschmerzen lindern.

      Als Alpina zum Wagen zurückgekehrt war, verkündete Fuscinus die Ankunft des Adiutors. Der kam auf einem Reitpferd, das man ihm offensichtlich in der Mutatio gegeben hatte. Sacrus brachte das Tier vor dem Wagen zum Stehen und meldete: „Tiberius Satto, der Stationarius, und der Wagenbauer Essibnus, sind auf dem Weg hierher. Sie stellen uns einen einfachen Wagen zur Verfügung, der natürlich nicht gefedert ist, aber er ist das einzige Gefährt, das sie zur Verfügung haben. Wahrscheinlich werden sie bald damit hier sein.“

      Caius atmete erleichtert durch. Nachdem der Adiutor abgestiegen war, befahl er Fuscinus mit dem Pferd die Spur des flüchtigen Attius zu verfolgen.

      „Versuche herauszubekommen, in welche Richtung er sich abgesetzt hat. Wir müssen die Flucht rekonstruieren, damit wir eine Chance haben, ihn zu schnappen, sobald ich eine Truppe zusammengestellt habe, die der Aufgabe gewachsen ist. Bevor es dunkel wird, kommst du in die Mutatio und erstattest Bericht!“

      Alpina verstaute unterdessen die gesammelten Kräuter in einem Stoffbeutel. Ein paar Minzeblätter behielt sie in der Hand und nahm sie mit zu ihrer Mutter. Sie zerrieb sie in der Handfläche. Der würzige, frische Duft stieg Alpina in die Nase. Sie hielt die Hände nahe an Elvas Gesicht. Zunächst zeigte sich in deren blassen Gesicht keine Reaktion. Nach einiger Zeit jedoch konnte Alpina sehen, dass sich Elvas Pupillen hinter den Augenlidern bewegten. Ihre Lider begannen zu zucken und sie stöhnte leise. Alpina hielt ihre Hand und beobachtete weiterhin aufgeregt ihr Gesicht.

      Caius war zu ihnen gekommen.